Nach Puten-Skandal: "Tierwohl ist keine Nische mehr"
Üble Tierquälerei bei italienischen Puten, deren Fleisch in Österreich verkauft wurde, hat dieser Tage für Aufregung gesorgt. Betroffen waren die Supermarktketten Spar und Maximarkt.
Was hilft gegen solche Praktiken? Eine strengere Herkunftskennzeichnung, noch ein Gütesiegel? Darüber hat der KURIER mit Andreas Steidl, Leiter der Billa Tierwohl-Programme und „Ja, natürlich“-Geschäftsführer, gesprochen.
Er sagt: „Man darf nicht alles in einen Topf werfen. Beim Geflügel ist Österreich besser, von der geringeren Besatzdichte bis zur gentechnikfreien Fütterung. Da macht die möglichst klare Herkunftskennzeichnung durchaus Sinn.“ Aber der Geflügelbereich sei eher die Ausnahme. „Wir sind nicht überall Musterschüler. Beim Schwein und Rind haben wir kaum andere Voraussetzungen als im Ausland.“
Im Geflügelbereich sei das Huhn aber aus Handelssicht das weitaus stärkere Produkt als die Pute. Hier steige die Produktion und der Selbstversorgungsgrad. „Putenfleisch ist mittlerweile sogar leicht rückläufig, aber das Huhn wächst und wächst. Speziell Brustfleisch wird stark nachgefragt, auch wenn die Keule vielleicht sogar saftiger ist.“
Ein Viertel teurer
Preislich gebe es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Qualitätskategorien bzw. in- und ausländischer Ware. Der Österreich-Aufschlag im Vergleich zur ausländischen Pute betrage in der Produktion 25 Prozent. „Aber der Konsument leistet sich das, wenn er von österreichischer Produktion überzeugt ist.“
Unter Druck gekommen sei in einer Art Polarisierung zwischen Diskont-Ware und hochpreisigerer Ware das mittlere Marktsegment. "Aber jene, die schon früher auf Bio-Qualität Wert gelegt haben, bleiben dabei. Und auch der Anspruch an das hochwertige Produkt steigt, selbst in preislicher Hinsicht.“
Mit dem generellen Rückgang des Fleischabsatzes habe die hohe Inflation nur teilweise zu tun. Da kämen mehrere Faktoren zusammen. Vom veränderten Konsum- und Kochverhalten, wie dem Siegeszug der vegetarischen Ernährung, bis hin zum Bauernhofsterben. Vier von zehn Österreichern essen heute im Vergleich zu vor zwei bis drei Jahren weniger Fleisch. Und im Bio-Bereich haben 2023 fast 1.000 Höfe aufgegeben, zeigt eine AMA-Statistik.
Keine Nische mehr
Steidl: „Normalerweise müsste jetzt der Preis verfallen. Aber die Produktion geht schneller zurück, dadurch steigt der Preis beim Fleisch“. Aber anders als die Landwirtschaft behaupte, leisten sich große Konsumentengruppen Fleisch aus besseren Haltungsbedingungen. „Und da geht sich Tierwohl auch locker aus.“
Freilich müsste das eingebettet sein in eine Gesamtstrategie. „Wenn ich zwei nahezu idente Fleischstücke nebeneinander liegen habe, nur der Preis ist unterschiedlich, wird es nicht funktionieren.“
Billa setzt dazu auf zwei Schienen: die Initiative „Fair zum Tier“ (konventionelle Haltung mit höheren Standards) und die Bio-Schiene „Ja, natürlich“. Beispiel: Schon jedes 5. Huhn sei bei Billa ein Bio-Huhn. „Tierwohl ist keine Nische mehr.“
Tierwohl schon mehr als 50 Prozent
Über das gesamte Billa Fleischsortiment hinweg werden die Produkte beider Vermarktungsschienen noch heuer die 50-Prozent-Marke bei den Verkaufszahlen überschreiten. Beim Huhn liege der „Tierwohl-Anteil“ schon bei 60 Prozent, beim Rind bei 45 Prozent und beim Schwein bei 25 Prozent.
Überall seien - abhängig von den Partnerbetrieben und der verfügbaren Ware – starke Steigerungsraten geplant. Und auch nur für Bio gesprochen gelte, so Steidl: „Bei uns ist Bio nicht am Rückzug, wir kämpfen eher darum die Mengen in der Beschaffung zu bekommen.“
Am schwierigsten sei es im Rinderbereich, wo geplant sei, die Menge in einem Stufenplan in Richtung 75 zu steigern. „Wir gehen aktiv auf die Bauern zu. Die Ochsenproduktion kann für Michbauern eine interessante Alternative zum Zusperren sein.“
Weg vom Turbo-Huhn
Historisch gesehen wäre die Erfolgsstory schlechthin das Ende der Käfighaltung für Legehennen gewesen. „Das haben wir bei Billa schon vor 30 Jahren umgesetzt. Irgendwann ist der gesamte Handel gefolgt. Heute liegt der Anteil von Freiland- und Bio-Hühnern im Handel schon bei 50 Prozent.“
Nun müssten langsamer wachsende Rassen in der Geflügelzucht folgen. Die Debatte über mehr Platz für Hühner greife zu kurz. Es gehe auch um die Turbo-Genetik, bei der ein Huhn vom Kücken bis zur Schlachtung nur einen Monat zu leben habe. „Das müssen wir hinbekommen. Da haben wir wirklich übertrieben und fahren noch mit 180 auf der Autobahn.“
Mehr Ehrlichkeit beim Schwein
„Augenauswischerei“ sieht Steidl bei der Debatte um das Ende der Vollspaltenböden in der Schweinemast. „Da sind wir noch nicht ehrlich genug. Aber dem Kunden ist die Wahrheit zumutbar.“
Auch ohne den Vollspaltenboden bleibe dem Schwein nur eine Bucht zu leben, nötig seien aber zwei bis drei strukturierte Flächen, für den Auslauf ins Freie, für das Spiel im Stroh – so wie es in Tierwohl-Programmen wie "Fair zum Tier" schon jetzt umgesetzt ist.
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