Baustelle Kindergarten: Das muss sich in Österreich dringend ändern
Am 29. März versammelte sich das Personal der Wiener Privatkindergärten zum Protest auf den Straßen. Nur eine Woche zuvor demonstrierten Mitarbeiter der öffentlichen Kindergärten gleich in mehreren Bundesländern. Der Frust über die aktuellen Arbeitsbedingungen war bei den Teilnehmern unübersehbar: „Kinder brauchen Knete, wir auch!“ war etwa auf einem der Transparente zu lesen. Frustration, die sich über Jahre aufgestaut hat, erklärt Natascha Taslimi, Vorsitzende des Netzwerk elementare Bildung Österreich (Neboe): „Die elementare Bildung in Österreich wird von Politik und Öffentlichkeit wenig wertgeschätzt. Der Kindergarten ist noch immer bloße Betreuungseinrichtung damit Eltern arbeiten gehen können. Das Recht der Kinder auf Bildung wird dabei zu wenig berücksichtigt.“
Tatsächlich werden in Österreich laut OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ aktuell nur rund 0,7 Prozent des BIP in elementare Bildung investiert. Das ist weniger als im Schnitt der EU (0,8 Prozent). Spitzenreiter sind einmal mehr die skandinavischen Länder: Norwegen mit 2,0 Prozent, Schweden mit 1,8 Prozent und Dänemark mit 1,3 Prozent.
Österreich ist konservativ
Monika Köppl-Turyna ist Direktorin von EcoAustria und forscht zu den Themen öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen und Arbeitsmarkt. Sie erklärt die geringen Investition in heimische Kindergärten so: „Man hat die elementaren Bildungseinrichtungen sehr lange nicht als Bildungseinrichtungen gesehen. Elementarpädagogik ist kulturell nicht stark verankert. Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern ist Österreich hier sehr konservativ.“
Stadt/Land-Gefälle
Das wird besonders im Stadt/Land- oder Ost/West-Gefälle deutlich, weiß Natascha Taslimi: „Das Frauenbild ist in Westösterreich schon noch ein anderes. In Wien sind wir bei den Öffnungszeiten durchgängig, bis auf öffentliche Feiertage. Da punkten wir also sehr gut. Außerdem sind die Kindergärten hier flexibler: Sie richten sich nach den Bedürfnissen der Eltern und sperren teilweise schon um sechs Uhr morgens auf.“ Im Westen hingegen sei es nicht unüblich, die Kinder zum Mittagessen nachhause zu schicken: „Einem modernen Frauenbild unserer Gesellschaft entspricht das nicht.“
Unterfinanzierung
Warum leidet gerade der Elementarpädagogikbereich in Österreich seit Jahren an Unterfinanzierung, regionalen Qualitätsunterschieden und schlechten Rahmenbedingungen für Pädagogen? Der KURIER legt die Finger auf die fünf größten Wunden.
1. Unterschiedliche Qualitätsstandards
Die Verantwortung für die Kindergärten teilen sich in Österreich Bund, Länder und Gemeinden. Jeder ist zuständig, niemand fühlt sich so richtig verantwortlich. Durch dieses Föderalismusgeflecht entsteht laut Andreas Ambros-Lechner, Generalsekretär der MEGA Bildungsstiftung, ein „Fleckerlteppich“: „Von Bundesland zu Bundesland herrschen unterschiedliche Qualitätsstandards. Innerhalb der Bundesländer gibt es dann auch zwischen den Gemeinden noch einmal Unterschiede“, klagt Ambros-Lechner. Es brauche einen bundesweit einheitlichen Mindestrahmen, der sicherstellt, „dass jedes Kind, egal ob es in Wien, Niederösterreich oder Salzburg in den Kindergarten geht, gleich gute Startbedingungen bekommt.“
2. Schlechtes Image
Früher nannte man die Pädagoginnen im Kindergarten noch „Tanten“. Die Mütter standen spätestens nach dem Mittagessen vor der Tür, und überhaupt ging es im Kindergarten vor allem um die Betreuung des Nachwuchses. Damit ist längst Schluss, findet auch Ambros-Lechner: „Wir brauchen grundsätzlich ein anderes Mindset und dürfen den Kindergarten nicht nur als Aufbewahrungsstätte verstehen, sondern als professionelle Bildungseinrichtung.“ Natascha Taslimi vom Neboe schlägt in dieselbe Kerbe: „Man muss die elementare Bildung mit der Schuldbildung gleichsetzen. Dann kommt man auch zum Schluss, dass elementare Pädagogen genau so viel verdienen müssen, wie Volksschulpädagogen.“
3. Gehalt
Apropos: Kindergartenpädagogen leisten einen wichtigen Teil in der Erziehung von Kindern. Ihr Gehalt ist jedoch verhältnismäßig niedrig. Der durchschnittliche Einstiegslohn liegt zwischen 28.000 und 30.000 Euro brutto pro Jahr. Doch auch hier sind die Regelungen von Bundesland zu Bundesland verschieden: „Die Gehaltsschere innerhalb von Österreich beträgt bis zu 600 Euro brutto“, erklärt Taslimi vom Neboe. In Vorarlberg liegt das Durchschnittsgehalt im Monat etwa bei 1.959 Euro brutto, im Burgenland hingegen bei 1.715 Euro. „Es wäre an der Zeit, das Gehalt endlich an das der Volkschulpädagogen anzupassen. Kinder kommen in den Kindergarten und lernen elementare Grundkompetenzen“, argumentiert Walter Elmar, Geschäftsführer der St. Nikolausstiftung in Wien.
4.Fehlende Fachkräfte
Österreichische Kindergärten sind vom Personalmangel besonders betroffen. Susanna Haas, Pädagogische Leiterin der St. Nikolausstiftung führt aus: „Wir müssen schon Personen ohne Ausbildung anstellen. Hier würden wir uns mehr Unterstützung erwarten.“ Dazu kommt, dass aufgrund der unattraktiven Rahmenbedingungen aktuell nur 25 Prozent der ausgebildeten Pädagogen in den Kindergärten bleiben. Große Gruppen und wenig Vorbereitungszeit sind die Hauptgründe: „Wir haben in Gruppen von unter Dreijährigen 15 Kinder mit nur einer Pädagogin plus Assistentin. Gerade Kinder in so jungen Jahren brauchen aber viel Aufmerksamkeit und Bezugspersonen“, kritisiert Haas. Andreas Ambros-Lechner ist außerdem der Meinung, dass es für die weitere Professionalisierung des Berufs, „eine universitäre Ausbildung“ braucht.
5.Fehlende Männer
Knapp zwei Prozent: So verschwindend klein ist der Männeranteil im elementarpädagogischen Bereich. „Hier herrscht eine völlige Unausgeglichenheit. Dabei sind auch männliche Bezugspersonen enorm wichtig für Kinder“, bedauert Ambros-Lechner. Um mehr Männer für den Beruf des Kindergartenpädagogen zu gewinnen, brauche es vor allem gesellschaftliche Anerkennung und bessere Bezahlung. „Auch die Rahmenbedingungen und der Betreuungschlüssel müssen passen. Die Kindergartenpädagogen haben dann auch Lust und Freude, in diesem Beruf zu bleiben.“ Denn mit Kindern arbeiten wollen viele, nur nicht unter den derzeit herrschenden Bedingungen.
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