Die Mathematik wird neu gedacht

APA7981468-2 - 23052012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - THEMENBILD - Illustration zum Thema "Bildungsstandard-Test Mathematik". 86.000 Schüler der vierten Klasse AHS-Unterstufe, Neue Mittelschule und Hauptschule stellten sich am Mittwoch, 23. Mai 2012, erstmals einer österreichweiten Überprüfung der Bildungsstandards im Fach Mathematik. Im Bild: Die Bildungsstandard-Tests in Mathematik werden am Mittwoch, 23. Mai 2012, in einer Klasse einer Wiener Schule verteilt. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
Schüler müssen künftig Formeln nicht nur berechnen, sondern auch verstehen.

Wie gut sind Österreichs Schüler in Mathematik? Die Antwort gibt Bildungsministerin Claudia Schmied am Dienstag, wenn sie die Resultate der Bildungsstandards-Tests präsentiert.

Teilergebnisse davon sind bereits durchgesickert. So dürften die Wiener Hauptschulen besonders schlecht abgeschnitten haben. Den Klagenfurter Mathematik-Didaktiker Werner Peschek wundert das nicht: „Wir wissen, dass sozial schwache Kinder oft leistungsschwach sind. Um das herauszufinden, braucht es keine teuren flächendeckenden Tests. Auch wesentlich günstigere Stichproben genügen da. Würden wir diese Mehrkosten in die Verbesserung des Unterrichts stecken, würden wir einiges mehr erreichen. “

Doch nicht nur in den Hauptschulen, auch in den AHS ist Mathematik ein Angstfach. Konrad Zimmermann vom Nachhilfe-Institut Lernquadrat drückt diese Angst in Zahlen aus: „60 Prozent der Nachhilfestunden entfallen auf dieses Fach. Das ist seit 30 Jahren so.“ In Zukunft könnte es sogar noch mehr werden. Denn ein Paradigmenwechsel steht bevor: „Bisher hat es gereicht, eine Regel auswendig zu lernen und diese stur anzuwenden“, sagt Peschek. Die Mathematik wurde so zu einem sinnentleerten Fach. „In Zukunft werden Schüler Mathematik aber verstehen müssen. Es wird nicht nur verlangt, ein Stab- oder Kreis¬diagramm zu erstellen. Der Schüler muss entscheiden können, welches im gegebenen Fall geeignet ist. Solch ein Verständnis wird bei den Bildungsstandards und der Zentralmatura gefordert.“ Denken ist also gefragt. „Und dabei ist Scheitern immer auch eine Möglichkeit.“

Unterricht

Diese Umbruchphase verunsichert Schüler und Lehrer gleichermaßen. Beide sind gefordert, denn der Unterricht muss sich fundamental ändern. Peschek: „Viele Lehrer sind es gewohnt, hochkomplexe Formeln zu lösen. Sie meinen so weitermachen zu müssen.“ Dabei könnten sie den Stoff getrost reduzieren – der Lehrplan lässt das zu. „Besser ist, z.B. eine einfache Gleichung so zu erklären, dass der Schüler sie in 20 Jahren noch versteht. Lehrer sollten viel mehr über Mathematik reden: Was sagt mir ein Graph, eine Gleichung in dem Kontext? Welche Erkenntnis bringt das? Darüber muss gesprochen werden. Vieles zu lernen und davon nichts zu verstehen – das ist doch die wahre Katastrophe.“ Viel blieb vom Stoff bei Schülern bisher offenbar nicht hängen. „Wir haben einfache Zentralmatura-Aufgaben Technik- und Mathematikstudenten vorgelegt. Nicht einmal ein Drittel konnte sie lösen.“

Der Paradigmenwechsel im Mathe-Unterricht braucht Zeit. Aber was, wenn sich manche Lehrer zu lange Zeit lassen? Elternvertreter wie Susanne Schmid vom Dachverband weisen darauf hin, „dass bald viele Lehrer in Pension gehen. Die werden genauso unterrichten, wie sie es immer getan haben – nicht kompetenzorientiert. Dabei müsste man in der Unterstufe beginnen, Schülern Mathe anders beizubringen. Auf keinen Fall dürfen die Schüler die Leidtragenden sein, wenn Lehrer sie schlecht auf die Matura vorbereiten.“

Bildungsstandards Grundkompetenzen Bildungsstandards legen seit 2009 fest, über welche Grundkompetenzen Schüler in der vierten und achten Schulstufe in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch verfügen sollten. Getestet werden alle österreichischen Schüler. Erste Tests Die erste Prüfung war im Fach Mathe und fand im Mai 2012 statt. Die Ergebnisse werden heute von Ministerin Claudia Schmied präsentiert. 2013 folgen Tests in Englisch (nur achte Schulstufe) und 2014 im Fach Deutsch.

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Die Lehrerbildung wird reformiert. Warum das dennoch nicht viel ändern wird, erläutert Bildungsexperte Stefan Hopmann .

KURIER: Die Lehrerbildung wird reformiert. Ihre Einschätzung?
Stefan Hopmann: Die Reform ist gut gemeint, aber das ist ja bekanntermaßen Gegenteil von gut. Manches ist gelungen: Lehrämter werden neu gefasst, und bildungswissenschaftliche Inhalte sind Teil des Curriculums (Uni-Lehrplan, Anm.) . Unterm Strich halte ich sie aber für misslungen, weil die Grundlagen der Reform aufgegeben wurden. Die Vorschläge der Vorbereitungskommission wurden auf Druck des Bildungsministeriums nicht umgesetzt.

Was kritisieren Sie konkret?
Eine gute Lehrerbildung muss aus einem Guss sein: Die gesamte Ausbildung sowie die Fortbildung während des Berufs müssen in einer Hand liegen. Jetzt ist geplant, die Aufgaben aufzuteilen. Die Unis sind für die Fachwissenschaften, die Pädagogischen Hochschulen (PH) für die pädagogische Praxis zuständig. Die Unis sind autonom, während die PHs an Weisungen des Ministeriums gebunden sind. So werden die Institutionen vom jeweils anderen Bereich der Lehrerbildung abgeschnitten und beide bleiben in ihrer Entwicklung stecken. Dabei braucht auch die Uni die unmittelbare Praxiserfahrung, und die PH die wissenschaftliche Basis.

Wie wird sich die Reform auf die Lehrerbildung auswirken?
Es wird sich nichts ändern. Der Zusammenhang von Theorie und Praxis kann so nirgends zu Ende gedacht werden. Deshalb ist es eine Dummheit, die Verantwortung aufzuteilen.

Den Unis wird vorgeworfen, sie seien zu arrogant, um mit PHs zu kooperieren. Stimmt das?
Nein. Eine Zusammenarbeit wäre dringend notwendig und gibt es oft auch schon. Ich brauche die Wissenschaft ja in allen Gliedern. Ohne sie sind die Ergebnisse der Lehrerbildung miserabel.

In Zukunft soll der sogenannte Zertifizierungsrat die Qualität der Lehrerbildung überwachen.
In diesem Gremium sitzen Vertreter von Wissenschafts- und Bildungsministerium. Wenn man will, dass der Zertifizierungsrat erfolgreich die Curricula akkreditiert, müsste er unabhängig sein. Außerdem ist geplant, dass dieses Gremium nicht nur die Qualität überprüft, sondern auch Curricula genehmigt. Es ist aber sinnlos, einem Gremium beide Aufgaben zu übertragen. Man kann nicht gleichzeitig die Standards erfinden und ihre Einhaltung kontrollieren.

Wie sollte dann die Lehrerbildung neu aussehen?
Aus der Forschung wissen wir: Es geht nicht so sehr darum, dass ein Curriculum besser ist als das andere. Den Lehrern muss vielmehr mitgeteilt werden, was von ihnen erwartet wird. Sollen sie zum „Techniker“ ausgebildet werden, der das richtige Werkzeug in die Hand bekommt, um Wissen zu vermitteln? So ist das z.B. in den USA – mit der Folge, dass es dort schon online Vorbereitungskurse gibt, die die jeweiligen Techniken erklären. Oder will man Lehrer mit bildungswissenschaftlicher Forschung vertraut machen – dann können sie z.B. in Mathe die binomischen Formeln nicht nur auf eine, sondern auf fünf verschiedene Weisen erklären. Man muss sich halt für eine Richtung entscheiden. Jetzt bringt man Unruhe hinein, ohne eine Richtung vorzugeben.

Mathematik ist ein Angstfach. Etwa 60 Prozent aller Nachhilfestunden entfallen auf Mathematik. Man könnte auch sagen: Das Nichtrechnenkönnen so vieler Schüler ist ein eigener Wirtschaftszweig.

Möglicherweise liegt diese gestörte Beziehung auch daran, wie Mathematik in der Schule vermittelt wird. Nämlich wie eine Fremdsprache, bei der man zwar die Vokabeln lernt, aber nicht, was sie bedeuten. Schüler werden darauf dressiert, Formeln und Rechenvorgänge auswendig zu lernen und stur anzuwenden. Genau das soll sich nach neuen Bildungsstandards ändern: Demnach sollen Schüler künftig auch verstehen, was sie da tun, und warum sie es tun.
Darin steckt natürlich ein Risiko: Dass es nämlich noch mehr Nachhilfestunden geben wird. Andererseits: Hier liegt eine große Chance – für engagierte Lehrer, Mathematik als eine spannende, großartige Wissenschaft zu vermitteln.

Denn Rechnen ist eine wichtige Kunst (sagt einer, der sie zu wenig beherrscht). Das aktuelle Beispiel Salzburg zeigt, wie wichtig.

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