Barbershop-Boom: Warum 21 Friseure fast nebeneinander stehen
„Wir sind schon richtig angefressen“, sagt die Wiener Friseurin Alexandra Jursa und kämmt dabei einer Kundin durch die feuchten Haare.
Seit 45 Jahren ist sie in dem Beruf tätig, aber was sie da erlebt, „das kennt sie so nicht“. Ihr Geschäft befindet sich am Floridsdorfer Spitz, wo sich Brünner Straße und Floridsdorfer Hauptstraße treffen. Wer einmal durch die Gegend spaziert, kann vermuten, was sie meint. Denn aus dem Zählen kam der KURIER gar nicht mehr raus, als er sich an diesem Morgen ein Bild über die Situation verschaffte.
Ein Barbershop reiht sich an den anderen. Wenig Abwechslung bieten die klassischen Friseursalons zwischendurch. Fast lobt man sich die auffallend vielen Bestatter mittendrin. Wer einen Haarschnitt braucht, kann im Umkreis von wenigen Metern locker aus zwanzig Salons wählen. Optisch und preislich sind die meisten nicht zu unterscheiden. Rund 15 Euro zahlt die Kundschaft für die schnelle Frisur. Ein Bart wird auch für weniger getrimmt. Ob sich mit so viel Konkurrenz noch ein Geschäft machen lässt und wie die Stimmung zwischen den Betreibern ist, hat der KURIER erfragt und überraschend ehrliche Antworten bekommen. Sofern der Chef auch auffindbar war.
Konkurrenz belebt (nicht)
„Wir haben keine Konkurrenz“, sagt ein Mitarbeiter des „Kings Friseur“, der sogar zwei Filialen auf die umkämpfte Brünner Straße gepflanzt hat. Schließlich sei man „der Beste“ – allerdings behaupten das an diesem Tag noch mehrere. Als ihn der KURIER auf den weiteren Barbershop direkt gegenüber hinweist, zuckt dieser nur lässig mit den Schultern und lächelt selbstbewusst.
Was ihm nichts auszumachen scheint, ist für andere seit Jahren ein Dorn im Auge. Etwa für Cacan Bozkurt. Vor zwölf Jahren eröffnete er, laut eigener Angabe, als einer der ersten einen Barbershop in dieser Gegend. Das Geschäft hat er mittlerweile an jemanden übergeben, ist aber seitdem angestellt.
„Class Men“ befindet sich auf der Floridsdorfer Hauptstraße und ist bereits gut besucht, als der KURIER unangekündigt vorbeischaut. „Danke, Meister“, sagt ein Stammkunde gerade und legt einen Zwanzig-Euro-Schein auf den Tisch. Bozkurt greift nicht direkt danach, sondern setzt sich zu uns, bietet Kaffee an. Es sind weniger Kunden geworden, klagt er und schreibt das den sechs weiteren Friseuren zu, die sich in seinem Dunstkreis angesiedelt haben.
„Wer rechnet mit sowas“, ärgert er sich. Er ist einer der wenigen Befragten, der die neue Konkurrenz sogar zur Rede stellte und sich nach den Plänen erkundigte. „Zuerst meinten sie, sie würden nur Damenhaarschnitte anbieten“, erzählt der Friseur, der sich auf das Styling von Männern spezialisiert hat. „Doch dann machten sie beides.“ Dreist, fand Cacan Bozkurt und legte Beschwerde bei der Wirtschaftskammer ein. „Wie kann es sein, dass sowas genehmigt wird“, wollte er wissen und glaubte, sich zu erinnern, dass früher im Umkreis von einem Kilometer keine ähnlichen Betriebe eröffnet werden durften.
- Barbershops sind meist Herrenfriseure, die Ihre Einrichtung auf das maskuline Publikum abgestimmt haben. Ein Barbier dürfte nur Barthaare pflegen
- Den Boom erklärt der Floridsdorfer Bezirksvorsteher Georg Papai mit dem Abgang von Handelsketten aufgrund des Online-Angebots. „Da tut sich der Dienstleistungssektor leichter und das merkt man auch am Straßenbild“
- 1.778 Friseure / Barber gab es 2023 in Wien. Vor zehn Jahren waren es noch 1.493
- Die Mindestlöhne liegen im ersten Berufsjahr bei 1.770 Euro brutto (Stand April 2023)
- 2022 lag der Frauenanteil in der Friseurbranche österreichweit bei rund 85 Prozent
Ist das erlaubt?
Einen Gebietsschutz gab es tatsächlich einmal, erklärt der Wiener Friseur-Innungsmeister Marcus Eisinger. „Aber das ist aus dem vorigen Jahrhundert.“ Man könne maximal probieren, mit einer Widmung der Geschäftsfläche die Konkurrenz fernzuhalten, so der Obmann. Allerdings würde das gegen den freien Markt sprechen. An sich ist die Zahl der Friseurbetriebe rund um den Floridsdorfer Spitz nicht auffallend hoch (21 Friseure), zeigt eine Standortanalyse der Wirtschaftskammer. Sie sei vergleichbar mit anderen Gebieten wie der Simmeringer Hauptstraße (19 Friseure) oder dem Standort Märzstraße (18 Friseure), heißt es.
Was aber zu beobachten ist: Die Anzahl der Friseure steigt insgesamt, sagt Eisinger. „Wir nähern uns in Riesenschritten 2.000 Eröffnungen in Wien.“ Und das würde den einzelnen Unternehmern oft Schwierigkeiten bereiten, vor allem wenn das Angebot austauschbar ist. „Es wäre schön, wenn die Innung so mächtig wäre, um den einen oder anderen Betrieb zu schützen, weil die Konkurrenz untereinander teilweise nicht nachvollziehbar ist.“
Preise rauf oder lieber Preise runter?
Bei einem Rundgang durch das Gebiet fallen nicht nur die „Barber-Poles“, die rot-weiß-blauen Stangen sind das Erkennungszeichen der Barbershops, sondern auch die vielen Preisangebote auf. Trockenhaarschnitt um zwölf Euro, die Rundum-Bartpflege um zehn Euro oder das Familienpaket um unschlagbare dreißig Euro. Das ist die Konsequenz der Konkurrenz: „Man schaut, was beim Nachbarn gut geht und geht dann einen Euro drunter“, so Eisinger, „das ist der klassische Marktstand-Effekt.“
Um zehn Euro schneidet Khalil Diyar jedenfalls nicht, stellt er gleich zu Beginn des Gesprächs fest. Vor drei Jahren eröffnete er den „Diyar Barbershop“ auf der Brünner Straße und ließ einige Meter Abstand zu drei weiteren Mitbewerbern. „Eine Prinzipsache“, wie er betont. „Eröffnet jemand direkt gegenüber, ist das eine Provokation.“ Er sieht sich als Geschäftsmann, hat die Preise klar kalkuliert und erkennt: Selbst 20 Euro pro Schnitt sind hart an der Grenze, um die Kosten zu decken.
Wenn sie könnten, würden sie sich nebeneinander aufstellen
„Manchmal lohnt sich ein Arbeitstag für die ganze Woche, dann kommt länger wieder niemand vorbei.“ Für sein größtes Angebot verlangt er fünfzig Euro. Nasenhaaretrimmen, Gesichtsmaske und Augenbrauenzupfen inklusive. Wie sich andere die Dumping-Preise leisten können, kann er nur vermuten. Der Innungsmeister hat jedoch eine Theorie: Friseurbetriebe würden den höchsten Anteil an geringfügig angestellten Männern in der Branche haben, sagt Marcus Eisinger. Nämlich 27 Prozent. „Da wäre interessant, ob das wirklich deshalb ist, weil viele so familienfreundlich sind oder ob man mit dem Modell der geringfügigen Beschäftigung Schwarzarbeit finanziert.“
Auch Khalil Diyar kann sich nur eine geringfügige Aushilfe leisten. „Mehr geht sich einfach nicht aus.“ Denn in sein Geschäft hat er viel Liebe und Geld gesteckt. Er lockt die Kunden mit exzentrischem Stil und Getränken an der großzügigen Bar. Wellensittiche zwitschern im Hintergrund, ein Bild von Kaiser Franz Joseph schmückt die Wand. Warum die Barbershops auf einmal so boomen, kann er sogar erklären.
Khalil Diyar von "Diyar Barbershop"
Der "Diyar Barbershop" in der Brünner Straße
Der "Diyar Barbershop" in der Brünner Straße
Der "Diyar Barbershop" in der Brünner Straße
Der große Boom
Diyar erinnert sich an seine Zeit im Flüchtlingscamp zurück, als er vor zehn Jahren aus Syrien nach Österreich floh. Dort haben viele aus Langeweile begonnen, den Beruf zu üben. Sich gegenseitig zu stylen und das Kapital ihrer eigenen Geschicklichkeit zu nutzen. „Der Job ist toll, die eigene Hand kostet nichts, die Sprache ist anfangs nebensächlich und man macht sich körperlich nicht kaputt“, schlussfolgert Diyar. Er selbst ist gelernter Friseur. Etwas, das keine Selbstverständlichkeit ist, weiß der Wiener Innungsmeister Marcus Eisinger. „Bei den Prüfungen sind viele angelernte Kräfte“, sagt er und bezieht sich auf Nachwuchs-Friseure ohne Lehre. „Die werden immer mehr.“ Ob das einen Einfluss auf die Qualität hat?
Ein gemeinsamer Nenner
Jean Kapli, der Betreiber von „Hairstyle 21“, ist sich dessen sicher. Erst vor drei Monaten eröffnete er seinen Damen- und Herrenfriseur. Übrigens direkt gegenüber von Cacan Bozkurts „Class Men“. Schon jetzt meint er, regen Zulauf zu haben. Vorwiegend von unzufriedenen Klienten, deren Frisuren von der Konkurrenz verhunzt wurden. Tönungen würden bei ungelernten Fachkräften oft in die Hose gehen, erzählt er und auch der Innungsmeister bestätigt: „Gerade wenn Chemie im Spiel ist, passiert schon einiges, das die Kunden dann auch der Innung melden.“
„Hairstyle 21“ ist jedenfalls Jean Kaplis erster eigener Salon, mit dem er gezielt österreichische Kunden ansprechen will. Vielleicht weil die Nachbarin afroamerikanische Haarkunst anbietet und der Markt somit besetzt ist. Um den umliegenden Mitbewerb macht er sich keine Sorgen. Es sei genug für alle da. „Das ist ein wachsender Bezirk mit vielen Einwohnern“, sagt er. Außerdem wird gerade eine Fahrspur auf der Floridsdorfer Hauptstraße aufgehoben und durch einen begrünten Radweg ersetzt. Davon erhofft er sich noch mehr Kundschaft.
Auf die hofft letztlich auch Alexandra Jursa vom „Friseur ELlex“. Sie kann sich aktuell nur auf ihre treuen Stammkunden verlassen.
Die Laufkundschaft wird immer weniger, auch die laute Baustelle vor der Türe ist nicht gerade förderlich. Die Öffnungszeiten musste sie anpassen. Montags ist jetzt zu, umso ärgerlicher, wenn man sieht, dass andere nicht nur die ganze Woche offen haben, sondern teilweise bis in die späten Abendstunden. Um mithalten zu können, erweitern manche Kollegen ihr Angebot, beobachtet sie. Um Kosmetik und Nagelpflege, aber das ist nichts für Jursa. Andere hätten längst kapituliert und zugesperrt.
Dass einer schließt, aber drei neue Friseure aufmachen, lässt Jursa ratlos zurück. Und doch hat sie eine Sache gemein mit allen anderen Konkurrenten der Brünner Straße: Lehrlinge tut sich hier niemand an. Vielleicht weil die Ausbildung langsam zur Nebensache wird oder weil in einem so dichten Gedränge einfach kein Platz mehr ist.
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