Bremst Klimapolitik das Wachstum? „Stagflation“ als reale Gefahr
Die deutsche Wirtschaft ist im Schlussquartal 2021 leicht geschrumpft, aber die Inflation bleibt hoch – auch in Österreich. Es wundert daher kaum, dass die Debatte über eine drohende „Stagflation“ – eine gefährliche Kombination aus wirtschaftlicher Stagnation bei gleichzeitig hoher Inflation – erneut aufflammt.
Der Ökonom und Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, warnt in einem Interview mit der Welt vor einer ähnlichen Entwicklung wie in der 1970er-Jahren, als Automation und Ölpreisschock zu einer Phase mit Entlassungen, Pleiten und dauerhaft hoher Arbeitslosigkeit geführt haben.
Nicht sofort, aber im Laufe der nächsten Jahre könne es wieder zu einer solchen „Stagflation“ kommen, wenn die Energiewende und notwendigerweise steigende CO2-Preise die Inflation anheizen, gleichzeitig aber das Wachstum in Europa mehr und mehr versiegt. Hüther: „Unsere Klimapolitik kann eine Stagflation auslösen.“ Dazu komme der Fachkräftemangel als zweiter langfristiger Preistreiber.
Und, so Hüther: „Das Risiko, dass die EU-Volkswirtschaften kaum noch wachsen, ist real. Dann nämlich, wenn wir die Transformation der Wirtschaft nicht hinbekommen und die Unternehmen in der Energiewende überfordern.“
Grundsätzlich sei ein solches Stagflations-Szenario ab der Mitte des Jahrzehnts nicht auszuschließen, sagt auch Wifo-Experte Josef Baumgartner im Gespräch mit dem KURIER. Bis es so weit komme, habe die „Wirtschaftspolitik aber noch ein Wörtchen mitzureden“.
Wachstumsanreize
Die Politik könne beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt versuchen, den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen, in dem etwa das Beschäftigungspotenzial bei Frauen und Älteren besser ausgeschöpft wird. Die Politik könne gleichzeitig versuchen, die Energiewende so vernünftig umzusetzen, dass die Wirtschaft eben nicht überfordert werde und sie könne auch für hohe Investitionen in Forschung, Bildung oder Digitalisierung sorgen, um das Wachstum in Europa nachhaltig anzukurbeln.
Höhere Teuerung
Das Kunstwort bezeichnet eine gefährliche Kombination aus wirtschaftlicher Stagnation trotz steigender Preise (Inflation). Dieses Phänomen ist selten, führt aber wenn es eintritt zu hoher Arbeitslosigkeit und ist wirtschaftspolitsch schwer in den Griff zu bekommen. Stagflation wurde in den 1970er Jahren im Zuge der Ölkrise in fast allen westlichen Volkswirtschaften beobachtet.
Die aktuelle Wifo-Mittelfristprognose für die Jahre 2022 bis 2026 gibt jedenfalls vorerst keinen Grund zur Sorge. Die Inflation werde mit Raten zwischen zwei und drei Prozent zwar tendenziell höher sein als in der Jahren seit 2010 (unter zwei Prozent). Aber es werde weiterhin ein Wirtschaftswachstum geben, auch wenn es schwächer werde. Eine Stagnationsphase sei also nicht wirklich in Sicht.
In Zahlen: Heuer erwartet das Wifo dank eines absehbaren Konsumbooms eine Spitzenkonjunktur mit einem Wachstum von rund fünf Prozent. Bis 2026 wird freilich nur noch ein Durchschnittswachstum von 2,6 Prozent angenommen, weil die Wachstumsraten bis auf 1,8 Prozent absinken werden.
Um hier gegenzusteuern, empfiehlt Hüther den Corona-Wiederaufbaufonds zu einem dauerhaften Investitionstopf umzubauen. Ähnliche Vorstellungen haben auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Premier Mario Draghi ventiliert. Hüther schwärmt: „Die EU als Investitionsunion. Das wäre großartig.“
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