Dosiertes Hochdeutsch in der Klasse

Dosiertes Hochdeutsch in der Klasse
Immer mehr junge Deutsche lassen sich in Österreich zu Lehrern ausbilden.

Der Radiosender FM4 ist schuld daran, dass es Tobias Becker von Baden-Württemberg nach Wien verschlagen hat: „Den hab ich immer zu Hause gehört und mir dabei gedacht: In Wien kann es ganz cool sein“, erzählt der 24-Jährige. Seit zweieinhalb Jahren studiert er jetzt auf der Pädagogischen Hochschule in Favoriten. Schon bald möchte er als Volksschullehrer unterrichten.

Dass junge Deutsche auf den heimischen Medizin-Unis in großer Zahl anzutreffen sind, ist kein neues Phänomen. Jetzt machen es ihnen die angehenden Pädagogen nach: Immer mehr Deutsche lassen sich in Österreich zum Lehrer ausbilden. An den Pädagogischen Hochschulen ist ihre Zahl zwischen 2007/’08 und 2011/’12 von 191 auf 355 gestiegen. Ähnlich die Situation an den Unis: Im selben Zeitraum hat sich die Zahl der deutschen Lehramtsstudenten von 299 auf 673 mehr als verdoppelt. Mittlerweile sind es sogar schon 753. Freilich: Mit drei Prozent ist der Gesamtanteil der deutschen Lehramtsstudenten noch relativ gering.

Musikalische Vorlieben – wie bei Tobias Becker – spielen meist eine untergeordnete Rolle. Grund für den Ortswechsel sei viel häufiger der an vielen deutschen Unis vorhandene, teils „ziemlich strenge“ Numerus Clausus für Lehrämter, heißt es beim deutschen Bildungsconsulting-Unternehmen Edu-Con. In Österreich gibt es derzeit zwar an den Pädagogischen Hochschulen Aufnahmeprüfungen, an den Universitäten ist der Zugang aber frei.

Hinzu kommt noch: Seit dem Jahr 2003 müssen mindestens drei Jahre dauernde Beraufsausbildungen in anderen Unionsländern anerkannt werden. Das schreibt eine EU-Richtlinie vor. Als Ausgleich von Ausbildungsunterschieden kann allerdings ein Anpassungslehrgang nötig sein. Zu einem solchen kann man im stark föderalistischen Deutschland aber auch dann verpflichtet werden, wenn man nicht im selben Bundesland unterrichten will, in dem man studiert hat. Es gibt sogar kuriose Fälle von Junglehrern, die wegen eines Wechsels in ein anderes Bundesland die „Didaktik der deutschen Sprache“ nachholen mussten.

Sprachbarriere

Mit dem Trennenden der gemeinsamen Sprache musste sich Becker auch schon in Wien herumschlagen: „Meine letzte Praxislehrerin hat gemeint, dass ich in der Klasse nicht zu sehr hochdeutsch sprechen soll. Das war schon etwas überzogen.“

Trotzdem will er als Volksschullehrer in Wien arbeiten. „Schließlich habe ich hier meine Lebenswelt aufgebaut“, erzählt der Student, der mit gleich drei weiteren Deutschen in einer WG zusammengezogen ist. „Außerdem sind die Jobchancen in Wien sehr gut, während es in anderen Bundesländern einen Lehrer-Überschuss gibt.“

Das österreichische Bildungssystem sei relativ gut, „aber es gibt bessere: Es ist sicher nicht optimal, dass die Kinder nach der 4. Klasse auf unterschiedliche Schultypen aufgeteilt werden“, ist Becker überzeugt. „Aber über dieses Thema streitet man ja auch in Deutschland schon seit Ewigkeiten.“

Mehr zum Thema lesen Sie im KURIER-Bildungsspecial

Ich kam hierher, weil ich die Stadt liebe“, erzählt der 27-jährige Daniel Peter aus Niedersachsen. Er studiert in Wien Geschichte und Biologie auf Lehramt. Der Numerus Clausus sei bei seinem Studienbeginn 2006 noch kein Problem gewesen. Er hätte sogar drei Plätze in Deutschland angeboten bekommen. Trotzdem entschied er sich für Österreich.

„Es war immer schon mein Traum, hier zu studieren“, sagt Peter. Da seine Schwester in Wien wohnt, ist er seit seinem 14. Lebensjahr regelmäßig in die Hauptstadt gekommen.

Wiener Lebensstil

Vor allem schätzt er den Wiener Lebensstil. In Wien lasse man sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. In Deutschland sei alles viel gehetzter. Angenehm sei auch, dass das öffentliche Verkehrsnetz so gut ausgebaut sei. „Für mich ist es Luxus und Lebensqualität, wenn ich nicht immer das Auto benötige, um irgendwo hinzukommen“, sagt Peter. Er kann es sich durchaus vorstellen, für längere Zeit in dieser Stadt zu bleiben.

Als sogenannter Numerus-Clausus-Flüchtling kam Ina Strohoff eigentlich gezwungenermaßen nach Wien. Begonnen hat sie ihr Studium in Berlin. Dort studierte sie Biologie und Chemie auf Lehramt. Als sie von Chemie auf das Fach Deutsch wechseln wollte, wurde ihr das jedoch aufgrund der Zulassungsgrenze verwehrt.

Wunschfach

Daher begann sie, sich außerhalb Deutschlands umzusehen. Obwohl das Leben allgemein teurer sei als in Berlin, entschied sie sich für den Wechsel, da sie hier die Möglichkeit hatte, ihr Wunschfach zu studieren.

Doch bereits bei ihrem ersten Besuch war sie von der Stadt begeistert. „Da ich ursprünglich aus Bayern komme, gibt es auch kaum Verständigungsschwierigkeiten“, sagt die 27-jährige Studentin.

Auch sie kann sich vorstellen, nach Abschluss ihres Studiums hier zu bleiben. „Vor allem die Jobangebote und auch die Verdienstmöglichkeiten für Lehrer sind in Österreich deutlich besser als in Deutschland.“

Kommentare