Jungärzte verlassen Österreich: Haben wir bald einen Ärztemangel?

Jungärzte verlassen Österreich: Haben wir bald einen Ärztemangel?
Warum 30 Prozent der Jungmediziner das Land verlassen und welche Konsequenzen das für unsere Versorgungssicherheit hat, erklärt Med-Uni-Rektor Markus Müller.

KURIER: 542.000 Euro gibt Österreich laut einem aktuellen Rechnungshof-Bericht durchschnittlich für die universitäre Ausbildung von Medizinstudenten aus. Fast ein Drittel der Absolventen ergreift aber nicht den Arztberuf – zumindest nicht in Österreich. Warum, Herr Müller?
Markus Müller: Österreich steht im internationalen Vergleich, sowohl was die Ärztedichte als auch die Absolventendichte betrifft, sehr gut da. Was wir hierzulande aber haben, ist ein Qualitätsproblem bei manchen Rahmenbedingungen, die Attraktivität des Arztberufes gerade im versorgungswirksamen niedergelassenen Bereich im ländlichen Raum ist vielfach nicht gegeben. Ein Allgemeinmediziner erhält beispielsweise heute für einen Hausbesuch weniger als 100 Euro brutto. Das ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß. 

Dabei fehlen uns gerade am Land die Hausärzte. Viele finden keine Nachfolger mehr.
Ja, was aber auch daran liegt, dass die junge Generation eher urban orientiert ist. Ländliche Gegenden, die infrastrukturtechnisch schlecht ausgebaut sind, sind  für viele nicht attraktiv. Die jungen Kollegen sind heute auch mobiler als  noch vor 30 Jahren. Mit einem Universitätsabschluss können diese Kollegen auf der ganzen Welt arbeiten, sie suchen sich heute den für sie persönlich besten Ort aus. Das ist zu oft leider nicht Österreich. 

Die Schweiz, aber auch Deutschland und England, gelten als die Medizin-Auswanderungsländer schlechthin. Was machen diese Länder denn besser als Österreich?
Einiges, das reicht von der Arbeitszeitregelung bis hin zur Bezahlung. Ein großes Thema ist sicher auch die Aufteilung der Arbeit in den medizinischen Berufen insgesamt. Wir haben in Österreich einen sehr gut dokumentierten Pflegemangel. Dieser Mangels wirkt sich  auch auf die Arbeitsbedingungen der Jungmediziner  aus. Viele Tätigkeiten, die in anderen Ländern von Pflege-, technischem- oder administrativen  Personal abgedeckt werden, müssen hierzulande von Ärzten übernommen werden. Die junge Generation will das aber nicht mehr. Sie sagt sich: Ich bin ausgebildet, um ärztlich tätig zu sein, und  keine Sekretariats-, Pflege-, oder technische Kraft.  

Sie haben die Bezahlung angesprochen. Bis 2015 waren die Gehälter angestellter Ärzte in Österreich vergleichsweise niedrig. Mit der Novelle des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KA-AZG) wurden diese um rund 30 Prozent angehoben. Ist das Thema damit nicht erledigt?
Mit dieser Novelle wurde zumindest der Gehaltsunterschied zu Deutschland ausgeglichen. Das ist positiv. In Ländern wie der Schweiz, England, Neuseeland und letztlich auch der USA sind die Ärztegehälter aber nach wie vor  höher als in Österreich.  

Das alles hat dazu geführt, dass wir in Österreich von einem Ärztemangel sprechen müssen?
Einen quantitativem Ärztemangel gibt es so de facto nicht. In den 90er Jahren hatten wir in Österreich rund 20.000 Ärzte, damals wurde von einer Ärzteschwemme geredet. Heute haben wir 45.000 Ärzte in der Ärzteliste und es wird von einem angeblichen Mangel gesprochen. Was wir haben, ist ein massives Verteilungsproblem mit einem starken Stadt-Land-Gefälle im versorgungswirksamen, niedergelassenen Bereich und einem Mangel  in gewissen Fachbereichen. Letzteres hängt auch an ökonomischen Faktoren, sodass wir  beispielsweise keinen Mangel an plastischen Chirurgen haben, aber zu wenige Kinder- und Jugendpsychiater, die dringend benötig würden.  

Ein Problem, das auch die Aufstockung der Studienplätze – bis 2028 werden es schrittweise 200 Plätze mehr – nicht lösen kann.
Richtig, es gibt hierzulande ja keinen quantitativen Mangel an Studienplätzen oder Absolventen, sondern Strukturdefizite in gewissen Versorgungsbereichen. Das ist etwas, das wir als Universität nicht lösen können. Es ist ein Problem, das  im post-graduellen Bereich auftritt. Deshalb muss es auch dort gelöst werden. Wird es das nicht, bringen mehr Absolventen auch nichts.

Der Med-Uni-Rektor

Markus Müller  promovierte 1993 „sub-auspiciis“ an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien und absolvierte danach Ausbildungen zum Facharzt für Innere Medizin in Österreich, Schweden und den USA. 2015 übernahm der gebürtige Kärntner die Führung der Med-Uni-Wien von Langzeitrektor Wolfgang Schütz. Müller ist zudem Präsident des Obersten Sanitätsrats, der das Gesundheitsministerium bei grundsätzlichen medizinischen Fragestellungen berät.     

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