Kein Nischenmarkt: Ja! Natürlich-Chef erklärt, warum Tierwohl für alle leistbar ist

Schweine
Ein Gespräch über sinkenden Fleischkonsum, den Preis von Tierwohl, Bauernsterben und die Augenauswischerei in der Debatte über Vollspaltenböden

Der Qualitätsmanager erläutert die Unterschiede in Haltung und Vermarktung von Huhn, Rind und Schwein und was langfristige Abnahmeverträge bewirken. Er benennt den „Populismus“ in der Mercosur-Debatte und sagt, was er sich von der Politik wünscht.

KURIER: Das Weihnachtsessen des Jahres 2024 war in nicht wenigen Familien längst vegetarisch bis vegan. Der Fleischkonsum sinkt seit Jahren. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Andreas Steidl: Der Trend wird sich fortsetzen, da gibt es viele Motive, von gesundheitlichen Aspekten bis hin zum Klimaschutz. Mit dem Aufschwung in Zeiten des Wirtschaftswunders ist die Produktion und der Konsum von Fleisch stark gestiegen. Fleisch wurde zum Alltagsprodukt. Jetzt ist wieder mehr Vielfalt gefragt und wir sehen eine Gegenbewegung. Veganer gibt es noch wenige, Flexitarier aber schon sehr viele. Und bei ihnen steht Fleisch aus Tierwohl-Haltung ganz oben am Speiseplan.

Den Händler gefragt, lässt sich der sinkende Fleischabsatz beim Umsatz kompensieren mit Gemüse, Tofu und Körndeln?

Ja, das lässt sich kompensieren, weil sich die Nachfrage ja nur verschiebt. Wir wollen natürlich keine Kunden verlieren und weiten daher das Angebot ständig in alle Richtungen aus. Wir stellen uns dem Trend und bieten zum Beispiel auch immer hochwertigeres Gemüse an. Insgesamt sehe ich das so: Je sensibler ein Produkt wie etwa Schweinefleisch ist und je mehr darüber diskutiert wird, desto reizvoller ist es, einen Veränderungsprozess hin zu mehr Tierwohl mitzugestalten und nicht passiv zuzusehen.

Wie sehr schlägt sich die „bessere“ Tierhaltung eigentlich im Preis für den Konsumenten nieder?

Keine Frage, die bessere Tierhaltung kostet etwas, das gibt es nicht gratis. Sie muss uns auch etwas wert sein. Aber die Faktoren, die in letzter Zeit zu den Preisanstiegen geführt haben, waren andere als die verbesserte Haltung. Das reicht von höheren Energiekosten bis hin zu den starken Marktschwankungen, weil weniger produziert wurde. Schweinefleisch war generell in den vergangenen beiden Jahren sowohl in Österreich als auch in der gesamten EU so teuer wie noch nie.

Konsument und Konsumentin schauen in Zeiten der Teuerung viel stärker auf den Preis. Ist Tierwohl damit nicht zu einem Nischenprogramm verdammt?

Ich werde oft gefragt, ob wir uns Tierwohl überhaupt leisten können. Ich sage darauf, ja. Die Marktschwankungen haben wir uns ja auch leisten können, und die Ausschläge nach oben waren viel stärker als die Aufschläge für bessere Tierhaltung.

Also kein Nischenprogramm?

Auf keinen Fall, bei weitem nicht. Wir reden bei Billa ja schon von Dimensionen von durchschnittlich 50 Prozent und mehr, die wir erreicht haben.

In welchen Produktkategorien ist der Tierwohl-Anteil bereits am höchsten, wo noch am niedrigsten?

Am weitesten sind wir sicher beim Huhn, knapp dahinter das Rind, auch wenn man die beiden Haltungsformen nicht vergleichen kann. Ein Rinderbauer hält mitunter nur fünf Tiere im Nebenerwerb, die Hendlbranche ist ganz anders strukturiert. Es ist in der Praxis einfach wesentlich anspruchsvoller, sich mit 1.500 Rinderbauern abzustimmen als mit 50 Geflügelbauern. Das ist aber unser Job, das müssen wir lösen.

Kein Nischenmarkt: Ja! Natürlich-Chef erklärt, warum Tierwohl für alle leistbar ist

Andreas Steidl

Wie schaut es im Vergleich dazu beim Schwein aus?

Beim Schwein hat die Umstellung anfangs etwas gedauert – vom Genehmigungsverfahren bis zum Umbau, sind längere Umstellungszeiten nötig. Wir sind jetzt aber im Plan. Über alle Fleischkategorien hinweg peilen wir für 2025 einen Tierwohl-Anteil von rund 65 Prozent an. Darin sind die Bio-Schiene von Ja! Natürlich sowie das konventionelle Tierwohl-Siegel Fair zum Tier inkludiert.

Wie kann die Einhaltung der Auflagen bei Importware kontrolliert werden?

Diese Frage stellt sich bei uns nicht, weil Billa zu 100 Prozent Fleisch aus Österreich vertreibt.

Wie sehr ist das Bauernsterben für Sie ein Thema? Gibt es manchmal Lieferengpässe?

Wir haben langfristige Vereinbarungen mit unseren Tierwohl-Bauern und suchen derzeit für dieses Tierwohlprojekt noch zusätzliche Rinderbauern. Zur generellen Entwicklung in der Landwirtschaft: Seit Jahren geht die Zahl der Bauernhöfe zurück, das hängt oft mit der Hofnachfolge zusammen bzw. mit der Frage, ob die nächste Generation die Motivation findet, den Betrieb weiterzuführen. Da spielt oft mit, ob es einen Investitionsstau gibt und ob Jungbauern freie Hand gelassen wird, wenn sie neue Wege einschlagen wollen.

Daran können Sie nichts ändern, oder etwa doch?

Ein Teil der Lösung ist es, langjährige Verpflichtungen mit den Tierwohl-Bauern einzugehen, wie wir das machen. Das gibt die nötige Planungssicherheit für beide Seiten. Und wichtig ist auch, dass wir alle Tiere eines Bauern abnehmen, egal ob sie mager oder fett, groß oder klein sind.

Da ist alles verwertbar?

Ja, wir vermarkten auch alle Bestandteile des Tieres. So kommen wir auch mit den Preisen runter, weil wir eben nicht nur den Lungenbraten anbieten, der sich leicht verkaufen lässt, sondern alles bis hin zum Leberkäs oder bis hin zur Leberstreichwurst.

Wie erleben Sie die Debatte über die Vollspaltenböden in der Schweinemast? Geht das in die richtige Richtung?

Das ist Augenauswischerei, weil da nur über die Übergangsfristen für das Ende der Vollspalten geredet wird, als ob sich danach sehr viel ändern würde. Man muss sich anschauen, wie man mit dem Schwein insgesamt umgeht.

Das bedeutet? 

Dem Tier wird in der bisher üblichen Haltung nicht einmal ansatzweise erlaubt, das arteigene Verhalten auszuleben. Zum Beispiel sind Schweine zu 80 Prozent immer auf Futtersuche: Deshalb gehört das Stroh zum Wühlen fix zu einem Tierwohlstall.

Was ist Unterschied beim Huhn zwischen dem Fair-zum-Tier Siegel zur herkömmlichen Produktion?

Das Fair zum Tier-Huhn hat mehr Platz im Stall, was weniger Stress für das einzelne Tier bedeutet. Zweitens gibt es einen Wintergarten, drittens werden langsam wachsendere Rassen eingesetzt. Bei Bio liegt die Latte in allen drei Punkten noch einmal deutlich höher.

Stichwort Mercosur-Handelsabkommen mit Staaten aus Lateinamerika: Wird man das billigere argentinische Rindfleisch irgendwann auch bei uns im österreichischen Supermarkt finden?

Bei BILLA sicher nicht, weil wir wie gesagt 100 Prozent Fleisch aus Österreich haben. Generell halte ich die Aufregung für total überzogen. Österreich hat beim Rindfleisch einen Selbstversorgungsgrad von 140 Prozent, exportiert also 40 Prozent. Wenn da irgendwann einmal ein paar Lungenbraten aus Argentinien auftauchen sollten, wird das wirklich niemand beunruhigen. Übrigens: Seit Jahrzehnten bezieht die österreichische Landwirtschaft rund eine halbe Million Tonnen an Soja pro Jahr und verfüttert es an die Tiere. Für mich ist die Debatte deshalb reiner Populismus.

Aktuell laufen ja gerade Regierungsverhandlungen. Was wünschen Sie sich von der Politik?

In Zeiten der Budgetsanierung ist es Gebot der Stunde, die Agrarförderung nicht nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, sondern zielgerichtet. Dazu gehört auch die Förderung artgerechter Tierhaltung. Wenn auch außerhalb solcher Tierwohl-Programme, wie wir sie haben, bessere Haltungsbedingungen umgesetzt werden, trägt das zur Bewusstseinsbildung beim Konsumenten bei und das wäre für alle Seiten ein Fortschritt. Geht es nur um Gewinnmaximierung und Rationalisierung, bringt sich die Fleischbranche mit der Zeit selbst um, weil Konsumenten sich abwenden. Die Mindeststandards in der Tierhaltung gehören weiter angehoben, sonst sind die Kunden irgendwann weg.

Zur Person

Andreas Steidl (62)
Der gebürtige Salzburger ist Geschäftsführer der Billa-Eigenmarke Ja! Natürlich (seit 2016)  und Leiter des Qualitätsmanagements bei Rewe International (seit 2005).

Agrarökonomie
Steidl hat in Wien an der Universität für Bodenkultur Agrarökonomie studiert und wurde 1992 promoviert.

Beruflicher Werdegang
Zunächst arbeitete Steidl als Assistent und Lektor auf der Boku, später bei der Agrarmarkt Austria. Seit  2004 ist er bei Rewe.

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