Solange Grenzen, Schulen und Geschäfte offenbleiben, fürchtet Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, den zweiten Lockdown nicht. Der vor Kurzem angekündigte Impfstoff von Pfizer und BioNtech gebe nicht nur den Börsen Auftrieb, sondern mache auch Unternehmen und Mitarbeitern neue Hoffnung.
KURIER: Wie geht es der Industrie mit dem zweiten Lockdown?
Christoph Neumayer: Die Produktion läuft derzeit stabil. Die Frage ist, wie wir den zweiten Lockdown weiter gestalten, damit wir nicht so einen hohen Schaden wie beim ersten haben. Der zweite Lockdown ist anders, es gibt eine geringere Maßnahmenintensität. Produktion, Handel, Dienstleistungen wie Friseure, Kindergärten und Schulen sind offengeblieben. Das ist wichtig. Auch der Waren- und Personenverkehr sind offen, das ist für Österreich als Exportland von hoher Bedeutung.
Im Oktober haben Sie noch gemeint, ein zweiter Lockdown wäre für die Industrie undenkbar.
Wir haben vor einem zweiten Lockdown gewarnt, aber dieser ist ökonomisch nicht mit dem ersten vergleichbar. Wir gehen von viel weniger Schaden aus. Vor dem zweiten Lockdown mussten wir mit 7,6 Prozent Wirtschaftseinbruch rechnen, jetzt werden es 7,8 bis acht Prozent. Bisher sind die ökonomischen Effekte gering, doch sollte der Lockdown länger als bis 6. Dezember dauern, dann steht ein Achter vorne.
Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie?
Die Frage ist, ob Verschärfungen kommen. Das werden wir nächste Woche wissen. Dann schaut natürlich alles anders aus.
Hat man aus dem ersten Lockdown gelernt?
Die Unternehmen haben gelernt, wie man auf betrieblicher Ebene mit diesen Herausforderungen umgehen kann, um die Umsatzeinbußen gering zu halten und neue Umsätze zu erschließen. Wir könnten auch eine dritte und vierte Welle erleben, entscheidend ist, dass wir lernen, wie wir mit Covid-19 leben. Wichtig sind Eigenverantwortung und eine kluge Teststrategie. Auch muss man verpflichtende Corona-Apps diskutieren. Es gibt internationale Beispiele, die zeigen, dass man das soziale und ökonomische Leben weniger einschränken muss, wenn man beispielsweise eine hoch konzentrierte Teststrategie mit Tracing Apps kombiniert.
Welche Auswirkungen auf die Industrie hat die Ankündigung eines Impfstoffs?
Das gibt Hoffnung. Es stellt sich zwar die Frage der Verfügbarkeit, trotzdem ist es ein wichtiges Signal, nicht nur für die Börsen, sondern auch für die Unternehmen und die Mitarbeiter.
Hat die Pandemie jetzt ein Ablaufdatum?
Wenn alles gut läuft, könnte im ersten Quartal nächsten Jahres mit den Impfungen begonnen werden. Allerdings ist noch keine Impfstrategie im Detail definiert. Es ist zu erwarten, dass mit Hochrisikopersonen begonnen wird. Und dann müssen wir schauen, wie sich das nächste Jahr wirtschaftlich entwickelt. Wir sollten durchaus mit einem Wirtschaftswachstum von vier bis fünf Prozent rechnen können.
Man hört, dass viele Unternehmen derzeit kräftig investieren...
Die Investitionsprämie hat sehr positive Effekte. Viele Unternehmen haben zusätzliche Investitionen angekurbelt, das wird sich nächstes Jahr erst richtig entfalten. Investitionsgetriebenes Wachstum muss stattfinden, damit wir die Mehrschulden auf Sicht zurückzahlen können. Das scheint noch machbar zu sein. Wichtig ist, dass wir aus dem ,was immer es kostet‘ herauskommen und sich wieder eine wirtschaftliche Normalität einstellt.
Was bedeutet der Sieg Joe Bidens für die Industrie?
Der US-Markt ist für uns sehr wichtig. Daher ist es auch wichtig, dass es dort eine Regierung gibt, die Multilateralismus und Themen wie den globalen Klimaschutz ernst nimmt und transatlantische Lösungen finden will. Ich hoffe auf ein höheres Maß an Verlässlichkeit und Willen zur Zusammenarbeit. Eine Frage ist, wie die Steuersituation aufgesetzt wird, es sind Steuererhöhungen im Gespräch. Aber in Summe sehe ich das positiv. Es gibt Hoffnung auf ein partnerschaftliches Auftreten. Es braucht eine starke Achse über den Atlantik.
Österreich stand zu Beginn der Pandemie als Musterschüler da, jetzt sind wir weltweit eines der schlechtesten Länder. Muss man die Regierung dafür kritisieren?
Wir müssen uns alle in die Pflicht nehmen. Über den Sommer hat die Disziplin nachgelassen. Es wurde viel über die kommenden Herausforderungen gesprochen, aber viele haben sich nicht an die Regeln gehalten. Es gab anfangs Kritik, dass die Regierung zu viel Angst schürt, später, dass sie zu zurückhaltend geworden ist. Aber das ist vergossene Milch, die Verantwortung tragen wir alle.
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