30-Stunden-Jobs: Wird Teilzeit das neue Vollzeit?
Wenn Carina Hammer aus der Arbeit geht, ist es 14 Uhr. Zeit für Freunde, Sport, den Einkauf oder den Haushalt hat sie damit reichlich. Vor einem halben Jahr begann sie neben dem Job noch eine Ausbildung zur Fitnesstrainerin. „Mit einem 30-Stunden-Job wird vieles möglich“, erzählt die 29-Jährige.
Sie selbst habe nie eine Stundenreduktion eingefordert, es war ihr Arbeitgeber Klaus Hochreiter, der im Oktober 2018 seine Mitarbeiter mit der Idee überraschte. „30 Stunden sind genug“, stand da bei der Präsentation des Konzepts auf einer Powerpointfolie.
„Damit hat wirklich keiner von uns gerechnet. Es hieß nur, man plane da eine Überraschung für uns.“Seither arbeiten sämtliche Agentur-Mitarbeiter maximal 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich. emagnetix hat mit diesem Konzept ein Alleinstellungsmerkmal in der österreichischen Unternehmenswelt.
30 Stunden reichen
Die generelle Einführung einer 30-Stunden-Woche stößt nämlich auf Widerstand – zu teuer, sagen Ökonomen und Arbeitgebervertreter. Längst nötig, finden hingegen Arbeitspsychologen und Gewerkschaften.
Vertreter einer kürzeren Arbeitswoche sind auch die sogenannte Generation Y (1980-1993) und Z (ab 1994). Sie fordern vehement einen Wandel in der Arbeitswelt. Der Tenor: 30 Stunden reichen, Vollzeit-Jobs sind für sie nicht erstrebenswert.
„Für Junge sind Arbeit und Karriere anders definiert“, erklärt Beate Großegger, Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung. „Sie legen Wert darauf, ein Leben außerhalb der Arbeit zu haben. Sie identifizieren sich nicht mehr ausschließlich über ihren Job.“
Arbeitszeit neu überdenken
Die Idee, 30 Stunden als neue Vollzeit zu definieren, ist nicht neu – immer wieder wird darüber diskutiert. Aktuell geben die hohe Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeit der Debatte neuen Nährboden. Erst kürzlich befragte das Karriereportal karriere.at seine UserInnen zur idealen Arbeitszeit. Ergebnis: Jeder Zweite wünschte sich eine 30-Stunden-Woche.
Vorteile sind weitgehend bekannt. Studien belegten, dass eine kürzere Woche nicht nur mehr Freizeit zulässt, sondern die Motivation und Zufriedenheit insgesamt steigert – und damit auch die Arbeitsleistung. Bei Jungen hänge der ausgeprägte Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten auch mit dem Strukturwandel in der Arbeitswelt zusammen, so Großegger.
Atypische Beschäftigung
„Diese ist fundamental anders als die der Eltern. Ihre Arbeitserfahrungen sind häufig geprägt von atypischen Beschäftigungsverhältnissen und Brüchen.“ Wer über längere Phasen hinweg sich von einem befristeten Praktikum oder Job zum nächsten gehangelt hat, ist es gewohnt, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und neue Pläne zu schmieden.
Über befristete Jobs sei ein sozialer Aufstieg nur schwer zu erreichen, so Großegger. Warum sich also aufopfern? „Allerdings darf man da nicht verallgemeinern“, so die Generationenforscherin.
„Während in bildungsnahen Milieus die Selbstverwirklichung und die Sinnfrage im Vordergrund stehen, suchen jene mit mittleren und niedrigen Qualifikationen wieder stärker nach Stabilität, Planbarkeit und Sicherheit. Sie fügen sich den gegebenen Strukturen.“
Vollzeit-Kultur
Mit dem Mindset weniger Arbeit, mehr Freizeit stoßen die jungen, gut ausgebildeten Fachkräfte bei ihren Arbeitgebern vielfach auf Unverständnis. „In Österreich herrscht eine Vollzeit-Kultur auf 40-Stunden-Basis“, erklärt Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien.
Natürlich gebe es Branchen wie den Handel, wo Teilzeitstellen üblich sind, so der Forscher. „Aber in vielen Bereichen ist die Teilzeit eine Abweichung der Norm und damit sofort erklärungsbedürftig.“
Denn, die ältere Generation sei es gewohnt, über Präsenz im Büro ihr berufliches Engagement zu zeigen. „Für sie ist das Ausmaß der Arbeitszeit ein Indikator für Leistung“, so Flecker. „Für Junge hingegen macht effizientes Arbeiten in kürzerer Zeit mehr Sinn. Ältere hocken in ihren Augen die Zeit ab.“
Frage der Leistbarkeit
Aufgrund dieser Rahmenbedingungen gehe man als Berufsanfänger auf Teilzeit-Basis auch Risiken ein, sagt WIFO-Ökonomin Christina Maryhuber. Man wird nicht als volle Arbeitskraft gewertet, erhält weniger Förderungen in der Weiterbildung, hat geringere Aufstiegschancen.
„Zudem verringern sich Lebenseinkommen und Pensionsbezüge“, erklärt Mayrhuber. Eine langandauernde Teilzeitbeschäftigung von 30 Wochenstunden reduziert die Monatspension um rund 20 Prozent. Damit ist es auch eine Frage der Leistbarkeit.
Keine Work-Life-Teilzeit
Insgesamt ist die Teilzeitquote in Österreich laut Statistik Austria mit 28,5 Prozent recht hoch. Allerdings sind es vor allem Frauen (48,5 Prozent), die aufgrund von Betreuungspflichten in Teilzeit arbeiten. Bei Männern ist es primär für eine berufliche Weiterbildung.
Die Möglichkeit in der Arbeit kürzer zu treten, wird von der Wirtschaft also nur für bestimmte Gruppen angeboten. Elternteilzeit, Bildungsteilzeit, Bildungskarenz, Altersteilzeit – „das sind die akzeptierten Instrumente zur Reduzierung der Arbeitszeit“, so Mayrhuber.
Aber für die gewünschte Work-Life-Balance gut ausgebildeter Berufsanfänger? „Dafür gibt es keine Grundlage“.Wer von Beginn an weniger arbeiten möchte, muss sich das ausverhandeln.
Aufwendige Umstellung
Doch das Reduzieren von 40 auf 30 Stunden setzt einige Umstrukturierungen mit sich. Darunter die Veränderung von Arbeitsabläufen, sowie das Einstellen von mehr Mitarbeitern, um eine Arbeitsverdichtung zu verhindern.
„Für Betriebe ist das kurzfristig mit zusätzlichem Aufwand verbunden – und mit höheren Personalkosten“, so Mayrhuber. Je standardisierter Arbeitsprozesse allerdings sind, etwa in der Industrie und Sachgüterproduktion, desto schwieriger sei eine Umstellung.
„Und“, ergänzt Jörg Flecker, „in manchen Branchen gibt es relativ hohe Lohnkosten. Die Gastronomie etwa würde die Verteuerung des Faktors Arbeit härter treffen als andere.“ Allerdings komme die Arbeitswelt langsam in Bewegung.
Zarte Veränderungen
„In Skandinavien nähert man sich allmählich der 30-Stunden-Woche, Vorreiter sieht man auch in der Software- und Hightechbranche, etwa bei der Firma SAP. Hier ist Teilzeit die Regel, Vollzeit wird als Option geboten“, erklärt Kai Anderson, Partner und Gründer von Mercer Promerit.
Um für jüngere Zielgruppen am Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben, können sich Arbeitgeber dem Wandel nicht ewig verwehren. Zu starre Strukturen schrecken den gut qualifizierten Nachwuchs ab, weiß emagnetix-Chef Klaus Hochreiter aus eigener Erfahrung.
„Dienstwagen, Diensthandy und Gratis-Obst locken keine jungen Talente an.“ Erst seit der Umstellung auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich sei bei ihm die Bewerberzahl deutlich gewachsen. „Unser Modell ist nicht in jeder Branche anwendbar. Aber wir haben uns zwei Jahre Zeit genommen für die Umstellung und es hat funktioniert. Und zeigt, was alles möglich ist.“
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