Neumayer: "Die Ideologiegetriebenen haben Oberwasser"

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung
Industriellenvereinigung. Generalsekretär Christoph Neumayer kritisiert den Populismus in den Arbeitnehmervertretungen.

Von den Deutschen könne man sich einiges abschauen, findet IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.

KURIER: Der Wiener AK-Direktor Christoph Klein forderte im KURIER-Interview, den Standort nicht krankzureden, und meinte, die Industrieproduktion sei seit 2010 in Österreich stärker gestiegen als in Deutschland. Sind wir besser als unser Ruf?

Was die Lohnstückkosten betrifft, haben wir leider in den vergangenen zehn Jahren teilweise massiv gegenüber unseren Mitbewerbern verloren – auch gegenüber Deutschland.

Klein sagt, dass die Industrie-Arbeitskosten pro Stunde in Österreich deutlich niedriger liegen als in Deutschland.....

......aber die Arbeitszusatzkosten sind in Österreich weit höher, beweisen die Eurostat-Daten. Das belastet unsere Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere bei den Zulieferern nach Deutschland, und dämpft zugleich die Kaufkraftzuwächse bei den heimischen Beschäftigten. Demgegenüber haben die Deutschen eine höhere Autonomie auf Betriebsebene und mehr Flexibilität.

Dafür haben die Deutschen den Mindestlohn eingeführt.

Der ist für Industrie und Kreditwirtschaft aber kein großes Thema, weil wir kollektivvertraglich ja über den Mindestlohngrenzen liegen.

Die Regierung hat im Vorjahr 319 Unternehmen nach Österreich gebracht. So schlecht kann der Standort nicht sein.

Jede Ansiedelung ist wichtig und ein Gewinn für alle. Gleichzeitig gibt es aber eine nicht zu unterschätzende schleichende Abwanderung. Ziel muss es sein, neue Unternehmen nach Österreich zu holen und die, die da sind, zu halten und zu Investitionen und Schaffung neuer Arbeitsplätze zu ermutigen. Das wird nachhaltig aber nur mit den längst ausstehenden Reformen funktionieren. Die Regierung hat positive Schritte gesetzt, aber die großen Dinge fehlen noch.

Die da wären?

Arbeitskosten, Arbeitszeitflexibilisierung. Und wir verstehen nicht, dass man zwar Firmen bis 250 Mitarbeitern, nicht aber den Leitbetrieben im Rahmen des Wirtschafts- und Arbeitspakets ein Investitionssignal gegeben hat. Bei der Deregulierung fehlt einiges. Wenn man dann auch noch bei der Körperschaftssteuer mutige Signale setzte, würde sich die Stimmung drehen.

Auf welches Niveau sollte die Köst sinken?

Wir waren in den 2000er-Jahren Avantgarde mit einem Sprung von 34 auf 25 Prozent. Jetzt sind wir vom besten wieder ins schlechteste Drittel gerutscht. Bei der Tarifreform haben wir eine Senkung der Lohnsteuerbelastung um neun Prozent. Die Köst-Einnahmen sind um 15 Prozent gestiegen. Ein Signal an die Unternehmen wäre also nur fair.

Welche Höhe stellen Sie sich konkret vor?

Entweder Senkung Richtung 20 Prozent oder, was noch besser wäre: die Köst auf die nicht entnommenen Gewinne von 25 auf 12,5 Prozent halbieren.

Sie fordern vom Sozialminister auch eine weitere Senkung des Dienstgeberbeitrags zum Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF).

Die Senkung ist gesetzlich geboten, wurde vom Sozialminister bisher aber nicht umgesetzt. Möglicherweise will Minister Stöger dafür etwas politisch abtauschen. Diese Abtauschmentalität lehnen wir grundsätzlich ab. Der Fonds hat Überschüsse von rund 400 Millionen Euro erwirtschaftet. Wir wollen eine Beitragssenkung von 0,1 Prozentpunkten, das wären etwa 100 Millionen Euro weniger.

Stöger und die Arbeiterkammer fordern auch Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich von 38,5 auf 36 Stunden.

Weil ein Softwaretechniker weniger arbeitet, wird kein Pflichtschulabsolvent einen Job bekommen! Das wäre eine "postfaktische" Maßnahme und außerdem eine horrible Belastung für die Firmen, die sie zwischen acht und 12 Milliarden Euro kosten würde. In Frankreich ist dieses Experiment gescheitert. Die Finnen haben sich entschieden, zwei Stunden mehr zu arbeiten.

Die Finnen probieren jetzt auch das bedingungslose Grundeinkommen aus. Ihre Meinung?

Ich weiß nicht, ob es der Gesellschaft dient, wenn man den Menschen signalisiert, sie nicht zu brauchen. Zweitens ist es nur finanzierbar, wenn alle Sozialleistungen hineingepackt werden.

Die Produktivität steigt ständig: Hat nicht die AK recht, die findet, dass Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern immer mehr ausgepresst werden?Die Produktivität wächst drastisch langsamer als vor der Finanzkrise, das schränkt den Verteilungsspielraum ein. Wir brauchen ganz andere Hebel: Bildung, Bildung, Bildung sowie mehr Innovationen und hohe Flexibilität. Das ermöglicht höherwertige Produkte und steigert die Produktivität.Derzeit haben in den Arbeitnehmervertretungen die Ideologiegetriebenen Oberwasser, was den Populisten insgesamt in die Hände spielt. Die Sachpolitiker, die es auch gibt, werden immer weniger.

Drücken sich viele Firmen nicht tatsächlich vor Verantwortung, indem sie die Leute möglichst früh in Pension schicken und dem Rest immer mehr Arbeit aufbürden?

Wir wollen mehr Flexibilität und nicht, dass Überstunden gestrichen werden und die Menschen in Summe mehr arbeiten müssen. Bei einem Projekt, das fertigwerden muss, sollte man nicht ständig mit Gesetzesübertretung bedroht sein. Andere Staaten, etwa Skandinavien, definieren die Arbeitszeit über Ruhezeiten, der Rest ist vollkommen frei. Wir haben ein extrem enges Korsett.

Und die älteren Arbeitnehmer?

Da hat schon ein Umdenken stattgefunden, weil es an Qualifizierten fehlt. Wichtig ist, die Gehaltskurve im Alter abzuflachen, da gibt es schon Ansätze in Kollektivverträgen. Außerdem muss es attraktiv sein, im Job zu bleiben.

Eine Problemgruppe am Jobmarkt sind auch die Flüchtlinge.

Wir haben gefordert, sie früher in den Arbeitsmarkt zu integrieren und konsequenter auf ihre Qualifikationen zu schauen. Das Thema wird uns noch lange begleiten.

Welche Qualifikationen sucht die Industrie?

Händeringend werden Softwaretechniker, Datenanalytiker, Programmierer gesucht. Ebenso Lohnverrechner: Wegen der vielen Gesetzesänderungen ist der Beruf immer anspruchsvoller geworden. Ein Mangel herrscht auch an Schweißern, Elektroinstallateuren, Werkzeug- und Stanzenmachern. Daher waren wir unglücklich darüber, dass einige massiv nachgefragte Berufe nicht – wenigstens regional – in die Mangelberufsliste aufgenommen wurden.

STANDORT ÖSTERREICH

PLUSPUNKTE. 2017 brachte Erleichterungen für Firmen: niedrigere Arbeit-
geberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds (sinken 2018 weiter). Seit 2015 verringerte sich auch der Beitrag zum Insolvenzentgeltfonds. Der Fonds hat 400 Mio. Euro Reserve aufgebaut. Die Regierung plante auch für heuer eine Senkung, setzte sie aber nicht um. Für Klein- und Mittelbetriebe wurde eine Investitionszuwachsprämie geschaffen. Zudem tritt ein Start-up-Paket in Kraft. Experten erwarten ein Plus in der Produktion.

MINUSPUNKTE. Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen, die Inflation ist überdurchschnittlich hoch. Auch über die hohen Lohnstückkosten ächzt die Wirtschaft. Es gibt außerdem eine schleichende Abwanderung – besonders von energieintensiven Firmen wie der Voest – die lieber im Ausland investieren.

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