Klima-Experte Andreas Tschas: "Für Unternehmen wird der Klimaschutz zur Überlebensfrage"
Der Klimaschutz ist eines der größten Themen unserer Zeit. Da müssen alle mit – vor allem auch Unternehmen und die Industrie. Schließlich lautet die Vorgabe in Österreich bis 2040, klimaneutral zu werden.
Das bedarf einer Transformation der Wirtschaft und geht nicht von heute auf morgen.
Weshalb es einen anderen Weg gibt, um „grün“ zu werden: Man kauft als Unternehmen CO2-Zertifikate. Doch leider hat dieses Freikaufen mehrere Haken.
KURIER: Konzerne wie Shell, Netflix oder Disney kaufen sich frei, indem sie CO2-Zertifikate erwerben, damit irgendwo auf der Welt ein Klimaschutzprojekt die Emissionen einspart, die sie weiter ausstoßen. Leider zeigt sich jetzt, dass diese Zertifikate oft wertlos sind. Dahinter steckt also ein großes Geschäft, aber wenig Klimaschutz. Überrascht Sie das?
Andreas Tschas: Ehrlich gesagt nicht. Leider kann man diesen Zertifikatehandel aktuell noch mit dem Wilden Westen vergleichen. Es gibt sehr unseriöse Anbieter. Es gibt aber auch die Guten. Man musste also wirklich sehr genau schauen, den Goldstandard suchen. Aber das Problem sind gar nicht die Zertifikate. Das Problem ist die Einstellung, wie man mit dem Klimawandel umgeht. Und da muss es primär immer darum gehen, zu reduzieren.
Sie haben gar nichts gegen Zertifikate?
Die Reduktion von CO2 muss der erste Weg sein. Zertifikate sind aber ein Teil des Prozesses, um klimaneutral zu werden. Aber nicht, indem man zehn Prozent reduziert und neunzig Prozent über Zertifikate regelt, sondern genau umgekehrt. Viele Unternehmen haben unglaubliches Potenzial, aber für den letzten Teil, wo man wirklich nicht mehr reduzieren kann, da kommen dann die Zertifikate ins Spiel. Ich bin also grundsätzlich kein Gegner der Zertifikate, aber wir müssen aus diesem Wilden Westen raus und brauchen strenge Kriterien. Aber wir sehen: Es wird ohnehin immer strenger. Ich sage: Greenwashing zahlt sich nicht mehr aus. Bei den Energiekosten, die wir haben, bei der CO2-Bepreisung, die kommen wird, ist es gescheiter zu reduzieren und zu transformieren.
Zertifikate sind Instrumente, um den Treibhausgas-Ausstoß zu bewirtschaften und diesen zu reduzieren. Mit der Klimakompensation gleichen Unternehmen durch den Kauf von Co2-Zertifikaten ihre Klimasünden aus und können sich dann als „klimaneutral“ vermarkten. Dabei entspricht ein Zertifikat einer Tonne. Unternehmen können freiwillig Zertifikate kaufen oder werden gesetzlich dazu verpflichtet. Europaweit sind es etwa 12.300, in Österreich 200 Firmen, die von dieser Verpflichtung betroffen sind, darunter die heimischen Top-3-Verursacher Voestalpine, OMV und Wien Energie. Das Geld für die Zertifikate fließt in Projekte, durch die reduziert wird. Leider gibt es hier eine grobe Misswirtschaft, mit Zertifikaten, die wertlos sind, weil kein Projekt dahinter steckt.
Diese Zertifikate sind also bis zu einem gewissen Grad die letzte Hilfe.
Sozusagen. Sie werden auch in Zukunft eine Rolle spielen, aber ich hoffe, nicht die zentrale. Nochmals: Es muss uns allen um die Reduktion gehen. Ein Beispiel wäre der Fleischkonsum: Wenn man im Privaten auf Fleisch verzichtet, ist ein Großteil des CO2-Fußabdrucks weg. Ich habe früher viel Fleisch gegessen, jetzt esse ich es zwei-, dreimal die Woche und mein CO2-Fußabdruck senkt sich dadurch um zwei Tonnen pro Jahr.
Reduktion heißt Transformation, hin zu einem klimafreundlichen Wirtschaften und Leben.
Genau. Ein Vorzeigeunternehmen ist hier Microsoft. Die haben sogar das Ziel, nicht nur klimaneutral zu werden, sondern carbon-negativ. Sie wollen den CO2-Fußabdruck, den sie über die vergangenen Jahre aufgebaut haben, komplett abbauen. Das schaffen sie, indem sie selbst in neue Projekte investieren, etwa in erneuerbare Energien.
Europa soll bis 2050 klimaneutral werden, Österreich sogar bis 2040.
Im Pariser Abkommen haben sich die Staaten der Welt 2015 darauf festgelegt, die Erderwärmung auf höchstens zwei, wenn möglich aber 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Der Weltklimarat IPCC hält in seinem 2022 erschienenen Bericht fest, dass die globalen CO2-Emissionen dafür spätestens 2025 sinken müssen.
Im Juni 2021 hat das EU-Parlament die Klimaziele daher verschärft. Bis zum Jahr 2030 sollen die Treibhausgase der Staatengemeinschaft um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt, bis 2050 soll sogar Klimaneutralität erreicht werden („Fit for 55“). Klimaneutralität wird erzielt, wenn Emissionen auf ein Minimum reduziert und etwaige restliche Ausstöße mit Klimaschutzmaßnahmen kompensiert werden. Dafür wurden im Rahmen des „Fit for 55“-Klimapakets die nationalen Emissionsreduktionsziele aller Mitgliedsstaaten für die sogenannten „Effort-Sharing-Sektoren“ angepasst. Diese sind für rund 60 Prozent der europäischen Emissionen verantwortlich und umfassen Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall und Teile der Industrie.
Für Österreich wurde das nationale Reduktionsziel von 36 Prozent auf 48 Prozent erhöht. Aktuelle Daten des Umweltbundesamts gibt es aus dem Jahr 2020. Laut Fahrplan hätte Österreich 2020 bereits um 47, 8 Millionen Tonnen reduzieren müssen. Tatsächlich waren es nur 46,5 Mio. Tonnen. Bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden, das hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Wie groß ist der Druck für die Unternehmen geworden, sich verändern zu müssen?
Was sich in den vergangenen zwei Jahren getan hat, ist faszinierend. Der Druck nimmt stark zu. Am Anfang wollten es ein bisschen die Kunden. Mittlerweile ist es der Finanzmarkt, sind es die Banken, wenn man einen Kredit haben will. Vor allem aber sind es die Mitarbeiter.
Woher kommt deren Antrieb?
Es ist ein Anliegen der jungen Generation. Es sind deren Kinder, die das Thema immer stärker aufwerfen. Da verändert sich was. Ich bin kein Fan davon, sich auf der Straße anzukleben, ich kann aber nachvollziehen, warum Menschen das machen. Weil sie einfach schon so lange fordern, dass im Klimaschutz endlich mehr passiert.
In der EU passiert viel, in Österreich gibt es einen Fahrplan hin zur Klimaneutralität 2040. Wie ambitioniert ist das? Oder anders gefragt: Wird das was bis dahin?
Es muss was werden. Es gibt keinen Plan B oder keinen Planeten B. Und gleichzeitig ist es sehr ambitioniert. Aber genau das brauchen wir. Wir werden Wege finden, wie wir es schaffen können, weil wir es schaffen müssen. Viele sagen dann: Warum Europa? Was ist mit den Chinesen? Ich glaube aber wirklich, das ist unsere Chance, global zum Vorreiter zu werden.
Was Bill Gates zum Weltklima sagt?
„Nur ein radikaler Umbau kann uns vor der Katastrophe retten“
Bill Gates beschreibt ein Bild, das sich einprägt. Die Atmosphäre der Erde sei wie eine Badewanne, deren Abfluss verschlossen ist, schreibt er in seinem Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“ (aus 2021).
Jedes ausgestoßene Co2-Molekül ist ein Wassertröpfchen, das dazu beiträgt, die Wanne eines Tages zum Überlaufen zu bringen. „Das ist die Katastrophe, die wir verhindern müssen.“ Diese Beschreibung ist aus zwei Gründen nützlich. Es zeigt die Unumkehrbarkeit jeder Emission – und die Notwendigkeit drastischer Maßnahmen. „Der -Ausstoß muss auf null gebracht werden“, fordert Gates.
Der Philantrop und Microsoft-Gründer hat sich für sein Buch die Weltemissionen genau angesehen. Er beschreibt die weltweiten Emissionen von 51 Milliarden Tonnen genau und bricht sie auf fünf Kategorien herunter. 31 Prozent der Co2-Emissionen kommen aus der Produktion von Gütern, vor allem Stahl, Zement und Plastik. 27 Prozent aus der Erzeugung und Übertragung von Strom. 19 Prozent der Co2-Belastung kommt aus der Land- und Forstwirtschaft. 10 Prozent aus dem Transport (Autos, LKW, Flugzeuge, Schiffe). 7 Prozent aller Co2-Emissionen erzeugen wir durch Heizen und Kühlen.
Der Schlüssel für den Klimawandel besteht für Gates darin, „saubere Energie billig und zuverlässig zu machen“. Nur ein radikaler Umbau der Energiewirtschaft und zahlreiche und mutige Innovation können uns vor der Katastrophe retten, auf die die Welt zusteuert.
Klimaschutz ist auch ein Generationenkonflikt. Zeigt sich das auch in den Unternehmen?
Absolut. Und es ist wie beim Brexit: Wer hat dafür gestimmt? Die Älteren. Und wer muss es jetzt ausbaden? Die Jungen, denen Zukunftschancen genommen werden. Ähnlich ist es in Unternehmen, wo wir merken, dass die jungen Leute das einfach anders wollen.
Euer Ansatz ist, Climate-Ranger in den Unternehmen zu findet und die auszubilden.
Ja, das sind jene, die Veränderung vorantreiben wollen. Dabei kommt es gar nicht auf die Position an, sondern dass man wirklich was tun will. Letztlich ist es ganz einfach: Die Firmen, die verstehen, was da jetzt auf sie zukommt und sich transformieren, werden als Gewinner hervorgehen. Firmen, die das nicht verstehen, werden vom Markt verschwinden.
Klimaschutz in Unternehmen ist also keine Angelegenheit einer Abteilung mehr.
Genau. Klimaschutz muss und wird Teil der Unternehmens-DNA werden. Jeder Job ist ein Klimajob. Dazu eine spannende Statistik: für 72 Prozent der Millennials ist es eines der Top-3-Auswahlkriterien bei der Jobsuche, was ein Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit macht. Wenn man also auch in Zukunft die Top-Talente haben will, dann kommt man nicht darum herum, im Klimaschutz aktiv zu werden.
Gibt es Firmen, die hoffnungslos sind? Etwa eine Heizöl-Firma oder ein Fleischproduzent?
Wir hatten eine große Diskussion bei uns im Team, denn es hat sich eine Firma gemeldet, bei der wir nicht sicher waren, ob man mit ihr zusammenarbeiten will. Wir haben uns dann dafür entschieden, weil es um Bewusstseinsbildung und Wissen geht, das wir vermitteln. Wir glauben, jedes Unternehmen, jede Industrie kann sich transformieren. Es gibt etwa einen großen Fleischproduzenten in Deutschland, der verdient mittlerweile mehr Geld mit veganen und vegetarischen Produkten als mit Fleisch.
Mit dem Etikett „klimaneutral“ wollen sich zahlreiche Unternehmen schmücken. Dabei führen ihre Klimaversprechen oft in die Irre. In Wirklichkeit reduzieren die Firmen ihren Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase durchschnittlich nur um 40 Prozent – und nicht um 100 Prozent, wie es Begriffe wie „Nettonull“ und „klimaneutral“ suggerieren.
Eine Studie des NewClimate Instituts aus 2022 hat die Klimaschutzversprechen von 25 der größten Unternehmen weltweit genauer unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Nur die Nettonullzusage einer Firma bekam die Bewertung „angemessene Integrität“. Der dänische Logistikkonzern Maersk, gefolgt von Apple, Sony und Vodafone mit „mäßiger“ Integrität. Die Zusagen von Amazon, Google, Ikea und Volkswagen seien von „geringer Integrität“ und die von Accenture, BMW Group, Nestlé, Novartis und Unilever von „sehr geringer“ Integrität.
Zuletzt sorgte das US-Unternehmen Exxon für Negativschlagzeilen. Eine Studie der Harvard-Universität und des Potsdam-Instituts für Klimaforschung zeigte, dass der Ölkonzern bereits vor 46 Jahren wusste, wie sich sein Tun auf den Klimawandel auswirkt. Die Annahmen habe das Unternehmen jedoch jahrzehntelang bewusst heruntergespielt.
Für Verbraucher ist es nahezu unmöglich zu überprüfen, ob Klimaversprechen glaubwürdig sind. Solange es keine international geltenden, rechtlichen Standards gibt, sind Labels wie „klimaneutral“ oder „klimapositiv“ nicht verlässlich überprüfbar.
Manchmal sind die Lösungen also auch sehr radikal.
Ja, aber dann auch wieder nicht. Es ist sehr individuell und es hat in den Unternehmen immer mit Entwicklung zu tun.
Was macht ihr selbst, um klimaneutral zu sein?
Wir haben sicher eine der strengsten Climate-Action-Policys im Unternehmen. Wir fahren mit dem Zug, fliegen nur in Ausnahmefällen und kompensieren das. Wir reduzieren und versuchen, in allen Bereichen unser Möglichstes zu tun.
Glacier hat eine große Investorenrunde gemacht, ein paar Millionen von namhaften Investoren eingenommen, darunter Namen wie Hansmann, Niessner oder Ihlenfeld und auch ein Lead Investor aus Deutschland. Was habt ihr mit dem Geld vor?
Für uns war das jetzt wichtig. Das Geld wird primär in die Entwicklung fließen. Unsere Mission ist es, 100 Millionen Menschen im Bereich Klimaschutz auszubilden, weiterzubilden und zu ermächtigen. Wir wollen internationalisieren. Nächster Schritt ist jetzt mal Deutschland, Israel wäre ein superspannender Markt. Wir wollen es in die ganze Welt bringen.
Das gesamte Gespräch gibt’s auch zum Nachhören als Podcast auf kurier.at
Unternehmen haben eine soziale, ökonomische und ökologische Verantwortung. Die Buchstaben ESG stehen für „Environmental, Social and Governance“ (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) und sind mittlerweile ein wesentlicher Bestandteil von Unternehmensstrategien. Damit kann man Unternehmen hinsichtlich ihrer Leistungen in diesen Bereichen bewerten. Firmen, die die ESG-Kriterien erfüllen, werden von Anlegern gefördert, die verantwortungsbewusst investieren wollen. ESG-Themen sind mittlerweile aber auch stark bei den Arbeitnehmern angekommen. Sie möchten wissen, welche Werte ihr Arbeitgeber vertritt, welche Maßnahmen initiiert werden und wie sie sich einbringen können. Das ist oft auch ein Kriterium dafür, ob man überhaupt für ein Unternehmen arbeiten will, oder nicht.
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