"Fluchtbranche" Gastronomie

"Fluchtbranche" Gastronomie
Die Wirte flüchten wegen der Bürokratie, die Mitarbeiter wegen langer Arbeitszeiten.

Der Rückzug von DO&CO aus dem ÖBB-Catering sorgt in der heimischen Gastronomie für keine Überraschung. Dass Gastwirte aufgeben, kommt häufig vor. Und in der Pleitenstatistik findet man das Gastgewerbe regelmäßig unter den ersten drei Branchen. Die Zahl der Lokale wird trotzdem kaum kleiner, denn täglich eröffnen mindestens drei neue in Österreich. 2015 gab es insgesamt 1378 Neugründungen in der Gastronomie. Obwohl viele Neo-Unternehmer in die Branche drängen, finden die Wirte viel zum Jammern:

  • Bürokratie Unzählige regelmäßige Überprüfungen – von der Belüftung bis zum Feuerlöscher – kosten Geld und Zeit. "Viele Junge unterschätzen diese Kosten", sagt Erwin Scheiflinger, Chef des Bastei Beisls in Wien und stellvertretender Obmann der Fachgruppe Gastronomie der Wirtschaftskammer Wien. Szene-Wirt Stefan Gergely: "Als 66-jähriger Unternehmer kann ich unter den Rahmenbedingungen in Österreich keinem jungen Menschen empfehlen, sich in der Gastronomie selbstständig zu machen."
  • Gastgärten Wegen des absehbaren Rauchverbots würden Gastgärten immer wichtiger, betont Scheiflinger. Doch einen Gastgarten genehmigt zu bekommen, sei – insbesondere in Wien – sehr schwierig. Viele Neugründer wüssten nicht, dass der "Rest-Gehsteig" mindestens zwei Meter breit sein müsste. Und wenn es dann noch Anrainerparkplätze gebe, werde aus dem Gastgarten meist nichts.
  • Mieten Die enorm steigenden Mieten in Österreichs Landeshauptstädten sowie in Wien sind wesentlich für die hohen Pleitezahlen verantwortlich.

Ein Klagepunkt der Unternehmer ist auch ein wachsendes Personalproblem. Die Branche wird als Arbeitgeber immer unbeliebter. So gingen etwa die Lehrlingszahlen zwischen 2010 und 2015 um fast ein Drittel auf 3443 zurück. Und die Arbeitslosenzahlen bleiben hoch: Im März stiegen sie gegenüber März 2015 um 3,6 Prozent auf 29.400.

Die hohe Arbeitslosigkeit hängt freilich auch damit zusammen, dass arbeitslose Kellner bzw. Köche aus Ostösterreich selten zum Wechsel in einen Saisonjob in Westösterreich bereit sind. Zudem weist die Branche eine der höchsten Fluktuationsraten aus, sie gilt als regelrechte "Fluchtbranche". Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe:

  • Arbeitszeit Die tägliche Arbeitszeit liegt – klagen viele Arbeitnehmer – oft über zehn Stunden. Vor allem in Saisonbetrieben schrumpft die tägliche Ruhezeit nicht selten auf nur acht Stunden bei einer Sechstage-Woche. Ganze freie Wochenenden – wie etwa garantierte freie Samstage im Handel – gibt es in Saisonbetrieben selten. Außerdem sinkt die Bereitschaft, am Wochenende zu arbeiten, wenn die Familie oder die Freunde frei haben.
  • Bezahlung Der kollektivvertragliche Mindestlohn beträgt 1400 Euro, damit liegt die Branche am unteren Ende der heimischen Lohnskala. Im Saisonbetrieb ist die Entlohnung besser, dafür fallen meist mehr Arbeitsstunden an. Auch mit Überstunden-Zuschlägen beträgt der Stundenlohn oft nur 9 Euro brutto.

Bei all dem Klagen gehe das Positive des "Wirtseins" leider unter, sagt Scheiflinger: "Es ist der Kontakt mit den Gästen, die Freude, wenn Geburtstage gefeiert werden und wenn das Essen schmeckt."

Schuldenlast.Gerade wurde über einen Gäste- und Nächtigungsrekord im Februar gejubelt. Jetzt kommt die schlechte Nachricht in Form einer Studie der KMU Forschung Austria im Auftrag der Bundessparte Tourismus: Jeder zweite Betrieb schreibt Verluste. „Die Belastungen steigen, die Erträge sinken“, sagt Studienautor Peter Voithofer, der 8000 Bilanzen von Hotel- und Gastronomiebetrieben ausgewertet hat. „Vor allem Kleinstbetriebe sind unter Wasser.“

Schlusslicht Kärnten

Die stabilsten Betriebe gibt es in Salzburg und Tirol, die instabilsten in Kärnten. Wolfgang Kleemann Geschäftsführer der Österreichischen Tourismusbank (OHT): „Regionen mit einer starken Wintersaison haben die stärksten Betriebe. Skigebiete können höhere Preise verlangen und haben eine bessere Bettenauslastung.“

Viele Hoteliers würden gerne investieren, haben aber schlicht kein Geld. Die Eigenkapitalquote der Branche ist traditionell niedrig (laut KMU-Forschung bei 17 Prozent). Von den Banken bekommen sie nichts mehr. Laut Kleemann liegt das Kernproblem „nicht beim schwachen Eigenkapital der Hotels, sondern beim schwachen Eigenkapital der Banken“. Daher finanzieren sie lieber in Branchen, die ihnen ein besseres Geschäft versprechen.

Eine größere Pleitewelle ist in der Hotellerie dennoch ausgeblieben. „Weil neun von zehn Betrieben in Familienhand sind und die Familien zusammenhalten und kämpfen“, argumentieren Branchenvertreter. „Der durchschnittliche Unternehmerlohn liegt bei 30.000 Euro brutto im Jahr“, sagt Tourismusobfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher. Aus ihrer Sicht muss die Branche die Preise erhöhen. Über alle Betriebe hinweg machen die Personalkosten 37,5 Prozent des Umsatzes aus, Tendenz steigend. Dass die Steuerreform den Hotels auch mehr Gäste bringt, schließt Nocker-Schwarzenbacher aus. - Simone Hoepke

Manchmal haben ein österreichischer Spitzenbetrieb und eine Kaffeehausbesitzerin ähnliche Probleme: Man wirft aufgrund der immer komplizierteren Bestimmungen (inklusive unverhältnismäßiger Strafandrohungen) irgendwann einmal entnervt das Handtuch. Do & Co hat mit seiner Sub-Firma Henry am Zug 160.000 Euro im Jahr verdient und muss nun aufgrund wiederholter Arbeitszeitverstöße mit einer 1,3-Millionen-Euro-Strafe rechnen.

In Wien-Margareten wiederum könnte ein über 100 Jahre altes Kaffeehaus zusperren, weil es wegen fehlender Genehmigungen Verwaltungsstrafe zahlen muss. In der Wiener Bezirkszeitung erklärt ein Experte für Betriebsanlagenregelungen knochentrocken das Problem von Lesungen: "Es geht dabei meist um die Lärmentwicklung, etwa, wenn das gesamte Publikum gleichzeitig über eine vorgetragene Pointe lacht."

Klassenkämpfer

Aha. Wenn das so weitergeht, werden wir bald alle nichts mehr zu lachen haben. Hallo, es sind 440.000 Menschen arbeitslos, viele Firmen finden dennoch keine Mitarbeiter. "Na klar, weil die Jobs so mies sind", sagen die Klassenkämpfer. Mag sein, kann aber auch an den hohen Anreizen für Nicht-Arbeit liegen. Oder an den hohen Auflagen für Arbeitgeber. Wer lockert sie? Geschehen ist das Gegenteil – Steuern wurden erhöht, Abschreibungsmöglichkeiten verschlechtert, Krankenkassen schicken Firmen mit Nachzahlungen in Konkurs. Bei den Abgaben kennt die Kreativität keine Grenzen: Wer einen Videofilm zeigt oder ein Kostümfest veranstaltet, zahlt Vergnügungssteuer, für einen Schanigarten wird Gebrauchsabgabe verrechnet. "Umsonst ist nur der Tod, und der kost’s Leben": Nirgendwo sonst passt die Redewendung besser als in Wien. Wetten, dass heuer mehr Kleinunternehmer zusperren und weniger neu eröffnen als sonst? Man braucht nur mit offenen Augen durch die Stadt gehen: Da gibt es die seit zwei Jahren geschlossene Buchhandlung, aufgegebene Bankfilialen, das Knopfgeschäft, das vergeblich einen Nachfolger sucht. Natürlich spielt eine Rolle, dass die Leute bei Amazon bestellen, Bankgeschäfte digital erledigen und lieber eine neue Hose kaufen, als einen Knopf anzunähen.

Es macht keinen Spaß

Aber es könnte auch sein, dass Unternehmertum einfach keinen Spaß mehr macht. Zum Beispiel, weil die Finanz – Stichwort: Gegenfinanzierung der Steuerreform – Jagd auf jede Mini-Unregelmäßigkeit macht. Wo man als Selbstständiger doch ohnehin nie sicher ist, ob man nicht gerade wieder mit einem Fuß im Kriminal steht. Zu unübersichtlich sind die Regeln. Wer eine ähnlich akribische Fehlersuche bei Sozialmissbrauch fordert oder gar mehr Transparenz bei den Einkünften von Nichtregierungsorganisationen, wird als Unmensch verurteilt.

Bei Firmen hingegen kann es gar nicht streng genug sein. Aber braucht Österreich nicht motivierte, investitionsfreudige Unternehmerinnen und Unternehmer? Auch Integration wird nur mit ihrer Hilfe gelingen! Im EU-Vergleich liegt Österreich bei Firmengründungen im unteren Drittel. Kein Wunder, die Hürden sind hoch. Wer diese aber einmal geschafft hat, hat dann wenigstens einen längeren Atem als die Kollegen im restlichen EU-Raum. Wenigstens eine gute Nachricht aus der Stillstandsrepublik. - Martina Salomon

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