Handelskommissarin: TTIP-Debatte ist vergiftet

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström
Cecilia Malmström fordert Regierungen in Berlin und Wien auf, den Bürgern die Vorteile von TTIP zu erklären

Am Freitagnachmittag“: So lautete die launige Auskunft von EU-Kommissarin Cecilia Malmström, wann TTIP ausverhandelt sein werde.

Es war natürlich ein Scherz: Das wild umstrittene Freihandelsabkommen hängt momentan sowohl in den USA als auch in der EU in einer parlamentarischen Warteschleife fest. Die Verhandlungen der Kommission würden dadurch nicht aufgehalten, sagte Malmström vor Journalisten in Brüssel. Sie räumte aber ein: „Dieses Jahr werden wir nicht fertig werden.“

2015 möchte sie ein „Skelett und einen Zeitplan“ fertig haben, damit TTIP noch in der Amtszeit von US-Präsident Obama abgeschlossen werden kann – ein Deal müsste wohl vor Herbst 2016 fixiert werden. Experten haben Bedenken, ob sich das ausgeht.

Aufgabe der Regierung

Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat zuletzt sogar öffentlich bezweifelt, ob das Abkommen überhaupt zustande kommt. „Gabriel hat das gesagt? Zu mir nicht“, gab sich Malmström überrascht. Sie könne sich nicht erklären,warum die Debatte gerade im deutschsprachigen Raum „so vergiftet“ sei.

Ihre persönliche Zukunft sieht sie nicht an das Gelingen von TTIP geknüpft: „Ich tue alles, um ein gutes Abkommen zu erreichen. Wenn es dann am Ende der deutsche Bundestag oder das österreichische Parlament niederstimmt, kann man mir das wirklich nicht anlasten.“

Ob die nationalen Parlamente über TTIP abstimmen, ist freilich noch gar nicht fix. Weil dieses aber so weitreichende Ziele verfolgt, sei es „wahrscheinlich“, so Malmström. Was bedeutet, dass das „Nein“ in einem einzigen Land das ganze Abkommen zu Fall bringen könnte.

Größte Ablehnung in Österreich

In den meisten EU-Ländern ist eine solide Bevölkerungsmehrheit für TTIP – die Widerstandsnester sind vor allem Österreich, Deutschland und Luxemburg.

Die Kommissarin spielt den Ball an die Regierungen in Berlin und Wien zurück. Es sei deren Job, die Vorteile von TTIP der Bevölkerung zu erklären: „Wenn sie intern uneinig sind oder diese Debatte mit den Bürgern nicht führen wollen, kann ich nichts tun.“

Handelskommissarin: TTIP-Debatte ist vergiftet
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Wie emotional in Österreich die Investor-Staats-Klagerechte (ISDS) diskutiert werden, weiß Malmström nur zu gut. Erklären kann sie es sich nicht: Österreich habe schließlich selbst62 bilaterale Investmentschutzabkommenin Kraft (siehe auchhier) "Man war offenkundig in der Vergangenheit der Ansicht, dass diese hilfreich sein können.“

Schließlich könne es auch bei fortschrittlichen Rechtssystemen wie jenem der USA vorkommen, dass Unternehmen diskriminiert werden. Um den Missbrauch dieser Klagerechte zu verhindern, will sie das System der Schiedsgerichte verbessern – eine Überarbeitung der oft veralteten Klauseln sei da zielführend: „Ich hoffe, dass das auch die österreichische Regierung so sieht.“

Österreich verletzt EU-Verträge

Die Ironie: Just vor einer Woche hat die Kommission gegen Österreich und vier andere EU-Staaten ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. (Mehr dazu hier) Diese weigern sich nämlich, EU-interne bilaterale Investitionsschutzabkommen abzuschaffen.

Diese Abkommen wurden in den 1990ern mit osteuropäischen Staaten vor deren EU-Beitritt abgeschlossen. Jetzt gelten aber ohnehin EU-Vorschriften, lautet die Kritik. Gegenüber den USA will man auf Investitionsschutz verzichten, gegenüber EU-Partnerländern nicht - in Brüssel fragt man sich somit: Vertraut Österreich dem US-Rechtssystem mehr als dem der EU?

Heiße TTIP-Runde ab September

Im Juli gehen die TTIP-Verhandlungen in die nächste, 10. Runde; die letzte, bevor im Herbst die wirklich heißen Eisen angepackt werden. Dazu zählen der Marktzugang für öffentliche Ausschreibungen, Energie, geografische Angaben auf Lebensmitteln oder das Kapitel Finanzdienstleistungen – allesamt Punkte, die für die EU wichtig sind, für die USA aber heikel.

Die EU-Kommission verhandelt etliche Freihandelsabkommen parallel – wofür sich freilich kaum jemand interessiert. So überraschte Malmström mit der Ankündigung, dass das Abkommen mit Vietnam vor der Sommerpause fertig werden könnte. Ein sensibles Thema: Seit die Produktion in China teurer geworden ist, ist das ostasiatische Land der globale Hotspot für Schuhe und Textilien geworden.

Beim Abkommen mit Kanada (CETA) sei die rechtliche Überprüfung des Textes fast erledigt. Allerdings wollen Kritiker in Berlin, Paris und im EU-Parlament den Investitionsschutz (ISDS) darin noch einmal überarbeitet wissen. Aufgeschnürt werde nichts, sagte Malmström. „Erst müssen wir wissen, was wir wollen. Es wird bei ISDS kleinere Änderungen geben, darüber werden wir mit den Kanadiern noch reden. “

Weit gediehen sind auch die Verhandlungen mit Japan – die Asiaten wollen einen Abschluss noch heuer. Bei Mexiko steht die Überarbeitung eines Abkommens an. Am brisantesten ist zweifellos das Abkommen mit der Ukraine, das 2016 in Kraft treten soll. Die EU will Russland überzeugen, dass es keine Nachteile zu erwarten hat.

Als „Elefant im Raum“ – das große Thema, das keiner anspricht – gilt in Brüssel China. Die EU verhandelt derzeit ein Investmentabkommen mit der asiatischen Wirtschaftsgroßmacht. Ein wenig mehr Aufschluss über weitergehende Pläne könnte die überarbeitete EU-Handelsstrategie bringen, die Malmström im Herbst 2015 - voraussichtlich im Oktober - vorlegen will.

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