"Jeder möchte etwas leisten. Das hat mit Menschenwürde zu tun"
Man stelle sich ein Krankenhaus vor, in dem die Lifte nicht funktionieren. Schwierig. Aufzugsmonteure sind, wenn auch selten als solche erwähnt, gewiss Teil der sogenannten „Systemerhalter“. Aber was heißt das eigentlich? Nennen wir sie vielleicht lieber Menschen, deren Einsatz gebraucht wird. „Wenn ein Lift eine halbe Stunde nicht geht, dann sieht man, wie schwierig das ist. In Küchen, Großbetrieben und Spitälern, oder auch einfach, wenn Eltern mit Kinderwagen und Einkaufssackerln in den fünften Stock müssen.“ So beschreibt Aufzugsmonteur Walter Genger, was seinem Berufsleben Sinn gibt.
Gebraucht werden ist auch das Motto dieser etwas untypischen 1. Mai-Geschichte, für die wir nicht nur klassische Arbeiter, die ursprüngliche Kernzielgruppe des „Tages der Arbeit“, sondern etwa auch eine Alleinerzieherin porträtiert haben, die neben dem Job noch Haushalt und Kinderbetreuung bewältigt – seit dem Lockdown noch dazu mit Homeschooling, ebenfalls eine ziemliche Herausforderung.
Für andere da zu sein: Das ist auch für Friederike Weissenböck Grund genug, jeden Morgen aufzustehen und sich an die Arbeit zu machen. Seit 36 Jahren übt sie ihren Job für das Arbeitsmarktservice Wien aus. Warum sie das macht, wird die 57-Jährige öfters gefragt. Ihre Antwort darauf lautet: „Für mich ist völlig klar, dass ich für die Leute da sein muss.“
Es gibt Betriebe, die dürfen nicht stillstehen. „Wenn ich Nachtdienst habe, geht die Post ab.“ Seit 17 Jahren arbeitet Starkstromelektriker Walter Genger, 38, als Aufzugsmonteur. Genger kennt viele Wiener Aufzüge. Von Autoaufzügen bis zu jenen in Wurstfabriken oder in der Schnittenproduktion. Er weiß, wie Häftlinge oder Ministerialbeamte auf und ab fahren und kann Windenaufzüge von 1918 ebenso reparieren wie den modernen Durchschnittsaufzug, den „Golf unter den Aufzügen“. Walter Genger ist dort, wo es Probleme gibt. Das Wichtigste: Notbefreiungen. Wenn jemand stecken bleibt. Schafft er es nicht, in einer halben Stunde vor Ort zu sein, ist die Feuerwehr dran. Manchmal wird’s knapp. An Tagen, wo alle Wiener Aufzüge wie geschmiert fahren, wird routinemäßig gewartet. Reinigen, ölen, Batterienwechsel.
Der Tag der Arbeit? „Jeder möchte etwas leisten. Das hat mit Menschenwürde zu tun.“ Was Genger nicht versteht: „Einerseits werden Löhne gedrückt, andererseits jammert man, dass man keine Arbeiter findet.“ Der Wandel in der Arbeitswelt? „Ständig hört man, dass es bestimmte Berufe künftig nicht mehr braucht. Im Supermarkt etwa. Ich bin nicht davon überzeugt. Es gibt Menschen, die sind so allein, dass das Plauscherl bei der Kassa für sie der Höhepunkt des Tages ist. Außerdem finde ich den Gedanken, dass nur hoch qualifizierte Jobs glücklich manchen können, falsch. Was die einen sinnlos finden, gibt den anderen viel. Meine Motivation ist, gebraucht zu werden.“
Sie arbeitet seit 36 Jahren für das Arbeitsmarktservice Wien und übt ihren Job im Erstservice der Bezirksstelle Rudolfsheim-Fünfhaus noch immer mit Leidenschaft aus. „Für mich ist völlig klar, dass ich für die Leute da sein muss“, sagt die AMS-Beraterin Friederike Weissenböck, die der Armut und der Verzweiflung im ärmsten Bezirk Wiens täglich in die Augen blickt. „Da sind viele darunter, die der Lockdown besonders hart getroffen hat.“
Mehr Arbeitslose, mehr Kurzarbeit, mehr Angst vor der Zukunft, mehr Fragen zu neuen Angeboten: Die Arbeit auf dem Arbeitsamt ist in der größten ökonomischen Krise seit Ende des letzten Weltkriegs nachweislich mehr geworden. Die AMS-Beraterin beschwert sich nicht: „In dieser schwierigen Zeit sind wir noch mehr gefragt.“
Ihr gegenüber sitzen oft Menschen, die mit dem digitalen Meldesystem oder mit einer telefonischen Beratung überfordert sind, die sichtlich Ansprache und Zuspruch benötigen. Bis zu 150 Kundenkontakte zählt ihre Abteilung an einem Werktag. Für Angst vor einer Ansteckung mit Covid hatte Frau Weissenböck bisher kaum Zeit.
Die Leiterin eines Teams mit 28 Mitarbeitern und Mutter von zwei Kindern kann wenig aus der Ruhe bringen. Dass es aber noch immer Menschen gibt, die Corona verharmlosen, ärgert sie. Sie hat plausible Gründe dafür: „Unsere Intensiv-Coronastation ist weiterhin voll.“ Die Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Anastasia Pikman arbeitet im Barmherzige Schwestern Krankenhaus in Wien-Mariahilf. Auf der Station für Urologie und Innere Medizin koordiniert und plant sie die Arbeit für ihr Team, ist jederzeit für Anfragen der Patienten da und legt bei Bedarf auch selbst Hand an.
Pikman trägt im Dienst FFP2-Maske, wie 80 Prozent ihrer Kollegen hat sie sich freiwillig impfen lassen. So wie die Patienten werden auch die Mitarbeiter regelmäßig getestet. Mit der neuen Normalität hat sie leben gelernt: „Auch weil sie uns ein Gefühl der Sicherheit gibt.“ Speziell am Anfang gab es Sorgen: „Als wir noch wenig über das Virus wussten.“ Viel habe sich eingespielt. „Selbst das Maske-Tragen.“ Corona hat Substanz gekostet. „Doch die Arbeit im Team gibt mir auch Energie.“
Der Lockdown alleine hat sie nicht aus ihrer Balance gebracht, sagt Michaela Hoheiser-Wiehart auf der Terrasse ihres Ein-Familien-Hauses im niederösterreichischen Hautzendorf. Die Arbeit im Homeoffice war für die Projektleiterin in einem Wiener Marktforschungsinstitut nichts Neues: „Als mein Sohn vier Monate alt wurde, habe ich begonnen, von zu Hause zu arbeiten.“ Heute geht der 16-Jährige ins TGM in Wien.
Neu und herausfordernd war für die Alleinerzieherin die Kombi aus Homeoffice plus Homeschooling: „Am Anfang gab es für uns keine Erfahrungswerte.“
Die Mutter zweier Kinder, ihre Tochter wechselte im September ins Gymnasium in Wolkersdorf, geriet wie viele andere über Nacht unter Druck: „Zuvor waren meine Kinder den halben Tag in der Schule. Das war die Zeit, in der ich in Ruhe arbeiten konnte. Diese Zeit hatte ich plötzlich nur mehr spät abends.“ Dazu kam: „Öfters tat ich mir schwer, die Fragen der Kinder zu beantworten. Als Pädagogin bin ich ja nicht ausgebildet.“
Als sie die Vorzüge des Lockdowns für sich entdeckte („kein Stress in der Früh, weil die Kinder nicht in die Schule mussten“), gab es für sie eine ganz andere Krise. Michaela Hoheiser-Wiehart erzählt von einem „Fehltritt“ ihres Mannes: „Seither leben wir in Scheidung.“ Auch für ihre Kinder ein großer Schock. Immerhin kann sie dem Lockdown heute auch etwas Gutes abgewinnen: „Ich hatte mit meinen Kindern zu Hause viel Zeit, um über alles zu reden. Das hat uns noch mehr zusammengeschweißt.“
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