Es zählt zu den ältesten Baumaterialien der Menschheit und erfindet sich immer wieder neu: Holz ist seit jeher ein fixer Bestandteil der Architektur. 3-D-Modelle und CNC-Fräsen sorgen dafür, dass es auch mit zeitgenössischen Entwicklungen mithalten kann. Dank computergesteuerter Techniken lässt sich der Rohstoff auf überraschende Weise sägen und fräsen und bringt immer erstaunlichere Entwürfe zustande.
Die revolutionäre Dachkonstruktion von Jürgen Mayer H. in Sevilla zeigt etwa, dass Holz vielfältige Formen annehmen und große Spannweiten überbrücken kann. Zu den Pionieren zählt auch Achim Menges, Direktor des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen an der Universität Stuttgart (siehe Interview Seite 10). Im Jahr 2011 realisierte er mit seinen Mitarbeitern einen temporären Forschungspavillon aus robotisch gefertigtem, nur 6,5 Millimeter dickem Birkensperrholz. Die Wissenschafter erforschen die Übertragung biologischer Strukturen auf die Architektur: Die Form des Unterstands basiert auf der Morphologie eines Seeigel-Skeletts.
International einer der bekanntesten Autoren zum Thema Architektur ist Philip Jodidio. Er hat im Taschen Verlag eine über 400 Seiten starke Bestandsaufnahme zu diesem Thema veröffentlicht, die unterschiedlichste Gebäude versammelt: Ein Strandhotel in Chile, in das alte Zypressenbäume integriert wurden. Ein Wohnhaus in Belgien, bei dem ein Baumstamm aus dem Dach ragt. Zwei Scheunen in den Schweizer Alpen, die zu einem Wohnhaus verschmolzen sind oder ein Rentier-Beobachtungspavillon in Norwegen mit einem Innenausbau aus CNC-gefrästen Vierkanthölzern. Die Projekte in "Wood – Architecture now!" belegen, wie komplex Holzbau heute ist. Moderne Bauwerke haben scheinbar nichts mehr mit Stahl, Glas und Beton zu tun. Der Rohstoff dient nicht nur wegen seiner ökologischen Vertretbarkeit immer öfter als Alternative, sondern auch wegen des geringeren Kostenfaktors. Zudem verfügt Holz bei gleicher Tragkraft über weniger Gewicht – und das bringt Leichtigkeit in die Architektur.
Der japanische Achitekt Kengo Kuma nutzt diese Eigenschaften bei zwei seiner jüngeren Entwürfe. Das "Café Kureon" in Toyama (Japan) konzipierte er als ein auf dem Kopf stehender Stapelbau. Die Konstruktion besteht aus ineinandergreifenden Holzträgern und einer Glasbox. Das Interieur greift das Motiv des gestapelten Holzes auf und setzt sich an Wänden und Decken fort.
Auch bei der Gestaltung einer Starbucks-Filiale in der Nähe eines bedeutenden Tempels kreuzte er Holzstöcke: Mehr als 2000 Stäbe laufen aus dem Innenraum und verleihen dem Eingang und der Fassade einen skulpturalen Auftritt. "Das Stapeln kleiner Bauteile war eine hoch entwickelte Technik in der traditionellen japanischen und chinesischen Architektur. Hier wurde diese Bauform mithilfe neuester Technik optimiert, sodass die Besucher weiter in die Architektur geführt werden. Es ist ein fließender, höhlenartiger Raum", erklärt Kengo Kuma.
Für eine moderne Neuinterpretation traditioneller Weingutarchitektur entschied sich das Londoner Büro Rogers Stirk Harbours bei "Bodegas Protos" in Valladolid (Spanien). Der Großbetrieb verarbeitet zur Weinlese bis zu einer Million Kilogramm Trauben und erstreckt sich auf einem Areal von 18.450 Quadratmetern. Fünf zusammenhängende Gewölbe, die auf Schichtholzträgern ruhen und mit Terrakottaziegeln gedeckt sind, überdachen die neue Produktionshallen. Der starke Überhang schützt vor sommerlicher Hitze. Etwa 600 Kilometer weiter südlich, im spanischen Sevilla, realisierte das Berliner Architekturbüro Jürgen Mayer H. die spektakulären "Metropol Parasol" und schuf damit ein neues Wahrzeichen. Die Überdachung des Plaza de la Encarnación spendet Schatten und beherbergt unterschiedliche Angebote: Im Untergeschoß ein Museum, ebenerdig eine Markthalle und darüber einen erhöhten Platz für Events und Restaurants. Auf dem Dach des Parasols erlaubt ein Panorama-Rundgang die historische Stadt von oben zu erkunden. Der Schirm überbrückt eine Fläche von 13.000 Quadratmetern und besteht aus einer polyurethanbeschichteten Holzkonstruktion. Die Wabenstruktur profitiert vom Potenzial des Materials für den Leichtbau und stellt einen starken Kontrast zum mittelalterlichen Umfeld dar. Zugleich integriert sie sich aber harmonisch in die Altstadt und zeigt, wie Tradition und Moderne verbunden werden können.
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