Gläubiger fordern 12,5 Milliarden Euro von insolventer Wirecard AG
Die Megapleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard wird in die deutsche Insolvenzgeschichte eingehen. Die Gläubiger fordern von der insolventen Muttergesellschaft Wirecard AG insgesamt 12,5 Milliarden Euro. Diese Summe ist bei der Gläubigerversammlung über das Vermögen der in einem Bilanzskandal zusammengebrochenen Wirecard AG am Mittwoch im Münchener Löwenbräukeller geltend gemacht worden, teilte das Amtsgericht München mit. Die Gläubiger hoffen auf Schadenersatz im Insolvenzverfahren.
Weitere Ansprüche bestehen auch gegen andere Wirecard-Gesellschaften. Für diese sind am Mittwoch und Donnerstag ebenfalls Treffen der Gläubiger angesetzt.
Allein die Fondsgesellschaft DWS macht im Insolvenzverfahren nach eigenen Angaben Ansprüche von mehr als 600 Millionen Euro geltend. Die Gläubiger dürften allerdings nur einen Bruchteil ihrer Forderungen wiedersehen. Insolvenzverwalter Michael Jaffe berichtete auf der Versammlung über den bisherigen Verlauf des Verfahrens, das Ende August eröffnet worden war. Die Versammlung muss innerhalb von drei Monaten nach Beginn des Verfahrens stattfinden. Einige Auslandstöchter hat Jaffe bereits zugunsten der Gläubiger verkauft. Zuletzt schlug er das europäische Kerngeschäft los, den Zuschlag erhielt die spanische Bank Santander.
Quote kann man heute schwer einschätzen
Die Veranstaltung ging in kleinem Rahmen im derzeit coronabedingt für die Öffentlichkeit geschlossenen Münchener Löwenbräukeller über die Bühne, großen Andrang gab es nicht. Der ehemalige Dax-Konzern Wirecard hatte im Juni nach dem Eingeständnis von Phantomgeschäften Insolvenz angemeldet, Banken und Investoren haben nach Berechnungen der Münchner Staatsanwaltschaft mehr als drei Milliarden Euro verloren. Der Insolvenzverwalter hat nach Angaben aus Finanzkreisen mit dem Verkauf von Unternehmensteilen und Technologie bisher etwa eine halbe Milliarde Euro erlöst.
Die Gläubiger und ihre Anwälte hoffen, dass ihnen der Insolvenzverwalter zumindest einen Teil der verlorenen Milliarden in absehbarer Zeit zurück erstattet: "Ich habe Verfahren erlebt mit 14, mit 18, sogar mit 20 Jahren", sagte der Münchner Rechtsanwalt Peter Mattil, der geschädigte Aktionäre vertritt. "Aber wenn ein Vermögen da ist, das auf die Gläubiger verteilt werden kann, das kann schon nach zwei oder drei Jahren passieren."
Die Hauptfrage der Gläubiger: Mit wie viel Geld können sie rechnen? "Wir werden Milliarden an Forderungen haben, und die Quote kann man heute schwer einschätzen", sagte Mattil dazu.
Sehr viele Kleinaktionäre getroffen
Neben den Verlusten der kreditgebenden Banken und Investoren, Lieferanten und anderer Geschäftspartner stehen die ungleich höheren Kursverluste der Wirecard-Aktie: Das Unternehmen war bei der Aufnahme in den Dax im September 2018 an der Frankfurter Börse mehr als 23 Mrd. Euro wert, nach der Insolvenz und dem Kurssturz waren es dann weniger als 100 Millionen. Das hat neben institutionellen Anlegern auch sehr viele Kleinaktionäre getroffen.
Aktionäre sind rechtlich betrachtet keine Gläubiger eines insolventen Unternehmens, sondern Gesellschafter - als solche gehen sie bei Insolvenzverfahren häufig leer aus. Wenn es sich jedoch wie bei Wirecard um einen großen Betrugsfall handelt, können Aktionäre ihre Schadenersatzforderungen beim Insolvenzverwalter anmelden, wie ein DSW-Sprecher sagte. Doch auch die DSW betont, dass eine Prognose zur Höhe der möglichen Rückzahlungen nicht möglich sei.
Das Ermittlungsverfahren
Der Ex-Chef von Wirecard, der Österreicher Markus Braun, ist nach Einschätzung der Münchner Staatsanwaltschaft die zentrale Figur in dem milliardenschweren Bilanzbetrugsfall. „Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen fungierte Dr. Braun innerhalb der Bande als Kontroll- und Steuerungsinstanz“, heißt es in einem E-Mail der Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Das Schreiben lag der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch vor, die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuerst darüber berichtet.
Das streng hierarchische System bei dem Münchner Zahlungsabwickler sei geprägt gewesen von einem militärisch-kameradschaftlichem Korpsgeist sowie Treueschwüren untereinander. „Braun gab strategische Weisungen und konkrete Geschäftsaktionen vor.“ Die Struktur sei auch von psychischem Druck geprägt gewesen. Das habe sich Braun bei Abweichungen vom Tatplan zunutze gemacht, zusammen mit Ex-Vorstand Jan Marsalek, ebenfalls ein Österreicher, der auf der Flucht ist.
U-Haft
Braun, der momentan in Augsburg in Untersuchungshaft sitzt, muss am Donnerstag persönlich vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in Berlin erscheinen und soll dort vernommen werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies am Dienstag den Antrag seiner Anwälte ab, nur per Videoübertragung als Zeuge zu dem Finanzskandal auszusagen. Brauns Anwalt wollte sich dazu nicht äußern.
In dem E-Mail der Staatsanwaltschaft wird zudem der Ex-Manager Oliver Bellenhaus, der für die Wirecard-Tochter in Dubai zuständig war, als Kronzeuge beschrieben. Er kooperiere vollumfänglich und habe den Ermittlern das System Wirecard detailliert erklärt. Dabei habe er unter anderem Braun erheblich belastet. Auch Bellenhaus soll vom Untersuchungsausschuss des Bundestages vernommen werden.
Braun prägte den Zahlungsdienstleister 18 Jahre lang. Nach der Aufdeckung eines 1,9 Milliarden Euro großen Bilanzlochs trat er im Juni zurück, der Konzern rutschte in die Pleite. Die Staatsanwaltschaft wirft Braun und weiteren Wirecard-Managern gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor. Wirecard soll sich jahrelang mit systematischen Luftbuchungen schöngerechnet und damit Anlegern und Banken Milliardenschäden zugefügt haben. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt hatte Braun das damalige Dax-Unternehmen als Opfer eines groß angelegten Betrugs bezeichnet.
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