130 Jahre Tag der Arbeit: Nicht die erste bittere Maifeier
Der 1. Mai 1966 war ein Tag, an dem der SPÖ gar nicht zum Feiern zumute war. Zwei Monate zuvor hatte der sozialistische Innenminister Hans Czettel das Ergebnis der Nationalratswahl verkündet: Mit 48,35 Prozent hatte die ÖVP die absolute Mehrheit. Nicht an Stimmen, aber an Mandaten. Die SPÖ ging in Opposition.
Die Maifeiern im Frühjahr 1966 waren von trotzigem Selbstbewusstsein geprägt: Dicht aneinanderdrängten sich die Menschen auf dem Rathausplatz, auf den mitgebrachten Schildern waren Angriffsparolen zu lesen: „Opposition ist keine Endstation.“ Kurz zuvor hatte der nunmehrige oppositionelle Abgeordnete Bruno Kreisky in einer Parlamentsrede den politischen Mitbewerber wissen lassen: „Bei Philippi sehen wir uns wieder.“
Manche (politischen) Ereignisse scheinen in der Endlosschleife festzuhängen. In regelmäßigen Abständen tauchen sie wieder auf. Etwa die Analyse, dass die SPÖ die Jungen nicht mehr interessiere. Dass die Große Koalition erstarrt sei. Und dass die ÖVP die FPÖ als Mehrheitsbeschaffer verwenden könnte. Das alles hat man 1966 gehört. Und ja, den Philippi-Sager hörte man erst unlängst wieder.
Binnen Jahresfrist löste damals Bruno Kreisky Bruno Pittermann als Parteivorsitzenden ab – und die SPÖ lernte wieder siegen. Bittere Maifeiern blieben der Partei aber auch danach nicht erspart. Etwa in der Bawag-Krise, als ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer am 1. Mai 2006 zur Menge sprach: „Wenn Sie angefressen sind – glauben Sie mir – ich bin es auch.“
Trauerkundgebung
Abgesagt wurden die Feiern zum 1. Mai noch nie – weder nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl wenige Tage vor dem 1. Mai 1986, noch 1981, als der Wiener Stadtrat Heinz Nittel auf dem Weg zur Kundgebung von Terroristen erschossen wurde. Damals wurde aus dem Maiaufmarsch eine improvisierte Trauerkundgebung.
Eine Maifeier, die aus Sicht mancher Teilnehmer vielleicht besser nicht stattgefunden hätte, war der 1. Mai 2016. Damals wurde Bundeskanzler Werner Faymann auf der Tribüne auf dem Rathausplatz ausgebuht. Diesem Tiefpunkt war ein erbitterter Richtungskampf um die Position der SPÖ in der Flüchtlingsfrage vorausgegangen. Den Pfiffen und Zwischenrufen auf dem Rathausplatz folgte wenige Tage später der Rücktritt Faymanns.
Nach einem Intermezzo mit Christian Kern steht mit Pamela Rendi-Wagner seit 2018 die erste Frau an der Spitze der SPÖ. In ihrer zweiten Maifeier hätte es nun wieder um Grundlegendes wie Arbeitszeit und Arbeitsplätze gehen können. Denn mit dem Arbeitszeitflexibilisierungsgesetz von 2017 wurden Zwölf-Stunden-Tage ermöglicht, und die Arbeitslosigkeit hat in der Corona-Krise Rekordausmaße angenommen.
Schon ursprünglich war der 1. Mai ein Kampftag für Arbeitszeitverkürzung. Seine Wurzeln liegen in der Zeit der Industrialisierung, als die Arbeiterschaft sich zu organisieren begann. In Wien von Anfang an mit dabei: die Maiabzeichen – bis heute Tradition. Die rote Nelke im Knopfloch wurde zum Widerstandssymbol des fortschrittlichen Proletariats, der 1. Mai zum „Festtag der Enterbten“, wie es in einer Broschüre der Metallarbeiter hieß.
Ebenso symbolträchtig geworden ist der Marsch über die Ringstraße, der tatsächlich erst seit 1918 stattfindet: Ab da zogen die Sozialdemokraten über die Ringstraße zum Rathaus, dem Symbol der neuen (sozialdemokratischen) Stadtverwaltung. Austrofaschisten wie Nationalsozialisten versuchten später, den Arbeiterfeiertag für sich zu vereinnahmen. Unter Dollfuß und Schuschnigg sollte der 1. Mai dem „dauernden Gedenken an die Proklamation“ der ständestaatlichen Verfassung dienen, unter Adolf Hitler als „Tag der deutschen Arbeit“.
Rapid gewann
Die in der Illegalität agierenden Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter feierten – soweit dies möglich war – weiterhin ihren Tag der Arbeit. Sie riefen, da der Aufmarsch verboten war, stattdessen zu „Spaziergängen“ auf, hissten rote Fahnen auf Berggipfeln und Fabrikschloten oder trafen sich in Wäldern zu Kampfreden für Freiheit und Demokratie.Noch vor Kriegsende in Europa am 8. Mai 1945 gingen am
1. Mai die Menschen in Wien wieder auf die Straße. Ein großer Umzug war zwar verboten, aber in den Wiener Bezirken wurden Befreiungsfeiern abgehalten. Einige zogen auf die Hütteldorfer Pfarrwiese, wo Rapidler gegen eine Auswahl der Roten Armee kickten (und haushoch gewannen).
Seither wurde der 1. Mai in Österreich als „Tag der Arbeit“ jedes Jahr gefeiert. Mit Fahnen, Abzeichen und auch zuletzt immer noch Zehntausenden Besuchern. Mit Blasmusik, Transparenten und Vorfreude auf Bier und Würstel, nachdem man die von der Festbühne winkenden Stadtpolitiker und Gewerkschaftsbosse verabschiedet hat.
„Freundschaft und Glück auf!“ heißt es im Mai 2020 erstmals online only – dafür diesmal mit Bastelanleitung für rote Nelken und Ausschneideschablone für das geschichtsträchtige sozialistische 3-Pfeilesymbol zum Downloaden.
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