EZB im Kampf gegen die Inflation: 25 Jahre und kein bisschen leise
Die Europäische Zentralbank, am 1. Juni 1998 im Vorfeld der Euro-Einführung aus der Taufe gehoben, sollte der Theorie nach politisch unabhängig agieren können. Doch schon der Start wurde von einem hochnotpeinlichen politischen Schlagabtausch überschattet.
Frankreich hatte das Match um den Standort für die neue Zentralbank gegen Deutschland verloren und schickte daraufhin im November 1997 den Chef der Banque de France, Jean-Claude Trichet, ins Rennen um den Posten des ersten EZB-Präsidenten. Die Mehrheit der Staaten, darunter auch Deutschland und Österreich, favorisierte klar den Niederländer Wim Duisenberg.
Ein monatelanges Hin und Her mit diversen untauglichen Kompromissideen folgte. Erst am EU-Gipfel Anfang Mai 1998 gelang nach mehr als elfstündigen Verhandlungen eine Einigung auf Duisenberg. Die Lösung: Der Niederländer macht nur die halbe Amtszeit von acht Jahren und räumt dann seinen Platz. Und so kam es, Trichet folgte ihm 2003 nach.
So richtig politisch unabhängig ging es auch in den Folgejahren nicht zu. Der Höhepunkt war sicherlich die eigentlich verbotene und deshalb heftig umstrittene Staatsfinanzierung durch die EZB.
Im Zuge der globalen Finanzkrise bzw. der daraufhin folgenden Staatsschuldenkrise in der Eurozone setzte Trichet 2010 gegen die deutsche Bundesbank durch, dass die EZB Anleihen von finanziell angeschlagenen Euro-Staaten aufkauft. Den Deutschen galt das als Tabubruch, viele andere Politiker wie Notenbanker sahen keine Alternative.
Als der Euro wegen all der Probleme im gemeinsamen Währungsraum ins Wanken geriet, hielt Trichets Nachfolger, der Italiener Mario Draghi, 2012 in London seine berühmte „Whatever it takes“-Rede. Eine Kampfansage an alle Spekulanten, sich ja nicht mit der EZB anzulegen. Draghi hatte Erfolg, die Spekulationen gegen den Euro hörten auf.
Heute ist der Euro – ebenfalls ein politisches Projekt und Symbol für das Zusammenwachsen Europas – nicht mehr wegzudenken. Die Euro-Zone umfasst nach dem Beitritt Kroatiens mit Jahresbeginn 2023 bereits 20 Mitglieder.
Die heutige EZB-Präsidentin, die französische Ex-Finanzministerin und Ex-IWF-Chefin Christine Lagarde, seit 1. November 2019 im Amt, hat ganz andere Sorgen als den Erhalt der gemeinsamen Währung. Zunächst war es die Pandemie, die die EZB ab März 2020 zu Milliardenhilfen für die Banken und zur Ausweitung ihres Anleiheaufkaufprogramms nötigte. Danach folgte ab Herbst 2021 der Inflationsschock, auf den die EZB zu zögerlich reagierte. Weil sie ihn zu spät kommen sah, in seiner Wucht unterschätzte und – nach viel Kritik – umso heftiger reagierte. In einem Jahr stieg der Leitzins von Null auf 3,5 Prozent.
Die vorrangige Aufgabe der EZB ist nach dem Vertrag von Maastricht „die Preisstabilität zu gewährleisten“. Das gelang viele Jahre. In der Amtszeit von Draghi war die Inflation oft Null und teils sogar negativ.
Doch ausgerechnet zum 25-jährgen Jubiläum der EZB liegt die Teuerung im Euroraum bei sieben Prozent. Das ist zwar deutlich unter dem Rekordwert von 10,6 Prozent im Oktober 2022, doch immer noch weit vom Zielwert von zwei Prozent entfernt. Die Ironie: Trotz der Preisexplosion in den vergangenen eineinhalb Jahren, liegt die durchschnittliche Inflation zwischen Mai 1998 und April 2023 bei exakt zwei Prozent.
Zurücklehnen können sich Lagarde und die Chefs der nationalen Notenbanken im EZB-Rat, dem obersten Entscheidungsgremium der Bank, nicht. Weitere Zinserhöhungen zum Leidwesen der Kreditnehmer sind bereits angekündigt.
Nachgefragt
Der langjährige Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek, sprach mit dem KURIER über die EZB. Er sagte zu:
- den Erfolgen der Bank: Die EZB hat die verschiedenen Politiken der nationalen Notenbanken unter einen Hut gebracht. Der Euro hat sich neben dem US-Dollar als Weltankerwährung etabliert. Ein Erfolg war auch Krisenbekämpfung der Jahre 2011 bis 2014.
- den Misserfolgen: Die EZB hat die Inflationsgefahr zu lange als temporäres Phänomen abgetan und unterschätzt. Die Zinserhöhungen hätten spätestens im Herbst 2021 beginnen müssen. Außerdem hat Mario Draghi 2016/’17 vergessen – nach Nullzins und Negativzins – den Schalter wieder Richtung Zinsnormalität umzulegen.
- zur Mitschuld an der Inflation: Die globale Geldschwemme in Verbindung mit der äußerst expansiven Fiskalpolitik hat eine Grundlage gelegt für die späteren extremen Preiserhöhungen.
- zur Zukunft: Die EZB hat sich mit Ausnahme der Inflationsbekämpfung als effiziente Krisenfeuerwehr bewährt. Sie sollte sich auch in Zukunft nicht in politische Vorhaben hineinziehen lassen, wie etwa Klimaschutzmaßnahmen in Form einer grünen Zentralbankpolitik. Sie sollte sich vielmehr weiter auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, sonst brechen alle Dämme.
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