Industrie 4.0: Die Roboter kommen

In der Autoproduktion wird der Bau individueller Modelle zum Preis von Massenprodukten möglich.
Fertigung fast ohne Menschenhand: Wer gewinnt, wer verliert. Sozialminister Hundstorfer für "Maschinensteuer".

Die gute Nachricht: Die weitgehende Automatisierung und Digitalisierung der industriellen Produktion – Stichwort "Industrie 4.0" – wird Arbeitsplätze schaffen. In Deutschland entstehen dadurch laut einer Studie des Beratungsunternehmens Boston Consulting Group (BCG) in den nächsten Jahren bis zu 390.000 Jobs. Österreich wird vom verstärkten Einsatz von Software und Robotern in den Fabriken ebenfalls profitieren. Die BCG-Experten erwarten einen jährlichen Wachstumseffekt von 3 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht einer Umsatzsteigerung der Unternehmen von rund 0,7 Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung. Voraussetzung dafür sind allerdings enorme Investitionen: Die Studienautoren gehen von rund 250 Milliarden Euro bis 2025 allein in Deutschland aus. Für Österreich gibt es vorerst keine Schätzungen.

Die schlechte Nachricht: Die vierte industrielle Revolution (siehe Bericht unten) ist bei den heimischen Industrieunternehmen noch nicht wirklich angekommen. Knapp mehr als die Hälfte von 200 Führungskräften – geht aus einer Gallup-Umfrage im Auftrag des Automatisierungsunternehmens Festo hervor – kann mit dem Begriff "Industrie 4.0" noch nichts anfangen. Die USA, aber auch China seien Europa und Österreich bei der Digitalisierung der Industrie mittlerweile voraus. Festo-Österreich-Chef Rainer Ostermann: "Es wird dort viel mehr in diese Technologien investiert, bei uns gibt es noch viel Aufklärungs- und Handlungsbedarf."

Und die steigende Automatisierung wird zumindest zu Beginn des Prozesses Jobs kosten. Wie viele Arbeitsplätze verloren gehen könnten, will Ostermann nicht beziffern: "Es wäre unseriös, Voraussagen zu treffen. Jede industrielle Revolution kostet Jobs und schafft dann wieder neue. Natürlich wird man auch in Zukunft einfache Schlosser und für die flexible Produktionsweise auch viele Handarbeitsplätze brauchen. Aber vieles geht in IT und neue Fertigkeiten."

Weiterbildung lahmt

Daher sei vor allem die zusätzliche Qualifizierung der Mitarbeiter für die Umsetzung der neuen Produktionsprozesse wesentlich. Festo-Ausbildungsexperte Hermann Studnitzka: "Wir brauchen mehr flexibles Fach- personal, das vielseitig einsetzbar ist. Anstatt wie bisher vor allem auf Fachwissen muss die Ausbildung noch stärker in Richtung Kompetenzentwicklung, also auf das Umsetzen des Wissens im beruflichen Alltag abzielen."

Auch die Unternehmen halten zusätzliche Qualifikationen für wichtig. Allerdings klafft zwischen dieser Erkenntnis und der Realität eine beträchtliche Kluft. Laut Umfrage wollen 70 Prozent den Mangel an Technikern, der bei der Realisierung der Digitalisierung doppelt spürbar wird, durch die Schulung bestehender Mitarbeiter milder. Das Budget für die Weiterbildung freilich will nur ein Drittel erhöhen, 61 Prozent wollen nicht mehr ausgeben als bisher. Vor allem Klein- und Mittelbetrieben (KMU) sparen. Dabei könnten gerade die KMU von Industrie 4.0 profitieren, weil sie flexibler als Großunternehmen seien, meinen die Festo-Experten. Um Kosten zu sparen, sollten sie, so Studnitzka, bei der Ausbildung zusammenarbeiten. Fachpersonal für eine vernetzte Produktion fehlt allerdings nicht nur in Österreich, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum.

Politische Revolution

Begleitet werden dürfte die industrielle Revolution zumindest in Österreich von einer politischen Revolution. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) plant angesichts menschenleerer Fabrikshallen eine Wertschöpfungsabgabe zur Finanzierung der Sozialsysteme. Diese „Maschinensteuer“ wurde bereits vor gut 30 Jahren heftig diskutiert, aber nie eingeführt.

Hundstorfer bei einer Diskussion am Donnerstagabend: „Derzeit wird alles von der Lohnquote abgeleitet. Wenn diese sinkt, muss man zusätzliche Quellen für die Finanzierung des Sozialsystems erschließen.“ Die Berechnungsbasis könnte etwa aus dem Gewinn plus Personalkosten bestehen, es gebe aber mehrere Modelle. Das müsse man sich noch genauer anschauen.

Die Abgabe soll jedenfalls mittelfristig kommen, sagt Hundstorfer: „Das muss nicht gleich 2016 passieren. Die Wertschöpfungsabgabe muss man ohne ideologische Scheuklappen sachlich ausdiskutieren. Aber dran vorbeikommen werden wir nicht, da lasse ich nicht locker.“

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