Konsument und Konsumentin schauen in Zeiten der Teuerung viel stärker auf den Preis. Ist Tierwohl damit nicht zu einem Nischenprogramm verdammt?
Ich werde oft gefragt, ob wir uns Tierwohl überhaupt leisten können. Ich sage darauf, ja. Die Marktschwankungen haben wir uns ja auch leisten können, und die Ausschläge nach oben waren viel stärker als die Aufschläge für bessere Tierhaltung.
Also kein Nischenprogramm?
Auf keinen Fall, bei weitem nicht. Wir reden bei Billa ja schon von Dimensionen von durchschnittlich 50 Prozent und mehr, die wir erreicht haben.
In welchen Produktkategorien ist der Tierwohl-Anteil bereits am höchsten, wo noch am niedrigsten?
Am weitesten sind wir sicher beim Huhn, knapp dahinter das Rind, auch wenn man die beiden Haltungsformen nicht vergleichen kann. Ein Rinderbauer hält mitunter nur fünf Tiere im Nebenerwerb, die Hendlbranche ist ganz anders strukturiert. Es ist in der Praxis einfach wesentlich anspruchsvoller, sich mit 1.500 Rinderbauern abzustimmen als mit 50 Geflügelbauern. Das ist aber unser Job, das müssen wir lösen.
Wie schaut es im Vergleich dazu beim Schwein aus?
Beim Schwein hat die Umstellung anfangs etwas gedauert – vom Genehmigungsverfahren bis zum Umbau, sind längere Umstellungszeiten nötig. Wir sind jetzt aber im Plan. Über alle Fleischkategorien hinweg peilen wir für 2025 einen Tierwohl-Anteil von rund 65 Prozent an. Darin sind die Bio-Schiene von Ja! Natürlich sowie das konventionelle Tierwohl-Siegel Fair zum Tier inkludiert.
Wie kann die Einhaltung der Auflagen bei Importware kontrolliert werden?
Diese Frage stellt sich bei uns nicht, weil Billa zu 100 Prozent Fleisch aus Österreich vertreibt.
Wie sehr ist das Bauernsterben für Sie ein Thema? Gibt es manchmal Lieferengpässe?
Wir haben langfristige Vereinbarungen mit unseren Tierwohl-Bauern und suchen derzeit für dieses Tierwohlprojekt noch zusätzliche Rinderbauern. Zur generellen Entwicklung in der Landwirtschaft: Seit Jahren geht die Zahl der Bauernhöfe zurück, das hängt oft mit der Hofnachfolge zusammen bzw. mit der Frage, ob die nächste Generation die Motivation findet, den Betrieb weiterzuführen. Da spielt oft mit, ob es einen Investitionsstau gibt und ob Jungbauern freie Hand gelassen wird, wenn sie neue Wege einschlagen wollen.
Daran können Sie nichts ändern, oder etwa doch?
Ein Teil der Lösung ist es, langjährige Verpflichtungen mit den Tierwohl-Bauern einzugehen, wie wir das machen. Das gibt die nötige Planungssicherheit für beide Seiten. Und wichtig ist auch, dass wir alle Tiere eines Bauern abnehmen, egal ob sie mager oder fett, groß oder klein sind.
Da ist alles verwertbar?
Ja, wir vermarkten auch alle Bestandteile des Tieres. So kommen wir auch mit den Preisen runter, weil wir eben nicht nur den Lungenbraten anbieten, der sich leicht verkaufen lässt, sondern alles bis hin zum Leberkäs oder bis hin zur Leberstreichwurst.
Wie erleben Sie die Debatte über die Vollspaltenböden in der Schweinemast? Geht das in die richtige Richtung?
Das ist Augenauswischerei, weil da nur über die Übergangsfristen für das Ende der Vollspalten geredet wird, als ob sich danach sehr viel ändern würde. Man muss sich anschauen, wie man mit dem Schwein insgesamt umgeht.
Das bedeutet?
Dem Tier wird in der bisher üblichen Haltung nicht einmal ansatzweise erlaubt, das arteigene Verhalten auszuleben. Zum Beispiel sind Schweine zu 80 Prozent immer auf Futtersuche: Deshalb gehört das Stroh zum Wühlen fix zu einem Tierwohlstall.
Was ist Unterschied beim Huhn zwischen dem Fair-zum-Tier Siegel zur herkömmlichen Produktion?
Das Fair zum Tier-Huhn hat mehr Platz im Stall, was weniger Stress für das einzelne Tier bedeutet. Zweitens gibt es einen Wintergarten, drittens werden langsam wachsendere Rassen eingesetzt. Bei Bio liegt die Latte in allen drei Punkten noch einmal deutlich höher.
Stichwort Mercosur-Handelsabkommen mit Staaten aus Lateinamerika: Wird man das billigere argentinische Rindfleisch irgendwann auch bei uns im österreichischen Supermarkt finden?
Bei BILLA sicher nicht, weil wir wie gesagt 100 Prozent Fleisch aus Österreich haben. Generell halte ich die Aufregung für total überzogen. Österreich hat beim Rindfleisch einen Selbstversorgungsgrad von 140 Prozent, exportiert also 40 Prozent. Wenn da irgendwann einmal ein paar Lungenbraten aus Argentinien auftauchen sollten, wird das wirklich niemand beunruhigen. Übrigens: Seit Jahrzehnten bezieht die österreichische Landwirtschaft rund eine halbe Million Tonnen an Soja pro Jahr und verfüttert es an die Tiere. Für mich ist die Debatte deshalb reiner Populismus.
Aktuell laufen ja gerade Regierungsverhandlungen. Was wünschen Sie sich von der Politik?
In Zeiten der Budgetsanierung ist es Gebot der Stunde, die Agrarförderung nicht nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, sondern zielgerichtet. Dazu gehört auch die Förderung artgerechter Tierhaltung. Wenn auch außerhalb solcher Tierwohl-Programme, wie wir sie haben, bessere Haltungsbedingungen umgesetzt werden, trägt das zur Bewusstseinsbildung beim Konsumenten bei und das wäre für alle Seiten ein Fortschritt. Geht es nur um Gewinnmaximierung und Rationalisierung, bringt sich die Fleischbranche mit der Zeit selbst um, weil Konsumenten sich abwenden. Die Mindeststandards in der Tierhaltung gehören weiter angehoben, sonst sind die Kunden irgendwann weg.
Zur Person
Andreas Steidl (62)
Der gebürtige Salzburger ist Geschäftsführer der Billa-Eigenmarke Ja! Natürlich (seit 2016) und Leiter des Qualitätsmanagements bei Rewe International (seit 2005).
Agrarökonomie
Steidl hat in Wien an der Universität für Bodenkultur Agrarökonomie studiert und wurde 1992 promoviert.
Beruflicher Werdegang
Zunächst arbeitete Steidl als Assistent und Lektor auf der Boku, später bei der Agrarmarkt Austria. Seit 2004 ist er bei Rewe.
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