Export-Bilanz: "Drei Mal auf der Verliererseite"

Skoda-Fabrik (VW) in Mlada Boleslav, Tschechien.
Trotz Rekordzahlen verliert Österreich Marktanteile. Außenhandelschef Koren: Ohne Investitionen wird’s heikel.

Österreichs Exporte steigen, Jahr für Jahr gibt es Rekordwerte. Dennoch warnen Experten der EU-Kommission, OECD und Nationalbank, dass Österreich Marktanteile verliert. Wie kann das sein? Der KURIER sprach mit Walter Koren, Chef der Aussenwirtschaft Austria in der Wirtschaftskammer.

KURIER: Wie sehen Ihre Export-Erwartungen für heuer aus?

Walter Koren: Ich weiß, das ist ambitioniert, aber ich rechne bei den Warenexporten mit drei bis vier Prozent Zuwachs. Damit würden wir die 135 Milliarden Euro überspringen. Leider wird aber oft auf die Dienstleistungsexporte vergessen. Da erwarte ich gut 4 Prozent Plus auf mehr als 55 Milliarden Euro. Unterm Strich wird somit ein neues Allzeithoch stehen.

Diese Rekorde klingen gut, aber seit 2008 verliert Österreich Exportmarktanteile. Warum?

Drei Gründe: Europas Gewicht im Weltkontext nimmt ab. Die Länder in Osteuropa gewinnen Marktanteile zulasten von Westeuropa. Und: Die Musik hat in den letzten Jahren in Übersee gespielt, wovon andere stärker profitiert haben. Da sind wir drei Mal auf der Verliererseite. Ich bin aber zuversichtlich: Die Konjunktursignale sind positiv, den Überseeanteil erhöhen wir und Osteuropa wird auch zurückkommen.

Fakt ist aber: Wir wachsen mit den Zielländern nicht mehr entsprechend mit. Was tun?

Der Wirtschaftspolitik ins Stammbuch geschrieben: Wenn es uns nicht gelingt, die Investitionsneigung signifikant zu steigern, sehe ich bei den Exportmarktanteilen Wolken. Graue, keine Schäfchenwolken.

Warum?

Ich muss in die Ausbildung meiner Mitarbeiter, in Maschinen und Material investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Nicht nur bei Exporten, auch im Inland stehen wir im Wettbewerb. Wir hinken jetzt seit Jahren bei den Investitionen nach, deshalb sinkt unsere Produktivität. Und auch bei der Innovation haben wir im EU-Vergleich sogar Plätze verloren.

Was halten Sie von der Debatte über eine Maschinensteuer oder Wertschöpfungsabgabe?

Da werden Mensch und Maschine gegeneinander ausgespielt. Dabei ist das kein Widerspruch, im Gegenteil: Indem ich in das neueste Gerät investiere, erhalte ich Arbeitsplätze. Es geht da auch nicht nur um Maschinen, genauso gut können Investitionen in webbasierte Designtools oder Tourismus-Dienstleistungen gemeint sein.

Kanzler Christian Kern hat vorzeitige Abschreibungen vorgeschlagen. Wäre das ein wirksamer Anreiz für Investitionen?

50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie. Ich wäre eher für einen Investitionsfreibetrag. Da weiß jeder im Land: Wenn ich investiere, wird das steuerlich gefördert. Bei der vorzeitigen Abschreibung ruft jeder Zweite den Steuerberater an: Was heißt das?

Wie sollte dieser Investitionsfreibetrag finanziert werden?

Ja, das kostet etwas. Aber ich behaupte, am Ende rechnet es sich für den Finanzminister. Es bringt Wachstum, mehr Nachfrage nach Investitionsgütern – auch aus Österreich –, bessere Wettbewerbsfähigkeit, mehr Exporte und letztlich auch mehr Steuern. Aber auch der Staat sollte die Investitionen ankurbeln.

Wo genau?

Die Breitbandmilliarde ist schon als Ausgabe eingetaktet, sollte aber 1,5 Jahre vorgezogen werden. So bringen wir digitale Anwendungen schneller flächendeckend ins ganze Land. Davon würde der Standort Österreich profitieren, der in den letzten Jahren verglichen mit Nachbarländern wie Tschechien und Slowakei unattraktiver geworden ist.

Österreichs Autozulieferer haben Werke in den Osten verlagert. Haben wir diese Länder groß gemacht und jetzt fahren sie uns um die Ohren?

Diese Verlagerungen sind mir sehr bewusst. Ja, österreichische und andere Firmen haben dort investiert und diese Länder sind teilweise Konkurrenten. Das passiert überall auf der Welt, stoppen können wir das nicht. Es gibt in Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen tolle Fabriken von deutschen, japanischen und koreanischen Autoherstellern. Im Umkreis siedeln sich immer Zulieferer an. Österreichische Unternehmen sind mitgegangen, weil die Alternative gewesen wäre, dass sie nicht zum Zug kommen.

Wie kann man da reagieren?

Wenn der Wind des Wandels weht, fahren die einen in den Hafen zurück. Wir setzen die Segel neu. Im Gegenzug entstehen für uns neue Chancen, weil unsere Exportfirmen Maschinen nach Tschechien liefern.

Sonst sind Exporte ein Wachstumstreiber. 2016 erwarten sich Ökonomen aber netto keinen Wachstumsbeitrag, weil Importe stärker steigen als Exporte. Kurbelt die Steuerreform die Wirtschaft im Ausland an?

Die Steuerreform hat sehr positiv auf den Konsum gewirkt. Viele Konsumgüter sind Importprodukte, das stimmt. Steigende Importe sind aber nichts Schlechtes: Da stecken oft Vorleistungen drinnen. Und sie sind mit einer gewissen Zeitverzögerung ein guter Indikator für Exportsteigerungen.

Die USA sind seit 2015 Österreichs zweitgrößter Exportmarkt. Wozu brauchen wir das Freihandelsabkommen TTIP?

Besser geht es immer. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass Freihandel um einiges mehr Nutzen bringt als Nachteile. Ich bin den TTIP-Kritikern aber durchaus dankbar, weil sie mögliche Schwachpunkte aufzeigen, auf die die Verhandler achten müssen: von der Streitbeilegung über Konsumentenschutz, Herkunftsbezeichnungen bis zur Gentechnik. Ich bin prinzipiell positiv, würde aber Bedingungen für TTIP, rote Linien, definieren.

Gäbe es noch ausstehende Handelsabkommen, die speziell in Österreichs Sinn wären?

Da fällt mir etwas Gewagtes ein. Ich schlage eine Freihandelszone der EU mit den nordafrikanischen Staaten von Marokko bis Ägypten vor – in Analogie zu NAFTA. Wir können den Migrationsdruck von dort nur verringern, wenn wir Afrika stärken.

In den USA wird aber gerade das Handelsabkommen NAFTA – irrtümlich – für die vielen Zuwanderer aus Mexiko verantworlich gemacht. Personenfreizügigkeit ist also nicht gemeint, oder?

Genau, diese Grundfreiheit ist bei einer Freihandelszone natürlich nicht gemeint. Das NAFTA-Beispiel kenne ich recht gut, ich war unter anderem fünfeinhalb Jahre Wirtschaftsdelegierter in Mexiko. Es werden nur weniger Menschen das Land verlassen, wenn die Wirtschaft gestärkt wird.

Kritiker würden einwenden, dass der freie Handel mit der EU der lokalen Produktion in Nordafrika mehr schaden würde als er nützt.

Natürlich muss es fairen Wettbewerb geben. Es darf dann nicht so sein, dass wir subventionierte EU-Überschuss-Produkte nach Afrika liefern. Aber die Tunesier würden sehr gerne ihre landwirtschaftlichen Produkte in den EU-Markt liefern. Wir haben da im Moment ein Flickwerk unterschiedlicher Abkommen und Verträge. Als Erstes müssten sie die Produkte veredeln – also Lebensmittel daraus machen. Nur Datteln liefern wäre zu wenig. Ich denke da aber auch an Lohnveredelungsindustrien, das könnten Textilien, Automobilteile oder andere Leichtindustrien sein.

Wo sehen Sie Widerstände?

Der Preis ist, dass tunesisches oder marokkanisches Olivenöl zur Konkurrenz für italienische, spanische oder griechische Produkte würde. Deshalb wären die Club-Med-Länder nicht darüber erfreut, das ist mir bewusst.

Export-Bilanz: "Drei Mal auf der Verliererseite"
ABD0041_20141218 - WIEN - ÖSTERREICH: AWO-Leiter Walter Koren am Donnerstag, 18. Dezember 2014, während einer PK der Außenwirtschaft des WKÖ (AWO) zum Thema "Rückblick Exportjahr 2015 - Ausblick 2015" in Wien. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Zahlen-Paradox: Österreich, ein Gewinner oder Verlierer?

Steigende absolute Zahlen: Der Außenhandel ist für Österreich enorm wichtig: Jeder zweite Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt an der Exportwirtschaft. 2015 sind die Warenausfuhren um 2,7 Prozent auf 131,5 Mrd. Euro gestiegen, ein Allzeithoch (Link Statistik Austria). Dazu kommen noch Dienstleistungsexporte in Höhe von 53 Mrd. Euro. Die Ausfuhren steigen somit deutlich rascher als die Wirtschaftsleistung (BIP) insgesamt.

Sinkende Marktanteile: Seit 2008 halten Österreichs Exporte allerdings nicht mehr mit dem Wachstum der Zielländer Schritt: Die Marktanteile sinken gemessen am Weltmarkt (laut EU-Kommission, Seite 46ff.) und gewichtet nach bestehenden Exportmärkten (OeNB, Seite 14ff., OECD-Exceldaten und OECD-Bericht). Der Grund ist laut Exporten eine gesunkene Wettbewerbsfähigkeit: Österreichs Löhne stiegen 2008 bis 2014 ungefähr im Gleichklang mit der Eurozone, zugleich hat sich allerdings die Produktivität verschlechtert - laut Koren eine Folge der schwächelnden Investitionen.

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