Die KV-Verhandlungen in der heimischen IT-Branche stocken, die Gewerkschaft ruft kommende Woche zur Demo. Software-Unternehmer und Gewerbevereinspräsident Peter Lieber fordert im KURIER-Interview eine Totalreform des KV, erläutert wie ChatGPT das Programmieren verändert und warum es zu wenig Nachwuchs gibt.
KURIER: Die Gewerkschaft meint, die IT-Branche sei keine Krisenbranche und fordert eine Gehaltserhöhung um 9,75 Prozent. Zu Recht?
Peter Lieber: Wir haben in der IT-Branche mit 2.400 Euro eines der höchsten Einstiegsgehälter und viele Spitzenverdiener. Im Schnitt wird 500 Euro über Kollektivvertrag bezahlt. Es braucht also kaum jemand jammern, dass er zu wenig verdient.
Welche Folgen hätte ein hoher Abschluss?
Die Preise zu erhöhen ist vor allem in der Software-Branche nicht immer möglich, da gibt es mitunter langfristige Software-Verträge, etwa mit der öffentlichen Hand. Da wird mit Preisgarantien gearbeitet, die eine Gehaltserhöhung erschweren. Es müssten also Personalkosten, sprich Personal, eingespart werden.
Der Ruf nach flexibleren Lösungen wie sozialer Staffelung oder Freizeitausgleich ist auch beim IT-KV groß. Geht da zu wenig weiter?
Ich bin dagegen, dass mit der Gießkanne drüber gefahren wird und alle dieselbe Gehaltserhöhung bekommen. Der KV muss noch viel flexibler werden, vor allem bei der Arbeitszeit. IT-Berufe sind Kreativberufe, und Kreativität kann man nicht ein- und ausschalten. Es gibt junge Leute, die wollen nur vier Tage in der Woche arbeiten, dafür das ganze Wochenende durcharbeiten oder acht Wochen am Stück Urlaub machen. Mehr Flexibilität ist vielen wichtiger als mehr Geld. Mit dem jetzigen Rahmen muss da teilweise arbeitsrechtlich herumgetrickst werden.
Wird Künstliche Intelligenz, Stichwort ChatGPT, viele IT-Jobs überflüssig machen?
Die Berufe werden sich verändern. ChatGPT kann einfach viel schneller und schöner programmieren als ein einzelner Mensch. Das Codezeilenschreiben wird damit völlig überflüssig. Der klassische Programmierer im Sinne von Codierer stirbt aus. Die KI braucht aber Menschen, die Ergebnisse verifizieren und bewerten können, das kann nicht automatisch erfolgen. Ich warne davor: ChatGPT ist ein Multiplikator von Scheinwissen.
Die KI weiß auf alle Fragen immer eine Antwort …
Eben. Irgendwann fängt die KI zu lügen an, weil sie jede Frage immer beantwortet. Sie will nie sagen, ich weiß es nicht, wie eben wir Menschen auch. Sie ist überraschend menschlich …
Welche IT-Qualifikationen wird es stattdessen mehr brauchen?
Den Prompt-Engineer etwa. Die machen sich Gedanken, wie ich frage, damit ich die richtige Antwort bekomme. Es wird aber auch bei KI zur Standardisierung kommen, und am Ende werden die Big Five der IT-Branche als Anbieter übrig bleiben.
Braucht die Branche dann überhaupt noch die Tausenden IT-Fachkräfte, die aktuell fehlen und aus Drittstaatenländer kommen sollen?
Die Hochqualifizierten gehen gar nicht nach Österreich, sie verlassen Österreich eher. Die Inder gehen etwa nach Großbritannien oder Deutschland, nicht nach Österreich. Es geht eher darum, die Wertschöpfung in Österreich zu behalten.
Apropos Nachwuchs: Die IT-Branche bildet aber immer noch viel zu wenige Lehrlinge aus. Woran liegt das?
Ja, leider. Es gibt in unserer Branche eine überhebliche Erwartungshaltung an das staatliche Bildungssystem, dass da fertig ausgebildete Software-Entwickler oder Ingenieure herauskommen. Aber Bildung ist noch lange keine Ausbildung. Es kann eben nicht jeder oder jede Software-Entwickler oder -Entwicklerin werden.
Warum nicht?
Die Schule kann nur wichtige Grundlagen schaffen. Die unterschiedlichsten Anforderungen in einem IT-Beruf können aber nur in der Praxis erlernt werden.
Die Branche wird aber von Ein-Personen-Unternehmen dominiert und diese bilden keine Lehrlinge aus …
Warum eigentlich nicht? Ich kann mir das schon vorstellen, etwa in Form eines ständigen Begleiters, wie ein Padawan bei Star Wars (ein Padawan ist bei den Jedi-Rittern ein Schüler, der von einem ausgebildeten Jedi unterrichtet wird; Anm.). Das würden schon einige tun wollen, aber die Voraussetzungen müssten erst geschaffen werden.
Sie haben im Gewerbeverein mit Ausbildungsverbünden für die geteilte Lehrlingsausbildung begonnen. Was ist daraus geworden?
Wir haben 22 Lehrlinge im Verbund aus Konzernen, KMU und Start-ups ausgebildet. Die Zukunft liegt in Ausbildungsverbünden, weil in unserer Branche alle Unternehmen spezialisiert sind und daher ein Betrieb gar nicht mehr alles ausbilden kann, was am Markt nachgefragt wird. Hier muss noch mehr kooperiert werden. Wer keinen Nachwuchs ausbildet, hat als Unternehmen keine Zukunft, und die Wertschöpfung in Österreich geht verloren. Von Einzelkämpfern bleibt nur die Asche übrig.
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