Visionen für eine bessere Zukunft

Sergey Brin wearing Google Glass talking with Chris Anderson at TED2013. Long Beach, CA. February 25 - March 1, 2013. Photo: James Duncan Davidson
Bei der TED-Konferenz präsentieren große Denker revolutionäre Ideen. Manche davon haben das Potenzial, die Welt für immer zu verändern.

Menschen haben viele Visionen. Die Kraft, sie tatsächlich zu verwirklichen, bringen aber nur wenige auf. Es gibt sie jedoch – jene großen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft, die die Welt revolutionieren wollen. Jedes Jahr treffen sie einander bei der TED-Konferenz. Ziel dieses Treffens ist es, innovative Ideen aus den Bereichen Technologie, Entertainment und Design (TED) zu verbreiten. Oft trifft man hier Menschen, die Monate oder Jahre später jeder kennt: Der chinesische Künstler Ai Weiwei und WikiLeaks-Gründer Julian Assange hatten hier ihren ersten großen Auftritt. Twitter wurde hier in einer 18-Minuten-Rede vorgestellt. Was gesagt wurde, kann sich jeder im Internet anhören.

Veränderter Blick

Visionen für eine bessere Zukunft
Sergey Brin wearing Google Glass at TED2013. Long Beach, CA. February 25 - March 1, 2013. Photo: James Duncan Davidson
Der Mann ist Multimilliardär. Das Mathematik-Genie hat die Suchmaschine Google miterfunden und wurde so reich. Auf die faule Haut will sich Sergey Brin dennoch nicht legen: „Mich hat immer gestört, dass die Menschen nur noch gebückt umherlaufen. Jeder tippt dauernd nur noch auf seinem Handy herum. Das wollte ich ändern“, verriet er bei der heurigen TED-Konferenz in den USA.

Wie? Er erfand die Google-Brille: „Anstatt irgendwelche Befehle mühsam in ein Gerät einzugeben, sprichst du mit der Brille und gibst ihr Befehle.“ Im Klartext heißt das: „Wenn ich mit den Kindern gerade Achterbahn fahre oder mit ihnen im Park spiele, sage ich einfach: ,Record‘. Die Brille nimmt das auf, was ich gerade sehe. Ich brauche nicht extra eine Kamera dabei zu haben.“

Das ist aber nicht der einzige Vorteil der Google-Brille. Ihre Besitzer können zum Beispiel getrost ihr Navigationsgerät verschenken. Denn Brins neueste Erfindung weist Autofahrern den Weg zum Ziel. Da die „Google-Glasses“ über einen Internetanschluss verfügen, kann ich gleich nachfragen, wo es auf der Strecke eine Pizzeria oder eine Tankstelle gibt.“ Bis die Europäer dieses Hightech-Gerät kaufen können, dauert es noch. Buchautor Andreas Salcher fragte Sergey Brin auf der Konferenz, wann diese Erfindung hierzulande zu erwerben wäre. Die Antwort: „Erst im kommenden Jahr.“

Rakete, die zurück zur Erde findet

Visionen für eine bessere Zukunft
Schlechtes Krisenmanagement wird Tesla-Chef Elon Musk vorgeworfen
Elon Musk träumt davon, das All preiswerter zu erforschen als bisher: Das Weltall hat ihn schon immer fasziniert. Dumm nur, dass die Raumfahrt so teuer ist. Selbst ein Milliardär wie Musk kann diese Ausgaben nicht stemmen. Der 42-Jährige wurde reich, weil er die Internetzahlmethode Paypal erfunden hat. Auch das Elektroauto Tesla ist von ihm.

Was also tun? „Die Raumfahrt muss billiger werden“, ist Musk überzeugt. Das größte Einsparungspotenzial sieht er bei Raketen: „Die werden ins All geschossen und kommen nicht wieder zurück. Eine Verschwendung. “ Jetzt arbeitet er an Raketentriebwerken, die– nachdem sie das Raumschiff in den Weltraum befördert haben – wieder auf die Erde zurückkehren. Der Vorteil: Sie können wiederverwendet werden. Dabei spielt der Treibstoff als Kostenfaktor eine geringe Rolle: „Er macht 1,7 Prozent der Kosten aus.“

Der gebürtige Südafrikaner machte sich also an die Arbeit: „Es ist notwendig, sich mit der Physik grundsätzlich zu beschäftigen, wenn man Neues schaffen will.“ Ist Musk also ein Mann von einem anderen Stern? Auf diese Frage antwortete Musk bei der TED-Konferenz nur trocken: „Ich weiß es nicht. Ich arbeite halt viel.“ Seine Geschichte ist Basis für den Film „Ironman“.

Nett sein – und die Welt retten

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Orly Wahba, kindness catalyst, at TED2013: The Young, The Wise, The Undiscovered. Friday, March 1, 2013, Long Beach, CA. Photo: James Duncan Davidson
Manche mögen die junge Lehrerin für naiv halten – für eine Träumerin, die noch nicht realisiert hat, wie böse die Welt eigentlich ist. Mag sein, dass dem so ist. Orly Wahba ficht das nicht an: „Ich bin eine Träumerin. Ja. Aber ich bin davon überzeugt, dass meine Träume wahr werden.“

Ihre Vision: „Jeder kann die Welt verbessern, indem er nett und freundlich zu seinen Mitmenschen ist.“ Was sie genau damit meint, zeigt sie in einem Video mit dem Titel „Kindness Boomerang“ (Bumerang der Freundlichkeit): Ein Mann hilft einem Buben, der gestürzt ist. Der Bub begleitet eine ältere Dame über den Zebrastreifen. Die Dame schenkt einer jungen Frau ein paar Cent für die Parkuhr. Fazit: Nett sein ist ansteckend.

Fast 9 Millionen Menschen weltweit haben das Video auf YouTube mittlerweile gesehen. 25.000 US-Dollar, umgerechnet ca. 20.000 Euro, hat sie sich diesen Kurzfilm kosten lassen – das war damals ihr gesamtes Geld. Viel Geld also. Doch Wahba riskierte die Investition, weil sie an ihre Idee glaubte: „Liebe die Menschen, sieh das Potenzial, das in jedem Einzelnen steckt. Glaube an sie und sie werden sich zum Guten ändern.“

Dass dem so ist, erlebte sie als Lehrerin: „Zu einem Buben, der ziemlich rüpelhaft war, war ich besonders freundlich. Irgendwann kam er dann auf mich zu und fragte mich, warum ich so nett wäre. Er begann, sein eigenes Handeln zu überdenken. Das sollten sich viele zum Vorbild nehmen.“ Schon viele haben sich Wahba angeschlossen - Informationen dazu unter www.lifevestinside.com.

Wie Kinder ohne Lehrer lernen

Visionen für eine bessere Zukunft
Sugata Mitra, Education researcher, during TEDGlobal 2010 Session 10: WhoÕs the Teacher?, July 2010 in Oxford, England. Credit: James Duncan Davidson / TED
Gute Lehrer sind Mangelware. Besonders dort, wo sie am dringendsten gebraucht würden, fehlen sie. In den Entwicklungsländern etwa oder in den sozialen Brennpunktregionen der westlichen Großstädte.

Wie wäre es aber möglich, dass Kinder auch ohne einen Pädagogen etwas lernen? Diese Fragen lies den Inder Sugata Mitra nicht los. Also wagte er ein Experiment: Statt eines Lehrers sollte ein Computer mit Internetanschluss die Schüler in den Slums von Neu-Delhi unterrichten. Mitra hängte den Rechner so auf, dass die Kinder ihn weder zerstören noch stehlen konnten.

Bald stellte er fest, dass junge Menschen auch ohne Anleitung lernen können. Es gab Kinder, die sich selbst zum Lehrer ausbildeten und Mitschüler unterrichteten. Andere wurden Profis in Biochemie. Ihre Lernergebnisse waren konkret messbar.

Mitra, der eine Professur für Lerntechnologie innehat, entdeckte ein einfaches Prinzip: Wo Kinder Interesse haben, findet Bildung statt. Mitra soll seine Vision umsetzen können. Dafür erhielt er heuer den mit einer Million Dollar dotieren TED-Preis.

Auf der TED-Konferenz in den USA treffen einander Visionäre, Schauspieler, Unternehmer und Politiker. Der einzige österreichische Gast war Buchautor Andreas Salcher. Im Interview erzählt er, was ihn dort fesselte, was revolutionär und skurril war.

KURIER: Nicht jeder darf zur TED-Konferenz. Wie viele Bewerber gibt es?

Andreas Salcher: Gerüchteweise drängen sich 2000 Interessenten auf der Warteliste – trotz Mindestgebühr von 7500 Dollar. TED schaut bei jedem Bewerber sehr genau, wie relevant er in seinem Bereich ist und was er beitragen kann. Bei mir war zusätzlich zu meinem Bildungsengagement sicher hilfreich, dass ich TED-Speaker wie Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi oder Isabel Allende als Referenz angeben konnte. Wer einmal akzeptiert wurde, muss sich dem Verfahren nicht mehr stellen, sondern erhält automatisch die Einladung fürs nächste Jahr.

Was macht den Reiz dieser Konferenz aus, man trifft dort Hollywood-Stars, Top-Unternehmer, Erfinder und Wissenschaftler?

Es gibt derzeit keinen anderen Ort, an dem man in fünf Tagen so viele spannende Menschen treffen kann. Alle haben eine Vision, die sie auch umsetzen wollen. TED ist ein Laboratorium für die Zukunft. Die Referenten sind die ganze Zeit anwesend – in den langen Pausen kann man Bill Gates oder Al Gore jederzeit eine Frage stellen. Ich habe das letzte Mal innerhalb weniger Minuten mit dem Chef des Elektrosportwagenproduzenten Tesla und dem CEO von Ford über die Zukunft der Mobilität diskutieren können. Der Vater von Amazon-Gründer Jeff Bezos liest regelmäßig meine Newsletter. Viele Teilnehmer verstehen sich als Community, die ein Mal im Jahr nicht über Geld und Erfolg, sondern über eine bessere Welt nachdenken kann.

Wen haben Sie persönlich getroffen? Was beeindruckte Sie an diesen Menschen?

Der heuer 17-jährige Taylor Wilson baute schon als 14-jähriger einen Kernfusionsreaktor in der Garage seiner Eltern. In den nächsten fünf Jahren will er das erste Raumschiff bauen, das mit Kernkraft betrieben wird. Unglaublich der Bursche, der nicht von Selbstzweifeln geplagt schien. Den TED- Preis Gewinner Sugata Mitra kenne ich schon länger und habe intensiv mit ihm über eine mögliche Zusammenarbeit reden können.

Die Visionäre bei TED blicken positiv in die Zukunft. Teilen Sie diesen Optimismus?

Der Sinn der Konferenz liegt darin, konkrete Lösungen für die großen Probleme der Menschheit zu suchen und das Denkunmögliche zu träumen wagen. Natürlich tendieren die Amerikaner manchmal dazu, die Komplexität der Welt unzulässig zu reduzieren, aber ihr Pioniergeist und ihre Lösungsorientierung wirken ansteckend.

Wir Europäer bleiben zu oft selbstverliebt in der Analyse stecken, statt durch „Versuch und Irrtum“ neue Wege zu wagen. Wenn man fünf Tage Zeit mit Menschen verbringt, die die Welt verändern wollen, die Lösungen und nicht Probleme sehen, fällt es einem schwer, sich ohnmächtig zu fühlen. Es setzt sich folgendes Denken durch: „Was kann ich tun?“

Welche Idee könnte die Welt in den nächsten Jahren revolutionieren?

In einer Welt mit zwei Milliarden Kindern unter 15 Jahren ist das Problem, gute Lehrer zu finden und diese dorthin zu bringen, wo sie am meisten benötigt werden, in absehbarer Zukunft unlösbar. Daher sind Sugata Mitras skalierbare Konzepte, wie sich Schüler in kleinen Gruppen – unterstützt von Computern – alle Inhalte selbst beibringen können, so revolutionär. Er hat ein einfaches Prinzip wiederentdeckt und bewiesen: Wenn Kinder Interesse haben, findet Bildung statt. Und wenn erst deren Interesse geweckt wurde, kommen auch Lernergebnisse, die konkret messbar sind. Das wird auch noch auf die Schulen in Österreich einen großen Einfluss haben.

Wurden auch skurrile Konzepte präsentiert?

Der holländische Museumskurator Kees Moeliker gewann aufgrund seiner Beobachtung der homosexuellen Nekrophilie (Sex mit Leichen) von Enten den Ig Nobelpreis, der von der Harvard-Universität für Forschungen vergeben wird, die zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken anregen.

Mehr Eindrücke von der TED-Konferenz schildert Andreas Salcher auf seinem Blog unter www.andreassalcher.com – über Trends, Innovationen und Bildung berichtet er kontinuierlich via Twitter.

Kennen Sie die TED-Konferenz? Die TED-Konferenz ist eine Zusammenkunft von Menschen, die mit den Mitteln von Technologie und Kreativität versuchen, das Leben angenehmer und die Welt besser zu gestalten. Bei der TED-Konferenz wurde z. B. Twitter vorgestellt (und ja, damit wurde die Welt besser – dank Twitter und Facebook hat Geschwätzigkeit ein Ventil).

An dieser Stelle ein Vorschlag an die TED-Konferenz: Ein neues, revolutionäres Tool, für das man keinerlei Technologie braucht, welches die Welt aber grundlegend verändern würde – Höflichkeit. Da Unhöflichkeit ja der Luxus der Dummen ist, beweisen ab jetzt alle ihre Intelligenz, indem sie gnadenlos höflich sind, einander nett behandeln und sich überhaupt prinzipiell anständig benehmen ...

Und genau dieses Projekt stellt die Lehrerin Orly Wahbe auf der TED-Konferenz vor: „Kindness Boomerang“ – Freundlichkeitsbumerang. Höflichkeit als eine Art Epidemie, die irgendwann jeden infiziert (Videoclip dazu auf YouTube). Eine herrliche Idee.

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