In den Bankenregeln klafft ein Loch

Im März 2013 mussten Zyperns Banken geschlossen bleiben
Trotz Schuldenkrise gelten Kredite an EU-Staaten weiter als völlig risikolos – ein Gefahrenherd.

Sind die Banken heute sicherer als vor der Krise? Ja – denn es gibt strengere Regeln, die verhindern sollen, dass marode Banken Staaten mit in die Pleite reißen und die Steuerzahler die Rechnung begleichen lassen (Story unten).

Großes Aber: Der womöglich wichtigste Baustein fehlt noch. Geldinstitute dürfen weiterhin unbegrenzt Kredite an EU-Staaten vergeben. Und sie müssen diese nicht einmal mit Eigenkapital als Puffer gegen Verluste unterlegen. Das heißt: Banken dürfen bei Anleihen von EU-Staaten und Gebietskörperschaften so tun, als hätten diese null Risiko. Ganz nach dem Motto: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein Trugschluss, wie Griechenland oder Kärntens Landeshaftungen für die Hypo zeigen.

Staatsschulden in den Bankbilanzen

Dabei sind die Risiken durchaus schwindelerregend. Bis zu ein Drittel der europaweiten Staatsschulden liegt in den Bilanzen der Banken. Manche Institute haben Forderungen gegenüber Einzelstaaten, die das Vierfache ihrer Eigenmittel ausmachen, warnt Othmar Karas (ÖVP), der die Bankenregeln für das EU-Parlament federführend ausverhandelt hat: "Das gehört geändert, die Nullgewichtung von Staatsanleihen darf nicht auf Dauer bleiben." Eine sofortige Änderung der Bilanzierungsregeln hätte die Krisenaufarbeitung verteuert und die Lage von Griechenland & Co. verschärft. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Karas: "Wenn die Wirtschaft wieder läuft, soll man sich dem Thema widmen."

Schweden macht es vor: Die Finanzaufsicht hat den vier Großbanken Nordea, SEB, Handelsbanken und Swedbank aufgetragen, für Staatsanleihen realistische Verlustwahrscheinlichkeiten zu unterstellen und entsprechende Vorsorgen zu treffen.

Heikle Obergrenze

Ein anderer EU-Vorschlag wäre eher kontraproduktiv. Generell gilt für Banken eine Großkreditgrenze: Sie dürfen Einzelkunden keine Kredite einräumen, die 25 Prozent ihrer Eigenmittel übersteigen würden. Diese Obergrenze könnte für Kredite an Staaten ebenfalls gelten, schlägt EU-Bankenaufseherin Daniele Nouy vor. Klingt vernünftig, die Folgen wären dramatisch.

"Langfristig kann ich mir solche Obergrenzen vorstellen, aber mit höherem Prozentsatz", sagt Karas. Die Regel für Großkredite sei nicht einfach auf Staaten übertragbar. Und der Prozentsatz sage nichts über das wahre Risiko aus. Der Teufel liegt im Detail:

Mehr Risiko statt weniger

Speziell österreichische und deutsche Banken müssten die sicheren Anleihen ihrer Heimatländer abstoßen, um das Risiko auf andere Staaten zu streuen – also etwa italienische, portugiesische oder spanische Papiere mit viel schlechterer Bonität. "Das wäre widersinnig", sagt Karas. Eine KURIER-Auswertung von Stresstest-Daten zeigt: Auch heimische Großbanken würden die 25 Prozent-Quote weit überschreiten. Das betrifft in den meisten Fällen (Bawag, Erste, Raiffeisen NÖ-Wien) Staatsanleihen von Österreich. Die Erste Group hält obendrein viele Staatspapiere ihrer osteuropäischen Kernmärkte.

Grobe Verwerfungen

Die schiere Größe des Problems würde die Märkte überfordern: Banken müssten ihr Eigenkapital um 6000 Milliarden Euro aufstocken, um die Regel zu erfüllen. Oder sie müsste sich alternativ von Wertpapieren im Wert von 1600 Milliarden Euro trennen. Beides ist unrealistisch.

Liquide Mittel

Eine eben erst eingeführte Kennziffer verpflichtet die Banken, erstklassige Wertpapiere zu halten, die sie im Notfall rasch verkaufen können – damit sind vor allem solide Staatsanleihen gemeint. Die Regulierungen würden sich also gegenseitig widersprechen.

Treffen würde eine Obergrenze auch die Staatsfinanzen, gibt Karas zu bedenken: "Die Frage ist, woher kommt dann das Geld für die Staaten, Bundesländer, Gemeinden? Von Hedgefonds?" Die Zinskosten für die öffentliche Hand würden steigen.

Karas: "Das gehört geändert"

KURIER: Die Banken müssen für Kredite an OECD-Länder kein Kapital zurücklegen. Diese Staatsanleihen gelten also immer noch als risikolos. Wird das so bleiben?

In den Bankenregeln klafft ein Loch
Othmar Karas (ÖVP) - Ausschuss für "Wirtschaft und Währung"
Othmar Karas: Nein, das gehört geändert. Die Nullgewichtung von Staatsanleihen darf nicht auf Dauer bleiben. Ein kurzfristiges Eingreifen hätte aber die Sanierungskosten nach der Krise stark verteuert. Wenn die Wirtschaft wieder läuft, soll man sich dem Thema widmen. Das EU-Parlament hat von der Kommission bis Ende 2017 Vorschläge zur Risikogewichtung verlangt.

Sollte das Risiko auch insgesamt gedeckelt werden? Dass eine einzelne Bank maximal 25 Prozent der Eigenmittel an einzelne Staaten verborgen darf?

Langfristig kann ich mir Obergrenzen vorstellen, aber mit einem höheren Prozentsatz. Die 25 Prozent kommen aus der Großkreditregelung, das ist nicht 1:1 auf Staaten übertragbar. Der Prozentsatz allein sagt nichts über das tatsächliche Risiko von Staatsanleihen aus. Und die Frage ist, woher kommt dann das Geld für die Staaten, Bundesländer, Gemeinden? Von Hedgefonds? Das klingt schön, aber wir müssend die Auswirkungen sehen.

Wo sehen Sie die Gefahren?

Ich halte es für unvernünftig, wenn manche Banken Forderungen an einen Staat von bis zu 400 Prozent ihrer Eigenmittel haben. Aber man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Die EZB hat berechnet, dass die Banken für eine 25-Prozent-Obergrenze europaweit ihr Kapital um 6 Billionen Euro erhöhen müssten – oder sie müssten sich von Wertpapiere um 1,6 Billionen Euro trennen. Das ist unrealistisch. Die Gefahr ist zudem, dass Banken sichere Anleihen abstoßen und von Staaten mit schlechterer Bonität kaufen – das wäre widersinnig.

Wie sollte es gemacht werden?

Die Schwellenwerte sind im Fünf-Präsidenten-Bericht mittelfristig vorgeschlagen, aber nur als Teil einer koordinierten Anstrengung auf globaler Ebene. Sonst kommt es zu einer Wettbewerbsverzerrung mit unterschiedlichen Kosten für die Banken und auch für die Staaten. (Anmerkung: Der "Fünf-Präsidenten-Bericht" ist das Langfrist-Konzept für die Reformen des Euroraums, der 2015 von EU-Kommissionspräsident Juncker, EU-Parlamentspräsident Schulz, Ratspräsident Tusk, EZB-Präsident Draghi und Eurogruppen-Präsident Dijsselbloem vorgelegt wurde)

Zur gemeinsamen Einlagensicherung: In Österreich ist der Widerstand dagegen groß. Wie wollen Sie das ändern?

Indem wir ehrlich sind. Die Politik soll aufklären, nicht mit Ängsten spielen. Ja, wir sind für die Bankenunion und die EU-weite Einlagensicherung ist bereits mitbeschlossen. Die Frage ist nicht ob sie kommt, sondern wann und wie.

Gerade auch die heimischen Banken sind sehr skeptisch.

Die Bedenken kann man zerstreuen, wenn alle Vorbedingungen erfüllt sind. Derzeit stehen wir noch ganz am Anfang der Gesetzgebung, die völlige Vereinheitlichung wäre frühestens 2024 geplant. Bis jetzt haben aber noch nicht einmal alle Staaten ihren nationalen Einlagensicherungs- und den Abwicklungsfonds umgesetzt.

Kritiker suggerieren, Österreicher müssten künftig für Bankpleiten in Griechenland mitzahlen. Welche Vorteile hätten denn die Sparer überhaupt?

Es ist typisch, dass Stimmung gegen die EU gemacht wird, aber nicht dazugesagt, was seit 2008 schon alles erreicht wurde. Die Gefahr, dass die Einlagensicherung schlagend wird, ist eben dank EU-Bankenunion und Abwicklungsfonds massiv gesunken, weil zuerst die Aktionäre und Anleihengläubiger zur Kasse gebeten werden. Der Einlagensicherungsfonds wäre die letzte Absicherung, falls das nicht ausreicht.

In der Krise hat sich gezeigt, dass die Banken zu wenig Kapital hatten, um Verluste abzufedern. Das hat sich durch schärfere Vorgaben („Basel III“) gebessert. Je nach Ausfallsrisiko muss für Kredite mehr oder weniger Eigenkapital zur Seite gelegt werden – außer für Staatsanleihen. Um zu verhindern, dass die Aufsichtsbehörde eines Landes dem politischen Druck nachgibt oder nur auf die eigenen Banken schaut, ist seit November 2014 die EZB für 129 Großbanken zuständig (SSM). Regelmäßige Stresstests sollen deren Widerstandskraft testen. Seit Jänner 2016 ist der Europäische Abwicklungsmechanismus (SRM) für Pleitebanken in Kraft: Künftig werden die Eigentümer und Gläubiger der Bank zur Kasse gebeten, bevor der Steuerzahler drankommt. Ein Abwicklungsfonds (SRF), der 55 Milliarden Euro umfassen soll, wird von den Banken bis 2024 dotiert. Umstritten bleibt die gemeinsame EU-Einlagensicherung. Fix ist, dass die Banken aller Länder vorab in einen Sicherungstopf einzahlen müssen.

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