Internationales Gedränge um Öl- und Geldhahn der Saudis

Boris Johnson beim saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.
Klinken putzen in Saudi-Arabien. Für westliche Wirtschaftsdelegationen und Politiker gehört das zum aktuellen Programm. Diese Woche war auch der britische Premier Boris Johnson beim saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman vorstellig, was Johnson heftige Kritik einbrachte. Er würde auf der Suche nach billiger Energie sämtliche Moralvorstellungen über Bord werfen und einem „Diktator“ schmeicheln, der gerade mehr als 80 Menschen an einem Tag hinrichten ließ. Und dann komme er auch noch mit leeren Händen nach Hause. Also ohne Zusage der Saudis, den Ölhahn weiter aufzudrehen, so die Kurzversion der Vorwürfe. Damit ist das Spannungsfeld zu Saudi-Arabien umrissen – Moralvorstellungen versus wirtschaftliche Interessen. Letztere gehen weit über die Ölfelder hinaus.
Etwa zu dem staatlichen Investitionsfonds, den das Königshaus mit 580 Mrd. US-Dollar befüllt hat. Dieser soll die Abhängigkeit von Öl- und Gas verringern. Ausgerechnet in Saudi-Arabien. Und bis zum Jahr 2030. Bis dahin sollen 50 Prozent der Energie aus Erneuerbaren kommen, also aus Solar- und Windkraft und in weiterer Folge aus grünem Wasserstoff. Sonne, Wind und Geld gibt es vor Ort zur Genüge, was fehlt, ist das Know-how westlicher Partner. Diese stehen bereits Schlange. Vorige Woche waren etwa Delegationen aus Griechenland, Österreich und Belgien in Riad, chinesische Geschäftsleute sind omnipräsent.
Aber darf man sich bei einem Land anbiedern, das Menschenrechte derart mit Füßen tritt? Georg Pöstinger, Österreichs Botschafter in Riad, hält bei aller Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien, wenig von solch verkürzten Argumenten. Viele würden über die Fortschritte, die das Land wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell durchmacht, nichts wissen.

Auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck war kürzlich in Saudi Arabien.
Durchgesprochen habe sich lediglich, dass Frauen in Saudi-Arabien seit 2018 Autofahren dürfen, das sei aber ein Nebenschauplatz. „Das Schul- und Rechtssystem, das öffentliche Leben, alles wird reformiert“, sagt Pöstinger, der seit 2019 österreichischer Botschafter in Riad ist und schon von 2010 bis 2014 vor Ort war. Zwischen seinen Aufenthalten liege ein unglaublicher Entwicklungssprung: „Bei meinem ersten Aufenthalt gab es überall, von Banken über Unis bis zu Lokalen und Büros, Geschlechtertrennung, auf der Straße eine Sittenpolizei. Das alles ist Geschichte.“ Die vom Kronprinz ausgerufene Vision 2030 würde nicht nur die Wirtschaft, sondern die gesamte Gesellschaft umkrempeln.
Österreicher als Statistik-Chef
Das beobachtet auch Konrad Pesendorfer. Er ist der Exot im saudischen Staatsapparat, in dem es so gut wie keine Ausländer gibt. Vor zwei Jahren wurde der Österreicher und Ex-Chef der Statistik Austria zum obersten Statistiker in Riad berufen und so Chef von 1.100 Saudis. „Aus statistischer Sicht kommen wir gerade von der Steinzeit in der Neuzeit an“, sagt Pesendorfer, der unter anderem dafür gesorgt hat, dass die Berechnungen des saudischen Bruttoinlandsprodukts nicht mehr mit einer zeitlichen Verzögerung von 90 Tagen vorliegen, sondern binnen 45 Tagen. „Für das Monitoring, ob man bei der Erreichung der Ziele am richtigen Pfad ist, sind valide Zahlen nötig, deswegen fordert die Regierung diese jetzt ein.“

Der ehemalige Chef der Statistik Austria, Konrad Pesendorfer.
Mitunter auch um zwei Uhr nachts. „Man arbeitet hier rund um die Uhr“, sagt Pesendorfer. Allerdings zu hohen Gehältern und ohne Einkommenssteuer an den Staat abzuliefern. Als er vor zwei Jahren begonnen hat, gab es in seinem Amt eine strenge Trennung von männlichen und weiblichen Kollegen. „Sie haben zwar in Teams zusammengearbeitet, durften sich aber nicht sehen und haben in unterschiedlichen Gebäudetrakten ihre Büros gehabt.“ Das sei Geschichte.
Genauso wie die Zeit, in der Frauen in Meetings nichts zu sagen hatten. Pesendorfer: „Viele Frauen sind besser qualifiziert als Männer und bekommen jetzt entsprechende Jobs.“ Die Zeit, in der man in einem Amt eine ruhige Kugel schieben und nach 20 Jahren in Pension gehen kann, sei vorbei. Es gäbe jetzt Jahresverträge, wer nicht performt, fliegt raus. Das würde viele ängstigen. Doch die Jungen (70 Prozent der Bevölkerung sind unter 40 Jahren) stehen hinter der ausgerufenen Vision 2030 und dem damit verbundenen Wandel, sagen Beobachter.
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