Der Gedankenleser

Seinen ersten bezahlten Auftritt als Zauberer hatte Harry Lucas mit 18 auf einer Firmenfeier. Er studierte Rechtswissenschaften und trat nebenbei für Unternehmen auf
Mentalist Harry Lucas erzählt, warum er lieber Gedanken liest als Jurist zu sein.

Wir sind im Kabarett Simpl, es hat gefühlte 40 Grad. "Auf der Bühne mit Scheinwerfer sind es 60", sagt Harry Lucas. Am morgigen Sonntag hat der Mentalist, Gedankenleser und Illusionist hier seinen nächsten Auftritt.

KURIER: Sie sind Gedankenleser. Was wird meine erste Frage sein?

Harry Lucas: Das war gerade die erste Frage.

Stimmt. Wie kommt man auf die Idee, Mentalist zu werden?

Meinen Einstieg ins Showbusiness hatte ich mit vier, als ich ein Gedicht im Familienkreis vortragen wollte, auf den Sessel stieg und rief: "Jetzt seids mal alle ruhig." Ich hab dann mit fünf meinen ersten Zauberkasten geschenkt bekommen. Als Jugendlicher habe ich auf Familienfeiern gezaubert. Irgendwann habe ich gedacht, es macht keinen Sinn, Tücher zu färben. Dann habe ich die Psychologie und Verhaltensforschung reingeholt. Ich habe mich gefragt, warum Menschen in bestimmten Situationen so und so reagieren, ob es da Muster gibt.

Sie haben Jus studiert, warum sind Sie nicht Rechtsanwalt geworden?

Mich hat fasziniert, dass Juristen so spezifisch und klar denken. Aber nicht so weit, dass ich Rechtsanwalt werden wollte. Mein bester Freund wurde Anwalt. Ich dachte, ich folge lieber meiner Leidenschaft und gehe auf die Bühne, und wenn ich was brauche, geh ich zu ihm.

Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Es war ein relativ langer Prozess für sie zu verstehen, dass für mich die Nummer sicher nichts ist. Ich kann mir nicht vorstellen, mit etwas Geld verdienen zu müssen, das ich gar nicht mag. Seiner Leidenschaft zu folgen, ist viel erfüllender.

Wie haben Sie den Schritt in den Beruf geschafft?

Meinen ersten bezahlten Auftritt hatte ich mit 18 auf einer Firmenfeier. Dann sind andere Unternehmen gekommen, ich wurde weiterempfohlen. Mit der Zeit habe ich überlegt, es beruflich zu machen. Man kann schnell behaupten, man ist Gedankenleser, Zauberer. Doch das heißt noch nicht, dass es dann Jobs gibt. Man muss sich das Wissen über Jahre aneignen.

Wie haben Sie das gemacht?

Ich habe Fachbücher gelesen, Seminare besucht – zu Hypnose, Psychologie. Und viele Leute getroffen. Vor zehn Jahren hatte ich das Glück, den Schauspieler Bernhard Murg zu treffen. Durch ihn hat sich eine neue Welt eröffnet, ich habe zwei Jahre bei ihm Schauspielunterricht genommen, habe eine Sprechausbildung gemacht.

In den vergangenen Jahren gab es diverse Mentalisten. Sind Sie auf den Trend aufgesprungen? Und wie geht’s mit der Konkurrenz?

Nein, ich habe ja schon viel früher angefangen. Ich sehe keine Konkurrenz, jeder hat seinen eigenen Stil. Es ist für mich spannend, die persönliche Note reinzubringen.

Sie leben heute von Ihren Auftritten. Wie ist das möglich?

Ich trete hauptsächlich für Firmenevents auf, für Galas oder Produktpräsentationen.

Wie lesen Sie Gedanken?

In Hypnosekursen habe ich das genaue Beobachten gelernt. Die betroffene Person kommuniziert auf nonverbaler Ebene – das kann ein Muskelzucken sein, errötete Haut, durchblutete Lippen. Du musst den ganzen Menschen wahrnehmen, musst diese Informationen interpretieren. Da kommt mir die Erfahrung zugute.

Harry Lucas gibt mir eine Münze. Hinterm Rücken lasse ich sie in die rechte Hand wandern, strecke die Hände mit geballten Fäusten aus. Er tippt auf die rechte. "95 Prozent der Rechtshänder geben die Münze in die rechte Hand." Noch einmal. Ich soll zwei Fragen mit Ja beantworten. Er fragt: Ist die Münze in der rechten Hand? Ich sage mit fester Stimme und Pokerface Ja. Und in der linken? Ich bemühe mich, die Antwort exakt gleich zu wiederholen. Er tippt auf rechts – und hat recht. Das Blinzeln und mein betont aufrichtiger Blick, als ich log, haben mich verraten. Verdammt.

Wie viel Talent, wie viel Vorbereitung braucht man als Mentalist?

Man braucht Talent, muss aber etwas damit tun. Ich habe das Beobachten im Alltag geübt. Mittlerweile schaue ich automatisch genauer hin. Ich merke schnell, ob sich jemand wohlfühlt oder nicht.

Wie lassen sich Ihre Tricks für die Kommunikation nutzen?

Ich nutze sie beim Präsentieren. Man kann damit die Aufmerksamkeit besser lenken. Die Powerpoint-Präsentation macht nur Sinn, wenn sie zusätzliche Information zu dem bringt, was man vorträgt. Die Leute müssen überrascht und emotional angesprochen werden.

Was, wenn ein Trick nicht aufgeht?

Ich mache einfach weiter. Mittlerweile gehe ich damit sehr locker um. Das Wichtigste ist die Planung. Man sollte daran denken: Was mache ich, wenn es nicht funktioniert?

Haben Sie schon mal psychologische Tricks privat angewendet?

(lacht) Ja, ab und zu.

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