Siemens-Chef: "Industrie wandert aus Wien nicht ab"

Renate Brauner und Wolfgang Hesoun
Stadträtin Brauner und Siemens-Chef Hesoun über Maschinensteuer, Technikermangel und Wahlkampf.

Welches Personal braucht die Industrie und wie bringt man Menschen wieder in Arbeit? Finanzstadträtin Renate Brauner und der Chef der Wiener Industriellenvereinigung, Wolfgang Hesoun, über heikle Themen des Industriestandorts.

KURIER: Zwei Vorschläge aus dem Wahlkampf könnten Industrie-Unternehmen wie Siemens betreffen: eine neue Maschinensteuer und die Angleichung von Arbeitern und Angestellten.

Wolfgang Hesoun: Bei Siemens sind die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten durch Betriebsvereinbarungen fast verschwunden. Anderswo, etwa im Tourismus, dürfte das aber wohl ein Thema sein. Bei der Maschinensteuer ist es anders. Die wirklichen Veränderungen haben sich doch schon vor 30 Jahren abgespielt, der Automatisierungsgrad der Industrie ist bereits hoch. Da wird sich nicht mehr viel verändern – außer, dass wir noch mehr gut ausgebildete Leute im IT-Bereich brauchen. Die Frage, wie wir in Zukunft unsere Sozialsysteme finanzieren, müssen wir aber natürlich schon stellen.

Renate Brauner: Man muss darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, das Sozialsystem ausschließlich über die Belastung des Faktors Arbeit zu finanzieren. Überhaupt, wenn man sieht, dass die Gewinnquote der Firmen steigt, während die Lohnquote sinkt. Derzeit bestrafen wir Firmen, die viele Leute beschäftigen. Das kann’s nicht sein.

Hesoun: Man muss aber auch sehen, dass die Firmen für Automatisierung und Digitalisierung viel Geld in die Hand genommen haben, um ihre Erträge und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Brauner: Aber wenn es wieder besser läuft, dann sollen auch alle etwas davon haben.

Hesoun: Dafür gibt es die jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen.

Wenn die Einnahmen besser sprudeln, sollte man aber auch das Budget in den Griff kriegen. Das läuft in Wien ja eher aus dem Ruder: Sechs Milliarden sind es offiziell, mit den ausgelagerten Gesellschaften weit über zehn. Wird der Stadt bald das Geld für Investitionen ausgehen?Brauner: Das Budget läuft nicht aus dem Ruder! Die Pro-Kopf-Verschuldung ist in Niederösterreich doppelt so hoch. Wir haben in der Krisen-Zeit antizyklisch investiert. Jetzt wollen wir die Neuverschuldung zurückführen – und zwar schneller als der Bund. Wir schmeißen das Geld außerdem nicht beim Fenster hinaus, sondern stecken es in Infrastruktur, etwa in den U-Bahn-Bau.

Die Kosten für die Mindestsicherung in Wien steigen stark. Wie kann man schlecht Qualifizierte in Arbeit bringen?

Brauner: Wir müssen die Leute qualifizieren, statt zu sagen: "Wir geben euch nix mehr". In Niederösterreich wird schon armen Leuten, die ihr Leben lang gehackelt haben, die bedarfsorientierte Mindestsicherung gekürzt. Wir wollen ja nicht Obdachlosigkeit und Kriminalität produzieren.

Ein niedrig qualifizierter Alleinerhalter einer kinderreichen Familie kriegt mit Sozialhilfe aber mehr Geld als mit Arbeit. Muss man das nicht ändern?

Brauner: Nur 2,5 Prozent der BMS-Bezieher haben mehr als 1500 Euro.

... die möglicherweise keinen Anreiz haben zu arbeiten.

Brauner: Daher sagen wir, dass es ein steuerfreies Mindesteinkommen von 1500 Euro geben muss. Die Wiener Wettbewerbsfähigkeit geht ja nicht über Billigjobs, sondern nur über Hochqualifizierte.

Die Industrie sucht Hochqualifizierte, der Zuzug besteht aber auch aus vielen Minderqualifizierten. Und manchmal hat man das Gefühl, dass Faulheit unterstützt wird.

Brauner: Wir haben den Wiener Qualifikationsplan. Einen Schulabbrecher motiviert man mit Jugendarbeit und nicht mit Sanktionen. Wir holen die Kids aus dem Park und bringen ihnen einen geregelten Alltag bei. Wir setzen schon im Kindergarten an.

... wo man dann manchmal aber nur türkisch spricht.

Brauner: Es muss Deutsch gesprochen werden. Wenn Sie von einem Kindergarten hören, wo nur türkisch gesprochen wird, dann bitte ich Sie dringend, es uns zu sagen.

Wie geht’s Siemens mit dem Fachkräfteangebot in Wien? Zumindest die Gewerbetreibenden jammern sehr.

Hesoun: Ich höre tatsächlich von Kollegen aus dem Gewerbe, dass Grundfertigkeiten fehlen: Pünktlichkeit, Grüßen, Kommunikation. Siemens ist aber privilegiert. Auf 100 Lehrstellen kommen 1000 bis 1500 Interessenten, wir können also aussuchen.

Im Land herrscht Technikermangel. Wie lösen Sie das Problem bei Siemens?

Hesoun: Es fehlen Uni-Absolventen im Bereich IT. Wenn wir 100 Leute suchen und 20 in drei Monaten finden, ist das schon ein Glücksfall.

Ist es nicht ein Problem, dass man gerne ins österreichische Sozialsystem einwandert, während gut Qualifizierte lieber woanders hingehen? Gibt es nicht einen fatalen Braindrain?

Brauner: Das stimmt überhaupt nicht. Für unsere zehn Welcome-Packages für Start-ups haben sich 390 Kandidaten aus 73 Ländern beworben – und da sind Top-Qualifizierte dabei. Die Frage ist nur, was wir ausstrahlen: Wenn wir sagen, es darf niemand zu uns kommen, dann wird das einen syrischen Flüchtling nicht interessieren, den Top-Qualifizierten aber vielleicht schon. Wir leben in der Wirtschaft von unserer Weltoffenheit.

Hesoun: Die Industrie wandert jedenfalls nicht ab. Die Wertschöpfung wächst und damit oftmals auch der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften.

Brauner: Wien bekennt sich zur Industrie. Es gibt einen klaren Plan, wie wir etwa alte Gewerbeorte – auch für Produzierende – neu entwickeln.

Alstom und Siemens legen ihre Schienenproduktion zusammen: Da entstehen neue europäische Monopole.

Hesoun: Es ist logisch, dass man sich gegenüber einer chinesischen, staatlich gestützten Übermacht konzentrieren muss.

Die Stadt muss sich immer einmal für Bombardier, dann wieder für Siemens entscheiden, damit beide dem Standort Wien erhalten bleiben.

Brauner: Nein, wir entscheiden uns fürs beste Angebot.

... mit Überhang für Siemens.

Brauner: Siemens hatte lange technologisch einen totalen Vorsprung. Dann hat sich Bombardier sehr angestrengt, aber Siemens schläft auch nicht.

Traditionell sind die Wiener SPÖ und Siemens sehr stark verbunden – bis hin zum Personalaustausch – siehe Brigitte Ederer oder Sonja Wehsely. Mitbewerber sagen, dass es daher chancenlos sei, an Aufträge zu kommen.

Hesoun: Man tut sich halt schwer, unsere Qualität zu erreichen.

Brauner: Wir haben hohe Ansprüche und ein Niveau im öffentlichen Verkehr, das international seinesgleichen sucht.

Hesoun: Die Verbindung zur Stadtpolitik wird überbewertet. Sonja Wehsely baut international einen Bereich mit auf, mit dem wir wieder Gesamtlösungen für Spitäler anbieten wollen. Logisch, dass man sich einen Gesundheitspolitiker holt, der den Bedarf der Kunden kennt. Für Wien hat sie aber keine Zuständigkeit.

Brauner: Mit diesen Bildern, die da immer in den Köpfen sind, hat die Realität überhaupt nichts zu tun.

Wie haben Sie beide den Wahlkampf empfunden?

Brauner: Ich bin höchst daran interessiert, dass alle Vorwürfe über dubiose Vorgänge aufgeklärt werden. Ansonsten rede ich lieber über die Themen, die die Menschen wirklich bewegen.

Hesoun: Der Kanzler selbst hat von Holprigkeit – freundlich formuliert – gesprochen. Für uns ist wichtig, dass der Standort nicht beschädigt wird.

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