Bei Österreichs zukünftiger Gasversorgung herrscht momentan etwas Ungewissheit. Die OMV hat am Mittwoch ihren Liefervertrag mit Gazprom gekündigt. In wenigen Tagen könnte die Ukraine außerdem den Transit für russisches Erdgas Richtung Österreich stoppen. Die bisher wichtigste Versorgungsroute wäre damit unterbrochen.
Wie offizielle Stellen von Bundeskanzler Karl Nehammer abwärts betonen, werde das keine unmittelbare Bedrohung für Privat- und Geschäftskunden darstellen. Die heimischen Speicher seien prall gefüllt. Zu sehr in Sicherheit wiegen sollte man sich deswegen aber nicht, sagt Energieexperte Johannes Benigni.
Er vermisst einen großen Plan, wo Energie künftig herkommen soll und warnt davor, dass große Probleme auf das Land zukommen könnten.
Versorgungslücke durch Elektrifizierung
Erdgas ist heute noch in vielen Bereichen unverzichtbar, etwa für das Heizen von Gebäuden, für Industrieprozesse und für die Stromerzeugung. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist voll im Gange. Zu Zeiten mit wenig Produktion aus Wasser-, Wind- und Solarkraft muss nach wie vor Gas einen großen Teil der Stromversorgung decken. In den kommenden Jahren soll Österreichs Stromverbrauch stark steigen. Im Bemühen, von fossilen Rohstoffen weg zu kommen, wird die Elektrifizierung vorangetrieben, etwa durch E-Autos statt Verbrennern und Wärmepumpen statt Öl- oder Gasheizungen.
Für die Energieversorgung bis ins Jahr 2030 gibt es einen genauen Fahrplan, bis 2040 wird sich jedoch eine Versorgungslücke auftun, für die es keine konkreten Pläne gibt. Bei Strom könnte diese Lücke laut Berechnungen des Wirtschaftsministeriums50 bis 110 Terawattstunden betragen. Zum Vergleich: Der heimische Stromverbrauch lag 2023 bei 61,08 TWh. Solar- und Windkraft - auf denen die größten Hoffnungen ruhen - können kaum so sehr ausgebaut werden, um diese Lücke vollständig zu schließen. Es muss Importe geben.
Durch Klimaschutzbemühungen werde es anderen Ländern kaum besser als Österreich ergehen, sagt Benigni. "Jedes Land hat sich sein Energieportfolio zur Brust genommen. Überall wird darauf geachtet, CO2-Emissionen zu senken und dennoch seinen Energiebedarf zu decken." Vielerorts werde Atomkraft als Lösung gesehen, manche Länder kommen durch eigene reichhaltige Vorkommen andererseits nicht von Kohle weg. Für saubere Energie als knappes Gut werde "überall ein gewisser Nationalismus einkehren", ist Benigni überzeugt.
"Wunderwuzzi" Wasserstoff fehlt das Gesamtkonstrukt
Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff und dessen Speicherung soll laut der öffentlichen Debatte viele Probleme lösen. Das Gas habe laut Benigni eine "Wunderwuzzi"-Rolle, seine Herstellung sei allerdings sehr energieaufwendig. Rund um Wasserstoff gibt es derzeit sehr viele Projekte, von der Produktion bis zur Infrastruktur. Woran es mangle, sei allerdings ein "Market Maker", eine Stelle, die all die fragmentierten Pläne verbindet.
"Im Gasmarkt war es immer so: Man hatte einen Produzenten wie Katar, der seine Fördermengen erhöhen wollte. Bevor sie das gemacht haben, wurden Lieferverträge abgeschlossen, Schiffe reserviert. Erst als all das geklärt war, haben sie gebohrt. Keiner der Beteiligten hat Interesse an irgendeinem Risiko. So funktioniert die Energieindustrie. Mit Wasserstoff haben sie nur Risiko."
Es gibt Ideen dazu, wo Wasserstoff künftig in großen Mengen produziert werden soll, etwa durch Windenergie in der Ukraine oder in Chile, oder durch Solarenergie in Nordafrika. Dazu brauche es aber einen politischen Plan, und den Willen, die damit verbundenen Risiken zu stemmen. Noch sei solch ein Plan aber nicht absehbar. Für Unternehmen sei dies fatal, sagt Benigni. Keine gesicherten Alternativen zu Erdgas zu haben und dennoch Emissionen reduzieren zu müssen, führe zu einem Klima der Hoffnungslosigkeit: "Derzeit investiert niemand, weil er nicht weiß, ob es sein Unternehmen in fünf bis zehn Jahren noch gibt. Unternehmen brauchen einen Plan, damit sie sehen, dass der Umstieg machbar ist."
Mehr Tauziehen um Erdgas
Als Brückentechnologie sei Erdgas noch länger von Bedeutung, meint der Experte. Angesichts dessen sei die aktuelle Lage mit dem drohenden Transitstopp misslich. "Ob die OMV von Russland kauft, oder nicht, ist weniger wichtig. Hauptsache, Russland liefert, egal an wen." Bei einem Ausfall der Pipeline von der Ukraine über die Slowakei nach Österreich und durch den Abbruch des Projekts Nordstream 2 fließe russisches Gas nur noch über die TurkStream-Pipeline nach Europa. An der hängt u.a. Ungarn, das derzeit Probleme hat, Russland für Gaslieferungen zu bezahlen und dafür nicht von den USA sanktioniert zu werden.
Bei der Verteilung von Gas in Europa werde es zu weniger Angebot und dadurch steigenden Preisen kommen. Durch den vermehrten Umstieg auf Flüssiggas (LNG) werde die Versorgung außerdem unsicherer, sagt Benigni. Im Gegensatz zu Russland, das früher große Speicher in Europa für den Fall von Pipeline-Ausfällen betrieben hat, legen Flüssiggas-Versorger keinen Wert auf Lager. Dieser Umstand, kombiniert mit verstärktem Handel von Erdgas in darauf spezialisierten Börsen (Hubs) werden Preise zusätzlich nach oben treiben.
Maximal ein Drittel von einem Lieferanten
Für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf internationaler Bühne sei dies eine schlechte Nachricht. Sie litten ohnehin schon darunter, dass die Energiekosten in den USA oder China niedriger sind. "In Österreich haben wir den strategischen Fehler gemacht, dass wir eine Gasquelle hatten, eine Transitroute und einen Großimporteur. Man muss daraus lernen und sich in Zukunft diversifiziert aufstellen."
Benigni rät zu einer "Ein-Drittel-Strategie": Bei der Versorgung mit einem Rohstoff wie Erdgas solle das Land maximal ein Drittel des Gesamtbedarfs von einem einzelnen Akteur decken lassen. Nur dadurch käme man in eine Position, um einen Ausfall ersetzen zu können. Derzeit habe das Land keinen freien Handlungsspielraum.
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