Experte: "Wir sind schon inmitten einer Insolvenzwelle“
Österreichs Wirtschaft befindet sich in einer Pleitewelle. Im ersten Quartal 2024 zählte der Gläubigerschutzverband Creditreform 1.981 Firmenpleiten, das ist ein Plus von 46,6 Prozent. Die Zahl der Konkurse stieg sogar um 65,7 Prozent. Es gibt mittlerweile 31 Unternehmensinsolvenzen pro Werktag.
Den stärksten Anstieg verzeichnet Wien, gefolgt vom Burgenland und von Oberösterreich (siehe Grafik). Im Branchenranking führt der Handel, vor dem Transportwesen sowie der Gastronomie und der Baubranche.
Die Ursachen
Die Insolvenzursachen beruhen auf „einem toxischen Mix aus Inflation, hohen Energiekosten, rückläufigem Konsum und schwierigen Finanzierungsbedingungen sowie einer sehr schwachen Konjunktur“, sagt Gerhard Weinhofer von Creditreform. Und weiter: „Zum Handel ist zu sagen, dass die Leute nur Geld dafür ausgeben, was lebensnotwendig ist – und für Urlaub. Aber bei Möbeln, Kleidung und Büchern wird gespart.“ Der Online-Handel sei in der Corona-Pandemie stark gewachsen und werde den stationären Handel weiter unter Druck setzen.
Im Transportwesen gibt es viele Kleinunternehmer und Zusteller, bei denen sich ihr Geschäftsmodell nicht rechnet. „Die stehen alle unter einem massiven Druck, und bei vielen geht es sich nicht mehr aus“, sagt Weinhofer. „Und am Bau gibt es mehrere Themen: Hohe Material- und Energiekosten, steigende Personalkosten und den Fachkräftemangel. Man muss mehr für die Beschäftigten zahlen, um sie zu halten.“ Außerdem hat die strengere Regelung bei der Kreditvergabe zu einem massiven Auftragsrückgang geführt.
Pleiten in Wien stark gestiegen
„Dazu kommt, dass große Bauunternehmen mittlerweile auch kleinere Aufträge übernehmen und die kleinen und mittelständischen Bauunternehmen verdrängen“, sagt Weinhofer. „Es gibt große Baukonzerne, die jetzt auch Einfamilienhäuser bauen.“
Warum die Firmenpleiten in Wien, im Burgenland und in Oberösterreich so stark gestiegen sind, kann Weinhofer nicht genau erklären. In Wien dürfte der extreme Zuwachs vor allem auf Pleiten im Handel zurückzuführen sein. Insgesamt rechnet der Experte damit, dass die Zahl der Firmenpleiten heuer die Marke von 7.500 Fälle übersteigen könnte. Das wäre mehr als in der Finanzkrise 2009. Damals waren es 6.900.
Motor stottert
Doch nicht nur Österreich droht ein Insolvenz-Tsunami, in ganz Westeuropa hat sich die Lage verschärft. „Westeuropa ist schon inmitten einer Insolvenzwelle. So stottert der deutsche Wirtschaftsmotor, die Deutschen haben sogar ein geringeres Wirtschaftswachstum als wir“, so Weinhofer. „Auch für das nächste Jahr sind die Prognosen für Deutschland und Österreich sehr bescheiden.“ Problem: Deutschland ziehe Westeuropa mit nach unten.
Im Vorjahr sind die Firmenpleiten in Westeuropa um 20,9 Prozent auf 169.500 Fälle gestiegen.
„Das Vor-Corona-Niveau ist deutlich überschritten. Das ist teils dramatisch“, ergänzt Creditreform-Experte Patrik-Ludwig Hantzsch. „Das letzte Mal, dass wir so viele Insolvenzen in Westeuropa hatten, war 2016.“ Nachsatz: „Wir sehen eine neue Realität, die Einschläge bei den Unternehmen werden dichter.“ In den meisten Ländern Westeuropas gibt es eine Zunahme im zweistelligen Prozentbereich. Ausreißer dabei mit fast 3.000 Prozent Zuwachs ist Griechenland, doch die extreme Steigerung ist dort auf neue gesetzliche Regelungen zurückzuführen.
Umsatz stagniert
In Westeuropa ist der Handel inklusive Gastronomie und Tourismus mit einer Insolvenzquote von 24,8 Prozent am stärksten betroffen. Hantzsch: „Der Umsatz stagniert, die Leute geben weniger Geld aus. Die Spar-Neigung ist auf einem hohen Niveau wie schon lange nicht.“ Auch in der deutschen Industrie gibt ein Pleitenplus von 20 Prozent. „Die Industrie war früher der Fels in der Brandung, wenn es darum ging, Rezession und Schwankungen auszugleichen“, sagt Hantzsch. Nun sei die Rezession im deutschen Raum angekommen. Davon sei vor allem auch die Zulieferindustrie aus anderen Ländern wie Polen, Spanien und Österreich betroffen.
In Mittel- und Osteuropa ist die Lage eher durchwachsen. Die Firmenpleiten stiegen um 7,9 Prozent auf 64.800 Fälle. Davon entfallen alleine 47.600 Insolvenz- und Liquidationsverfahren auf Ungarn. Ein deutliches Plus gibt es sonst nur in Estland, der Slowakei und in Serbien.
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