Arbeitslosigkeit ist ein Lebensabschnitt

Arbeitslosigkeit ist ein Lebensabschnitt
Sehen Sie die Arbeitslosigkeit als Form von Arbeit, rät Michael Glaser, Leiter der Beratungsstelle Hebebühne.

Ohne Arbeit verliert man allmählich den Boden unter den Füßen. Wie sich Arbeitslosigkeit auf Körper und Psyche auswirkt und wie man der Negativspirale Einhalt gebietet, ehe es zu Isolation und Depression kommt, erklärt Michael Glaser, Arbeitspsychologe und Geschäftsführer der Beratungsstelle Hebebühne in Niederösterreich.

KURIER: Arbeitslose sind faul – denn irgendein Job findet sich immer. Ein Vorurteil oder ist was Wahres dran?
Michael Glaser: Ich kann aus unserer Erfahrung sagen: Der überwiegende Teil der Arbeitslosen ist ernsthaft bemüht, in den Arbeitsprozess einzusteigen. Einige wenige haben sich ihr Leben in der Arbeitslosigkeit eingerichtet.

Wer kommt zu Ihnen in die Beratungsstelle?
Alle Bevölkerungsgruppen. In den letzten Jahren vermehrt Menschen ab 50, die unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden – körperlich, psychisch – und sich schwertun, wieder in den Arbeitsprozess einzusteigen. Für sie braucht es verstärkt Angebote.

Eine AK-Studie zeigt: Arbeit macht psychisch krank. Mit der Arbeitslosigkeit geht es aber auch nicht besser.
Sowohl Arbeitslosigkeit als auch Arbeit können krank machen. In Österreich ist Bildung ein wichtiger Faktor. Je höher die Ausbildung, desto mehr Möglichkeiten habe ich, mir Arbeit zu suchen, die mir entspricht. Sind diese Wahlmöglichkeiten eingeschränkt, wird es belastend. Und: Die Anforderungen in der Arbeitswelt nehmen zu, viele Arbeitnehmer finden sich in prekären Dienstverhältnissen wieder. Studien zeigen, dass diese Unsicherheiten ähnliche Auswirkungen haben wie die Arbeitslosigkeit selbst.

Was sind die Folgen von Arbeitslosigkeit?
Arbeitslosigkeit über drei Monate ist für die meisten Menschen gut bewältigbar. Je länger sie dauert, desto eher kommt es zur Verschlechterung der körperlichen und psychischen Verfassung – zu depressiver Verstimmung, Angst, geringem Selbstwert, Resignation, sozialer Isolation und psychosomatischen Krankheiten – das hängt auch von der psychischen Labilität ab. Hier gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Inwiefern?
Arbeit hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Die Depressionsrate ist bei arbeitslosen Männern höher als bei Frauen. Weil sich Männer mehr mit Arbeit identifizieren, fällt bei ihnen ein Mehr an Selbstwert weg. Sie nehmen Hilfe schwerer an als Frauen, das führt zu Isolation. Aufgrund des Rollenwandels wird das auch auf Frauen zukommen.
 

Wann wird es gefährlich?
Diese Beeinträchtigungen kommen schleichend. Es hilft, ehrlich zu sich zu sein. Wenn man regelmäßig müde, und gereizt ist und überwiegend resignative Gedanken hat wie ,ich finde eh nichts‘ – dann sollte man Hilfe in Anspruch nehmen.

Ein Mangel an Selbstwert ist nicht gerade förderlich für den Bewerbungsprozess. Ein Teufelskreis?
Wenn man sich bewirbt, wird das Auftreten bewertet. In der Regel ist die psychische Verfassung des Bewerbers für den
geschulten Personaler sichtbar. Sich zu verkaufen wird dann schwierig.

Was raten Sie Menschen, die gerade arbeitslos geworden sind?
Im Bekanntenkreis darüber sprechen, sich mit anderen Arbeitslosen austauschen, sich nicht verstecken. Ein Großteil der erfolgreichen Jobsuche passiert über Bekannte, am informellen Markt. Man sollte Arbeitslosigkeit auch als Lebensabschnitt sehen, der die Möglichkeit in sich birgt, sein Leben neu zu gestalten. Und: Die Inanspruchnahme von Hilfe ist ein Recht – man zahlt ja immerhin Arbeitslosenversicherung.

Die Marienthalstudie aus den 1930ern hat gezeigt: Bei längerem Nichtstun verfällt der Arbeitslose in Lethargie.
Neue Studien sehen die finanzielle Belastung als maßgeblichen Auslöser für psychische Probleme. Hat man wenig Geld, muss man sich zwangsweise zurückziehen.

Was tun gegen die Langzeitarbeitslosigkeit?
Angebote im zweiten Arbeitsmarkt müssen weiter ausgebaut werden, damit Langzeitarbeitslose einen schrittweisen Einstieg in den Arbeitsmarkt finden. Es gibt momentan in Niederösterreich vermehrt Bedarf. Ich gehe davon aus, dass im nächsten Jahr die Angebote ausgebaut werden.

Wie bewahrt man nach zig Job-Absagen die Motivation?
Wichtig ist, dass man die Arbeitssuche als Arbeit betrachtet und sich eine Tagesstruktur verordnet. Und man sollte Absagen nicht zu persönlich nehmen – viele Firmen schreiben nicht einmal Absagebriefe.

 

Michael Glaser: Arbeitet mit Menschen ohne Arbeit

Zur Person Michael Glaser ist klinischer und Gesundheitspsychologe, Arbeitspsychologe und Psychotherapeut und Geschäftsführer des Vereins Hebebühne in Tulln. Glaser ist für die Bereiche Finanzen, Qualitätssicherung, EU- Projekte und die Konzipierung und Entwicklung neuer Maßnahmen zuständig.
Der Verein Die Hebebühne bietet kostenlose Beratung für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit gefährdete Menschen und führt Projekte zur Integration von Langzeitarbeitslosen durch. Der Verein hat Standorte in Tulln, Purkersdorf und Krems und wird vom AMS NÖ und Familienministerium finanziert.

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