Globale Wirtschaftsflaute? Alles halb so schlimm

Eine Frage, IWF-Ökonom Maurice Obstfeld!
IWF warnt vor Stagnation, aber Deutschland hat Recht: Die Prognosen sind langfristig gesehen normal.

"Schon viel zu lange Zeit zu schwach." So lautet das Fazit von Maurice Obstfeld zum jüngsten Ausblick für die Weltwirtschaft. Das Wachstum setze sich zwar fort, aber die Geschwindigkeit sei "zunehmend enttäuschend", warnte der neue Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Dienstag bei der Präsentation der IWF-Frühjahrsprognose. Dadurch sei die Weltwirtschaft größeren Risiken ausgesetzt.

Ist es wirklich so schlimm? Die KURIER-Analyse zeigt: Das für 2016 und 2017 prognostizierte Wachstum der Weltwirtschaft liegt fast exakt im langjährigen Mittel.

Wie fällt die aktuelle Frühjahrsprognose des IWF aus?

Mit einem Wort: düster. Gegenüber der Herbstprognose (von Oktober 2015) wurden die Wachstumszahlen einmal mehr für praktisch alle großen Volkswirtschaften nach unten revidiert; nur Spanien und China werden minimal besser eingeschätzt. Für die Weltwirtschaft erwartet der IWF nun heuer ein Plus von 3,2 Prozent und für 2017 von 3,5 Prozent - im Oktober waren die Fonds-Experten noch von 3,6 bzw. 3,9 Prozent Plus ausgegangen.

Warum sind diese Zahlen laut IWF Besorgnis erregend?

"Weniger Wachstum heißt weniger Spielraum für Fehler", sagt Obstfeld. Er weist auf die zahlreichen Gefahren hin, dass alles noch schlimmer kommen könnte. Falls die Finanzmärkte wieder einmal überreagieren, falls Großbritannien im Juni für den "Brexit", den Austritt aus der EU, stimmt, falls Chinas Wirtschaftsschwenk den Wachstumsraten mehr schaden sollte als erwartet. Falls diese Risiken eintreffen, wären die Prognosen obsolet, das Wachstum würde deutlich geringer ausfallen.

Ist der Ausblick wirklich so schlimm?

Zugegeben: Für eine Erholung nach einer schweren Krise fallen die Wachstumszahlen tatsächlich etwas brustschwach und wenig berauschend aus. Wenn man aber den Vergleich langfristiger anlegt und die Wachstumszahlen seit 1980 betrachtet (siehe Grafik), stößt man auf eine erstaunliche Erkenntnis.

Globale Wirtschaftsflaute? Alles halb so schlimm
Die globalen IWF-Wirtschaftsprognosen von 3,2 und 3,5 Prozent (für 2016 und 2017) liegen minimal unter bzw. exakt auf dem Mittelwert der vergangenen Jahrzehnte! Zwischen 1980 und 2017 (Prognose) wuchs die Weltwirtschaft nämlich um durchschnittlich 3,49 Prozent.

Warum dann die Aufregung?

Weil als Vergleichsdaten oft nur die Jahre 2004 bis 2007 herangezogen werden, in denen die Weltwirtschaft um rund 5 Prozent und sogar mehr zulegen konnte. Das war allerdings nicht der Normalfall - und schon gar nicht nachhaltig, wie wir dank der Finanzkrise wissen.

Etwas besser nachvollziehbar werden die Sorgen in den USA und in Europa allerdings, wenn man das Wachstum der Weltwirtschaft genauer aufschlüsselt. Und zwar in die "reichen" Staaten (die Industrieländer) und die Entwicklungs- und Schwellenländer. Dann erkennt man, dass die Wachstumsschwäche nur die "reichen" Länder betrifft. Die Schwellenländer wachsen um ungefähr drei Prozentpunkte schneller - und das recht konstant, ungefähr seit dem Jahr 2002. Das ist auch nicht sehr überraschend: Es ist logisch, dass das Wachstum in Ländern, bei denen das Pro-Kopf-Einkommen nur einen Bruchteil des unseren beträgt, höher ausfällt.

Warum hat sich das Wachstum so stark aufgefächert?

Das ist die eigentlich überraschende Erkenntnis aus dem Langfrist-Vergleich: Noch in den 1980ern verliefen die Wachstumsraten von armen und reichen Ländern - anders als man erwarten würde - praktisch deckungsgleich, erstmals entkoppelt hat sich das Wachstum der Schwellenländer erst ab etwa 1990. Und so richtig abgehoben haben die Wirtschaftsdaten der Schwellenländer (vor allem dank Chinas Turboexport-Maschinerie) im Verlauf der 2000er Jahre.

Die geopolitische Schlussfolgerung: Erst die Globalisierung, die Öffnung der Märkte und der weltweite Handel haben den Aufholprozess der ärmeren Länder signifikant beschleunigt. Vor allem Asien hat seither Boden gut gemacht. Die Wohlstandsgewinne sind ein Stück weit um den Erdball gewandert.

Was sind die politischen Ableitungen daraus?

Der IWF fordert als Konsequenz seiner Prognosen, dass die Zentralbanken weiterhin ihre lockere Geldpolitik beibehalten sollen und die Regierungen mehr zur Ankurbelung des Wachstums tun - durch Strukturreformen, durch Steuerreformen, aber auch durch öffentliche Mehrausgaben für Infrastruktur oder Forschung.

Von der deutschen Bundesregierung kam umgehend der Konter: Sie warnte vor Aktionismus und neuerlichen staatlichen Konjunkturspritzen: Die schlechteren Aussichten seien "kein Grund, mit der Alarmglocke durch die Welt zu laufen und jetzt alles anders machen zu wollen.“ Ja, es gebe Abwärtsrisiken, aber keine Krisensituation. Das globale Wachstum werde trotz der Korrektur nach unten über dem langfristigen Mittel liegen (was annähernd stimmt).

Welche neuen Erkenntnisse hat der IWF zu Österreich und zur Eurozone?

Der Ausblick der Washingtoner Experten für Österreich fällt deutlich pessimistischer aus als jener der heimischen Wirtschaftsforscher. Die österreichischen Institute IHS und Wifo erwarten für das laufende Jahr ein Plus der Wirtschaftsleistung von 1,5 bzw. 1,6 Prozent. Der Währungsfonds geht von nur 1,2 Prozent für heuer und 1,4 Prozent für nächstes Jahr aus. In fünf Jahren werde es für Österreich noch düsterer aussehen, glauben die US-Experten. Dann erwarten die IWF-Experten nur noch 1,1 Prozent Zuwachs - trifft die Ferndiagnose zu, dann würde sich Österreich damit 2021 gemeinsam mit Italien (+0,8 Prozent) unter den Schlusslichtern der Eurozone einreihen.

Die deutsche Konjunktur kühlt sich ebenfalls deutlich ab, für das Nachbarland sind jetzt nur noch 1,5 und 1,6 Prozent für 2016 und 2017 eingeplant. Das ist genau gleichlautend mit den IWF-Erwartungen für die Eurozone. Die griechische Wirtschaft wird im laufenden Jahr noch einmal um -0,6 Prozent schrumpfen, Frankreich und Italien entwickeln sich mit 1,1 und 1,0 Prozent auch recht schwach. Dafür wird Irland dem Boom- und Bust-Schema (tief runter, hoch hinauf) einmal mehr gerecht: Der keltische Tiger kann laut IWF für heuer 5,0 Prozent Zuwachs erwarten - und das nach 7,8 Prozent im Jahr davor.

Gibt es für Österreich auch positive Neuigkeiten?

Ja, zumindest indirekt. Gut versteckt im Datenwust findet sich ein erfreulicher Wert: Für "Emerging and Developing Europe" prophezeit der IWF heuer ein solides Wachstum von 3,5 Prozent für heuer und 3,3 Prozent nächstes Jahr. Damit ist Osteuropa gemeint, das für die österreichische Wirtschaft ein überaus wichtiger, quasi zweiter "Heimmarkt" geworden ist.

Globale Wirtschaftsflaute? Alles halb so schlimm
Wirtschaftswachstum zum Vorjahr 2015-2017, Veränderung zu Prognose vom Jänner 2016, ausgewählte Länder) - Säulengrafik GRAFIK 0408-16, 88 x 120 mm

Kommentare