Die Barrieren für Anwältinnen: Warum ihre Karrieren scheitern
Drei Frauen nahmen den anspruchsvollen Ausbildungsweg zur Rechtsanwältin auf sich – den Weg vollendet hat tatsächlich nur eine. Warum? Das fragen sich auch Kammern und Kanzleien, die es nicht schaffen, ihre Anwältinnen zu halten. Dabei sind es die eigenen Strukturen, die rigoros selektieren.
„Ich habe verstanden, wie das System Rechtsanwaltskanzlei funktioniert. Und mit diesem Verständnis habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich nicht mehr dort arbeiten möchte.“ Eine Staatsanwältin in Ausbildung, die anonym bleiben möchte, zeichnet ein ernüchterndes Bild über Strukturen, die in großen Rechtsanwaltskanzleien offenbar vorherrschen. Sie ist eine jener Rechtsanwaltsanwärterinnen, die dem Beruf nach Abschluss der Ausbildung den Rücken kehren und ihren Weg in die Justiz oder in Unternehmen einschlagen. Die Gründe? Neben ausufernden Arbeitsstunden ginge es in der Rechtsanwaltschaft natürlich darum, hochprofitabel zu sein.
„Konzipientinnen und Konzipienten sind quasi die Cashcows für die Anwältinnen und Anwälte der mittleren Ebene.“ Druck werde weitergegeben, die Anerkennung bliebe aus. „Die Verteilung von Arbeitsaufwand und Benefit ist in einem solchen Ungleichgewicht, dass es für mich unerträglich wurde“, sagt die angehende Staatsanwältin. In ihrem Umfeld machte sie ähnliche Beobachtungen: „Viele haben gesagt, dass ihnen die Arbeit gefällt, die sie machen. Aber nicht, unter welchen Umständen sie diese ausüben.“ Also seien die meisten raus aus der Anwaltei, selbst nach bestandener Rechtsanwaltsprüfung.
Als „betriebswirtschaftlichen Wahnsinn“ bezeichnet das Alix Frank-Thomasser, Rechtsanwältin in Wien. Es brauche viel mehr Vorbildfunktion in den Kanzleien, um aufgebautes Potenzial zu halten.
Die Barrieren für Anwältinnen - ein akribischer Einblick in die harten Strukturen des Rechtsanwaltsberufs:
Mit Interviews, darunter ÖRAK-Präsident Armenak Utudjian
Mit Anwältinnen, die im Beruf tätig sind oder sich von diesem abgewandt haben
Mit Kanzleien, die innovative Maßnahmen vorantreiben
Mit einem Überblick über den Werdegang zur Anwaltschaft
Mit neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein faires Miteinander
Denn die Zahlen sind – noch – verheerend. Per 31. Dezember 2021 sind 24 Prozent der Anwältinnen und Anwälte in Österreich weiblich. Wie viele es davon zur Partnerin geschafft haben, ist unbekannt. Manche in der Branche sprechen von maximal zehn Prozent, fundierte Zahlen dazu gibt es nicht.
Absolvierung des Studiums der Rechtswissenschaften (Mindeststudienzeit vier Jahre)
Abschluss einer fünfjährigen praktischen Berufsausbildung
Ausbildung inkludiert mindestens sieben Monate bei Gericht (gängig als Gerichtsjahr bekannt) und drei Jahre in einer Kanzlei als Anwärterin oder Anwärter (Konzipient)
Antritt zur Rechtsanwaltsprüfung
Nach erfolgreicher Prüfung: Eintragung in die Liste der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (optional)
Mangelnder Nachwuchs ist nicht das Problem. Immerhin ist die Hälfte der Rechtsanwaltsanwärterinnen und -anwärter weiblich. Einige sind nach Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung auch bereit, sich in die Liste der Rechtsanwälte eintragen zu lassen – hier verzeichnet man in den vergangenen zehn Jahren unter den Frauen einen Zuwachs von 55 Prozent. Und doch klafft eine Lücke.
Von der Ausbildung in die Selbstständigkeit ist es immer noch ein weiter Schritt.
von Alix Frank-Thomasser
Ein Schritt, den Elisabeth Kiesenhofer, Rechtsanwaltsanwärterin bei der Mödlinger Kanzlei Krist/Bubits, noch nicht bereit war zu gehen. Auch wenn ihr langfristiges Ziel ganz klar der Beruf der Rechtsanwältin ist. Doch auch die Entscheidung, Anwärterin zu bleiben, hat einen Haken, nämlich jenen der Pensionsanrechnung: „Ich zahle jetzt als Rechtsanwaltsanwärterin verhältnismäßig weniger in das Umlagesystem ein als meine eingetragenen Kolleginnen. Heißt im Umkehrschluss, dass ich natürlich auch weniger herausbekomme. Was richtig ist, allerdings bin ich auch in Hinblick auf meine Familienplanung gewissermaßen dazu gezwungen, in dieser Situation zu verharren“, sagt Kiesenhofer.
Dass sie diese Einbußen trotzdem in Kauf nimmt, sei nicht auf fehlende Unterstützung innerhalb ihrer Kanzlei zurückzuführen. Hat sie bislang nur positive Erfahrungen gesammelt. „In der Regel ist der Moment, in dem man sich in die Liste der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eintragen lässt, der Schritt in die Selbstständigkeit. Ab diesem Moment fällt das Sicherheitsnetz eines Angestelltenverhältnisses komplett weg.“ Das sei nichts, womit Anwältinnen und Anwälte spezifisch zu kämpfen hätten, sondern jede selbstständige Person, merkt Kiesenhofer an.
Was aber Anwältinnen insbesondere betrifft, ist die Ausbildungszeit. Beginnt jemand nach der Matura zu studieren, ist man mit ungefähr 30 Jahren genau an dem Karrierescheideweg, an dem ich mich jetzt befinde. Das ist für viele Frauen aber auch gleichzeitig das Alter, in dem man die Weiche stellt, ob man eine Familie gründen möchte oder nicht.
von Elisabeth Kiesenhofer
Wie sehr Familienplanung – gesellschaftlich betrachtet – noch immer Frauensache ist, wird einem als Rechtsanwältin drastisch vor Augen geführt. „Ich sehe das bei männlichen Kollegen, die genau wie ich die Prüfung absolviert haben und den Schritt der Eintragung und in die Selbstständigkeit natürlich jetzt alle wagen. Hat man als männlicher Rechtsanwalt den Wunsch, selbstständig zu sein, wird man die Kanzlei auch vor dem 40. Lebensjahr gegründet haben. Frauen kommen durch die Familienplanung vermutlich im Durchschnitt erst bedeutend später an diesem Punkt an“, so Kiesenhofer.
Ein Eindruck, den Alix Frank-Thomasser bestätigt: Es lässt sich im Bereich der Eintragungen ein Bewegungsmuster erkennen, sobald die Familiengründung schlagend wird. „In unseren Sitzungen, in denen wir eintragen als auch Austritte zur Kenntnis nehmen, sehen wir, dass es sehr viele Kolleginnen gibt, die sich genau in diesen Jahren von der Anwaltschaft verabschieden. Und die Rückkehr ist fraglich.“
Neue Maßnahme, um Anwältinnen zu halten: Die Ruhendstellung der Anwaltschaft
Als Reaktion darauf wurde im Sommer die Möglichkeit einer Ruhendstellung im Berufsrechtsänderungsgesetz verabschiedet. Für maximal zwei Jahre können Anwältinnen und Anwälte ihre Eintragung pausieren, ersparen sich somit Kammerumlagen, die mit rund 1.400 Euro monatlich durchaus massiv sind. Jedoch herrscht in dieser Zeit ein Berufsverbot, weshalb selbst ÖRAK-Präsident Armenak Utudjian davon abraten würde, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen. Hinzu kommt, dass man währenddessen auf Pensionsbeiträge verzichtet. Die könnte man zwar später wieder nachkaufen, aber besser sei es, sich für maximal ein Jahr auf die Umlage von Anwärterinnen und Anwärtern rückstufen zu lassen.
De facto ist es so, dass man durch die Möglichkeit des Nachkaufens verlorener Zeiten während des Ruhens keinen Verlust in der Alterspension erleiden muss. Aber grundsätzlich würde ich jeder Kollegin, die dazu in der Lage ist, durchaus empfehlen, im Beruf zu bleiben und Ermäßigungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.
von ÖRAK-Präsident Armenak Utudjian
Eine Problematik, der man in der Kanzlei Brandl/Talos mit einer besonderen Maßnahme begegnet. Anna Katharina Radschek ist dort Substitutin und somit eingetragene Rechtsanwältin. Sie erzählt, dass ihre Kanzlei für die gesamte Kammerumlage während einer einjährigen Karenz aufkommt und so die Möglichkeit besteht, aktiv eingetragen zu bleiben. „Unsere Kanzlei trägt diesen inklusiven Ansatz nicht groß nach außen. Hier wird es einfach gelebt, dass Lösungen gesucht werden, sobald Familienplanung ein Thema ist. Es besteht das Bewusstsein, dass es sehr viele qualifizierte Frauen in diesem Berufsfeld gibt und es schade wäre, sie aus diesen Überlegungen heraus zu verlieren“, so Radschek.
Gemeinschaftliche Konzepte für bessere Arbeitsbedingungen
Brandl/Talos verkörpert einen gemeinschaftlichen Trend, der (sehr) langsam innerhalb der Branche Fahrt nimmt: Kammern schaffen Substitutionspools, in denen für Kolleginnen und Kollegen eingesprungen wird, wenn diese verhindert sind. Innerhalb von größeren Strukturen werden Vereinbarungen getroffen, in denen Kolleginnen und Kollegen Mandate sowie Umlagen übernehmen und bei längerer Abwesenheit eine Pauschale an Anwältinnen und Anwälte zahlen – ganz gleich ob Elternzeit oder Sabbatical.
Diversitätsmaßnahmen, die nur auf Frauen ausgelegt sind, sind zum Scheitern verurteilt. Legt man diese aber geschlechtsneutral an, macht es plötzlich Klick, auch im Verständnis der männlichen Kollegen. Es wird zu einem Kanzlei-Entwicklungsthema, statt zur Frauenproblematik.
von Alix Frank-Thomasser
Dass es einer Modernisierung des Berufsfeldes bedarf, zeigt sich nicht zuletzt am Image und der deshalb fehlenden Fachkräfte. Utudjian: „Wir hören aus der Kollegenschaft immer wieder, dass es gar nicht so einfach ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Kanzleien zu finden.“ Es sei also ein Markt, in dem sich aktuell gut verhandeln ließe.
Auch der Druck seitens der Klientinnen und Klienten wächst. Erst kürzlich wurde von der Initiative „Women in Law Austria“ eine Kampagne gestartet, in der große Unternehmen als Vergabekriterium einen respektablen Diversitätsanteil ihrer externen Beraterinnen und Berater voraussetzen. Das kann zu einem Umdenken führen, sagt Utudjian, der als neu amtierender Präsident auch den Auftritt des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages verbessern und gendergerecht gestalten möchte.
Neues Logo spätestens ab 2023
Dabei bezieht er sich unter anderem auf ein neues Logo, das spätestens 2023 fertiggestellt sein soll. Ein Unterfangen, an dem Rechtsanwältin Therese Frank in der Wiener Rechtsanwaltskammer erst jüngst gescheitert ist. Die Umgestaltung der Marke „Die Wiener Rechtsanwälte – Stark für Sie“ erntete zu viele Gegenstimmen. Utudjian ist aber zuversichtlich, dass bei Erneuerung des Rechtsanwaltskammertages auch die einzelnen Kammern mitziehen werden. Bis dahin fährt eine mit Anwältinnen plakatierte Straßenbahn der Wiener Kammer durch die Bundeshauptstadt, die erstmals auch der Frau in diesem Beruf eine breite Visibilität verschafft.
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