Euro-Talfahrt: "Wie ein Konjunkturpaket"

Wegen der neu aufgeflammten Griechenland-Krise ist der Euro so schwach wie zuletzt vor neun Jahren.
Neuer Schwung für Exportwirtschaft – tiefer Ölpreis zusätzliche Stütze. Deflationsgefahr bringt EZB unter Zugzwang.

Warum fällt der Euro-Kurs so stark? Zum einen drückt die Debatte über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone die Währung. Zum anderen machte EZB-Präsident Mario Draghi bewusst Stimmung gegen den Euro. Er will mit dem schwachen Euro die lahme Konjunktur in Gang bringen.

Wie viel Wachstum kann der Euro-Verfall auslösen? Bewegt sich der Euro im Jahresdurchschnitt 2015 bei 1,18 Dollar, bringt das für Österreich ein zusätzliches Wachstum von 0,3 Prozentpunkte – also: 0,7 statt 0,4 Prozent Wirtschaftswachstum, schätzt Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt der Bank Austria.

Woher kommt der Wachstumsschub? Von der Exportwirtschaft. Produkte aus der Eurozone sind für Drittländer billiger. Die Exporteure können besser verdienen, ihre Zuversicht steigt und sie beginnen wieder zu investieren.

Österreich exportiert nur ein Drittel aller Waren und Dienstleistungen in Nicht-Euro-Länder. Wirkt ein niedriger Euro-Kurs auch für unsere Wirtschaft tatsächlich so stark? Das Interessante ist: Die Exporte in Nicht-Euro-Länder sind großteils ausschließlich in Österreich erzeugte Produkte. Steigen diese Ausfuhren, erhöht sich unmittelbar auch die Produktion in Österreich. Die Exporte in die Eurozone hingegen sind oftmals Waren, die aus Osteuropa importiert, hier bearbeitet und dann weitergeliefert wurden.

Welche Branchen profitieren am meisten? In Österreich sind das vor allem die Maschinen- und Anlagenbauer, die Elektroindustrie und die dazugehörenden Dienstleistungen. Diese Unternehmen liefern vergleichsweise viel in Länder außerhalb der Eurozone, vor allem nach Asien und Lateinamerika. Und sie produzieren fast ausschließlich in Österreich. Die Fahrzeugindustrie dagegen führt den Großteil ihrer Erzeugnisse nach Deutschland und hat etwa 70 Prozent dieser Exportwaren zuvor selbst importiert.

Euro-Talfahrt: "Wie ein Konjunkturpaket"

Ist beim Euro-Kurs der Boden erreicht? Nein. Der Euro wird noch schwächer, wenn in den USA die Zinsen steigen. Das könnte sogar zur Parität, also einem Wechselkurs von eins zu eins, führen. "Ich würde das nicht ausschließen", sagt Wirtschaftsforscher Thorsten Schmidt vom deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut RWI, Essen. Nicht vergessen sollte man auch, dass der Euro in den ersten Jahren seines Bestehens schon einmal viel tiefer war als jetzt.

Hat ein niedriger Euro auch Nachteile? Ja, für Urlaube außerhalb der Eurozone. Ein tiefer Euro-Kurs schwächt die Kaufkraft: Das, was jeder Österreicher verdient, ist dann in der Welt außerhalb der Eurozone weniger wert. Importwaren wie iPads werden teurer.

Kann der Rückgang des Euro-Kurses allein die Stagnation der europäischen Wirtschaft beenden? Der niedrige Euro wirkt positiv auf die Wirtschaft. Aber das ist zu wenig, um das Ruder herumzureißen, sagt Stefan Bruckbauer.

Was bräuchte Europas Wirtschaft noch? Politiker, die sich einig sind, ist Bruckbauer überzeugt. Und: öffentliche Konjunkturprogramme. 2015 werde das Jahr der Politik. Wahlen in Griechenland, die Streitereien zwischen der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank und die Uneinigkeit über den wirtschaftspolitischen Kurs Spaniens seien große Gefahren für die Eurozone.

Hilft das billigere Öl der Wirtschaft? Bruckbauer schätzt, dass der Ölpreisrückgang das Wachstum in Österreich heuer um 0,2 Prozentpunkte ankurbelt.

Was bedeutet der fallende Ölpreis für die Inflation? Das steigert die Deflationsängste, also die Sorge vor dauerhaft fallenden Preisen. Am Mittwoch wird die Dezember-Inflationsrate für den Euroraum veröffentlicht. Diese wird ein negatives Vorzeichen haben, befürchten Experten: Denn sogar die deutsche Teuerung betrug zuletzt nur noch 0,2 Prozent, ist also weit entfernt von den 2 Prozent, die die EZB anpeilt.

Was ist so schlimm, wenn die Preise sinken? Aus Konsumentensicht klingt das fabelhaft – gerade für Österreicher, die unter der höchsten Teuerung im Euroraum stöhnen. Allerdings leiden die Unternehmen, wenn sie ihre Produkte immer billiger auf den Markt werfen müssen. Heikel wird es, wenn fallende Preise zur Dauereinrichtung werden und auch die Löhne sinken.

Warum gehen Deflation und eine stagnierende Wirtschaft meist Hand in Hand? Fallende Preise sind ein Zeichen von fehlender Nachfrage. In Europa kann man die negativen Effekte schon erahnen: „Die Unternehmen beginnen, sich auf ein wirtschaftliches Umfeld von 1 Prozent Wachstum und 1 Prozent Inflation einzustellen“, warnte EZB-Direktor Peter Praet im Interview mit der Börsen-Zeitung. Die Folge: Sie investieren weniger. Das verdüstert den Ausblick weiter und lässt die Arbeitslosigkeit steigen – ein Teufelskreis.

Warum warnen gerade Notenbanker so ausdrücklich vor Deflation? Weil es schwierig ist, gegenzusteuern, wenn sich die Deflation erst einmal verfestigt hat. Japan kämpft seit gut zwanzig Jahren dagegen an.

Wie wirkt sich das auf die Staatsschulden aus? Sinkende Preise sind zunächst einmal ein Vorteil für Anleger: Ihr Erspartes wird gemessen an der Kaufkraft mehr wert. So fehlt aber ein Anreiz zur Ankurbelung der Wirtschaft – und es wird für Kreditnehmer schwieriger, Schulden zurückzuzahlen. Die Entschuldung der Staaten kommt ebenfalls zum Erliegen, wenn ein negativer Realzins (Zinssatz abzüglich Inflation) nicht mehr möglich ist.

Was kann die EZB dagegen unternehmen? Die nächste geldpolitische Sitzung findet am 22. Jänner statt. Die Erwartung ist, dass die Zentralbank dann ankündigt, dass sie den Banken Staatsanleihen („Quantitative Easing“) abkaufen wird.

Was bringt das? Wo liegen dabei die Risiken? Die EZB pumpt Geld in den Markt, das die Banken als Kredite vergeben können, und drückt die Langfristzinsen für Staatsanleihen. Das setzt falsche Anreize, sagen Kritiker: Wenn die EZB die Risiken verantwortungsloser Staaten schultert, sei eine Grenze überschritten. Entscheidend ist aber, wie und welche Papiere die EZB kauft: Hält sie sich an den fairen Aufteilungsschlüssel, profitiert Deutschland, das die Hilfe am wenigsten braucht, am meisten.

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner:

Der schwache Euro beflügelt die Exportwirtschaft. Österreich profitiert davon überproportional. In Verbindung mit niedrigen Ölpreisen wirkt das wie ein Konjunkturpaket. Es muss aber auch die Nachfrage in Europa steigen. Impulse wie das Investitionspaket der EU-Kommission sind nötig.

Finanzminister Hans Jörg Schelling:

Das ist eine Art Wachstumsmotor für Österreichs Wirtschaft. Österreich profitiert doppelt. Denn erstmalig werden auch Importe durch den schwachen Euro nicht teurer – dank des niedrigen Ölpreises. Ein starker Euro muss aber trotzdem unser Ziel bleiben, das ist auch gesamteuropäisch betrachtet Konsens.

Stefan Bruckbauer, Bank Austria:

Eine Schwächung des Euro ist das letzte Werkzeug zur Konjunkturbelebung, das der Europäischen Zentralbank bleibt. Tiefst-Zinsen haben wir bereits.

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