Gewerkschafter Hebenstreit: "Wir können uns Lohnzurückhaltung nicht leisten"

Roman Hebenstreit, Vida
Gewerkschafter Roman Hebenstreit über das Problem Teilzeit, potenzielle Pensionskürzungen und die Abfederung der Teuerung.

Die Dienstleistungsgewerkschaft vida ist zuständig für zahlreiche Branchen mit rund 500.000 Beschäftigten.

KURIER: In Deutschland ist das Pensionseintrittsalter ab Jahrgang 1964 auf 67 Jahre angehoben worden. Industriellen-Präsident Georg Knill möchte das Pensionsalter in Österreich auf 70 Jahre anheben.

Roman Hebenstreit: Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie viele 65-Jährige Herr Knill in seiner Unternehmensgruppe beschäftigt. Ich hoffe, ausreichend viele. Realität ist: Wenn wir nicht endlich kapieren, dass wir Beschäftigungsformen für ältere Menschen finden müssen, dann ist das Anheben des Pensionseintrittsalters nichts anderes als eine Pensionskürzung, weil Leute halt länger in der Arbeitslosigkeit sind. Sie sollen nicht dauernd irgendeine Debatte über Pensionsantrittsalter führen. Sie sollen einfach sagen, ich will die Pensionen kürzen und aus. Ich kann es nicht ernst nehmen, wenn mir jemand sagt, ich soll länger arbeiten, aber selber nicht bereit ist, Bedingungen zu schaffen, dass Leute länger arbeiten können, oder gar nicht bereit sind, ältere Menschen aufzunehmen.

Es wird von Arbeitgebern ins Feld geführt, dass die älteren Beschäftigten zu teuer sind.

Ein vollkommener Schwachsinn. Am Ende kostet uns jeder arbeitslose Mensch eine Menge Geld im Sozialsystem. Irgendwie werden wir das finanzieren müssen. Entweder ich setze die Menschen produktiv ein und sage, ich sorge dafür, dass sie im Arbeitsprozess überleben können und existieren können, indem ich Arbeitsbedingungen schaffe, dass man halt mit 65 gewisse Jobs noch machen kann.

Sie orten eine Scheindebatte?

Die Wahrheit ist, die Arbeitgeber wollen sich aus der Verantwortung drücken und schauen zugleich, dass ihre Beiträge, die sie leisten, reduziert werden. Das heißt nichts anderes, als für eine Generation die Altersarmut mit einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters, weil diese Menschen dann einfach länger in der Arbeitslosigkeit sein werden und niedrigere Pensionen haben.

Also sollte man kreative Lösungen finden?

Ich glaube, wir sollten in dem Land mit dem Gejammer aufhören. Jammern ist offenbar das Gebet der Manager. Wir sollten aufhören, uns dauernd nur um die Industrie zu sorgen. Der Dienstleistungssektor macht nicht nur knapp zwei Drittel der Brutto-Wertschöpfung in unserem Land aus, sondern dort sind auch 70 Prozent der Beschäftigten tätig. Der Industrie kann es nicht so schlecht gehen, denn das Aufkommen der Körperschaftssteuer ist stabil. Wahr ist auch, die Industrieproduktivität ist in den vergangenen 25 Jahren um 60 Prozent gestiegen und die Löhne in der Industrie real um 19 Prozent.

Im Dienstleistungssektor gibt es rund drei Millionen Beschäftigte?

Österreich ist ein Dienstleistungsland. Die Wahrheit ist, die Dienstleistung hält uns momentan aufrecht. Dem Dienstleistungssektor geht es relativ gut, er ist stabil und verzeichnet Wachstumszahlen und positive Prognosen.

Also alles gut?

Ich sage es ganz klar, wir können uns vor allem im Dienstleistungssektor, ob es um den Verkehr, den Gesundheitsbereich, die persönlichen Dienstleister, die Gastronomie, die Bewachung, die Reinigung und um die Friseure geht, keine Lohnzurückhaltung leisten. Da geht es um die Kaufkraft. Das sind Segmente, die im unteren Einkommensbereich liegen. Diese Beschäftigten tragen ihr ganzes Geld in die Wirtschaft, weil sie jeden Cent, den sie kriegen, ausgeben müssen für ihre Mieten, den täglichen Einkauf, oder für die Energie.

Also die Kollektivverträge müssen weiter erhöht werden?

Wir brauchen reale Lohnzuwächse, um die Kaufkraft zu stabilisieren. 60 Prozent unseres gesamten Wachstums kommen aus der Kaufkraft in Österreich. Und wenn wir nur daran denken, diese Kaufkraft zu gefährden, dann werden wir ein böses Erwachen haben. Uns werden die Steuereinnahmen fehlen, die der Staat brauchen wird. Uns wird der Konsum fehlen, den wir brauchen werden. Was das langfristig für den Wirtschaftsstandort Österreich bedeutet, mag ich mir ehrlicherweise nicht ausmalen.

Schließen Sie Nulllohnrunden somit aus?

Über eine Nulllohnrunde denke ich gar nicht nach, weil das wäre ja quasi eine Schwächung der Kaufkraft, in dem die Menschen ärmer werden. Die Preise steigen weiter, die Löhne nicht. Mein Ansatz ist ganz klar, im Dienstleistungssektor muss es einen Reallohnzuwachs geben. Die Leute müssen wieder Zuversicht in den Wirtschaftsstandort kriegen und wieder Lebensperspektiven haben.

Ihre vida ist für den Tourismussektor zuständig…

Der Bereich Gastronomie und Hotellerie, wo die Fluktuation so hoch ist, weil zum Teil die Arbeitsbedingungen schlecht sind, ist auch in der Krise stabil gewachsen. In diesen Bereichen werden wir Reallohnzuwächse verlangen. Denn man muss verhindern, dass die Leute aus Angst zu sparen beginnen. Der Dienstleistungssektor kann das Land weiterbringen. Wer das nicht versteht, hat Wirtschaft nicht verstanden.

Aber die Arbeitgeber kontern, wenn die Lohnerhöhungen zu ausgeprägt sind, dass sie Jobs abbauen oder auslagern werden.

Wohin sollen sie diese denn auslagern? Der Dienstleistungssektor kann nicht auslagern. Das sind auch österreichische Arbeitsplätze, die nicht auslagerbar sind.

Aber sie können doch durch Arbeitskräfte aus anderen Staaten ersetzt werden?

In Anbetracht der Arbeitslosenzahlen und der Entwicklung im Tourismus würde ich sagen, eine der ersten Maßnahmen, die jetzt umgesetzt werden muss, ist ein vollkommenes Aussetzen der Saisonkontingente. Außerdem sollten wir der Rot-Weiß-Rot-Karte für diese Berufe streichen. Wir haben Menschen im Land, die diese Arbeit ausführen können. Dem muss man mit steuernden Maßnahmen im Sinne der Kaufkraft und im Sinne der Beschäftigung begegnen. Aber die Saisonkontingente aus Drittstaaten sind ausgeweitet worden. Das ist ein Fehler – wirtschaftspolitisch und arbeitsmarktpolitisch.

Es gibt auch nach wie vor einen Fachkräftemangel…

Wir haben einen Riesen-Fachkräftebedarf, aber man weigert sich halt auch, die Fachkräfte auszubilden. Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Fachkräfte für die Wirtschaft auszubilden. Recruiting ist ja nicht allein Aufgabe des Arbeitsmarktservice. Ich bin für ein Bonus-Malus-System. Unternehmen, die das AMS mehr beanspruchen und letztendlich auch mehr aus der Arbeitslosenversicherungskasse herausnehmen, sollten mehr zahlen. Das ist wie bei der Kfz-Versicherung. Wer mehr Schäden verursacht, dessen Prämie ist höher.

Wenn wir über die Dienstleister sprechen, dann auch über den hohen Anteil an Teilzeit. Ist er zu hoch?

Es gibt Branchen im Dienstleistungssektor, die halt die Teilzeitbeschäftigung zum Geschäftsmodell erhoben haben. Es ist günstiger, drei Teilzeitbeschäftigte zu haben als zwei Vollzeitbeschäftigte. Solange der Mehrarbeitszuschlag bis zur Vollzeit, also bis zur 40. Stunde, günstiger ist als der Überstundenzuschlag, habe ich halt weniger Kosten bei den Beschäftigten. Wenn ich den Mehrarbeitszuschlag auf die Überstunde angleiche, dann schaut das anders aus, dann werden wir wahrscheinlich auf einmal eine Menge an Vollzeitbeschäftigte haben.

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