Österreichs Schüler im Dauer-Test

In Wien sollen Testergebnisse Teil der Note werden. Bildungsexperten sind entsetzt.

Tests, Tests, Tests: Noch nie mussten Schüler so oft zu zentralen Prüfungen antreten wie derzeit: Bildungsstandards, PISA oder Salzburger Lesescreening gibt es auf nationaler Ebene. Die Bundesländer lassen sich zusätzlich eigene Tests einfallen: Wiener Lesetest oder der NÖ-Talentecheck. Dem nicht genug: Sogar Tests für einige Schultypen gibt es.

Gegen diesen Prüfungsmarathon regt sich zunehmend Widerstand. „Überflüssig“ urteilt der Wiener Hauptschullehrer Wolfgang Krisch: „Die Ergebnisse sind nicht immer aussagekräftig. Ich weiß von einer Schülerin, die beim Wiener Lesetest per Zufall gut abgeschnitten. Dabei kann sie kaum lesen.“

Ärgerlich sei auch, dass zumindest Teile der Fragen des Lesetests offensichtlich aus Deutschland kommen und österreichische Kinder manches gar nicht beantworten können: „Da wird vorausgesetzt, dass Schüler wissen, wo das Mittelgebirge liegt. Das sagt doch nichts darüber aus, ob ein Kind lesen kann-“

Dass der Test nicht perfekt ist, will Karl Blüml – einer der Väter des Wiener Lesetests – gar nicht leugnen. Er hält ihn dennoch für eine gute Sache. Seine Begründung: „Bisher haben wir es den Lehrern überlassen, festzustellen, ob ein Kind lesen kann. Mit einem wenig erfreulichen Ergebnis. Jedes vierte Kind hat die Schule verlassen, ohne sinnerfassend lesen zu können. Da herrscht Handlungsbedarf“, meint Blüml. „Deshalb haben wir den Test entwickelt, der diagnostiziert, wo die Ursachen für die Leseschwäche eines Kindes liegen. Die Lehrer erhalten eine Diagnose, mit deren Hilfe sie die Schüler individuell fördern können.“

Dass zentrale Tests tatsächlich individuelle Diagnosen erstellen können, glaubt der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann nicht: „Tests wie die Bildungsstandards eignen sich nur als Monitoring. Sie zeigen ein Gesamtbild, also wo österreichische Schüler im Schnitt stehen und welche Ausreißer nach oben und unten es gibt.“ Das könne durchaus sinnvoll sein. „Aber das geht auch stichprobenartig, wodurch man sich viel Geld sparen könnte. Besser man investiert in die individuelle Förderung der Schüler. Allein die PISA-Teilnahme kostet Millionen Euro.“

Keine Diagnose

Für individuelle Diagnosen würden sich zentrale Tests nicht eignen. Denn: „Wie gut ein Kind abschneidet, hängt von vielen Faktoren ab, die weder Lehrer noch Schüler beeinflussen können – vom sozialen, sprachlichen oder kulturellen Hintergrund etwa“, meint Hopmann. Deshalb ärgert ihn der Plan der Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl, die Ergebnisse der Bildungsstandards verpflichtend in die Noten einfließen zu lassen. „Das ist unethisch.“

Lehrer Krisch bezweifelt, dass die Regelung, die schon dieses Schuljahr in Kraft treten soll, gesetzlich zulässig ist. Außerdem widersprächen zentrale Test der Idee der Individualisierung: „Es ist ein entwicklungspsychologischer Unsinn, von jedem Kind einer Altersgruppe zu jeder Zeit Gleiches zur verlangen.“

Auf ein weiteres Problem weist Heidi Schrodt hin. Die Pädagogin und langjährige Begutachterin von Schulbüchern war eine Befürworterin zentraler Tests, weil sie die großen Niveau-Unterschiede an den Schulen störten. Nun muss sie aber feststellen, „dass in Schulbüchern kreative Inhalte oft wegfallen, weil nun mehr auf leicht testbare Kompetenzen wert gelegt wird. Sie sollen trainiert werden. Die Kreativität bleibt da leider oft der Strecke.“

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