EU-Ziele 2030: Schutz für Klima und Industrie

EU-Ziele 2030: Schutz für Klima und Industrie
Strengere EU-Klimaziele sollen Renaissance der Industrie in Europa nicht bremsen.

Es ist ein Spagat, der die europäische Politik in den kommenden Jahren noch öfter beschäftigten wird. Geht es doch darum, zwei zentrale Ziele zu vereinbaren: Die Stärkung der Industrie – bei gleichzeitigem Ausbau des Klimaschutzes.

Die EU-Kommission legte am Mittwoch zu beidem Vorschläge für neue gemeinsame Ziele auf den Tisch: Bis zum Jahr 2020 soll der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt der EU von bisher 15 auf 20 Prozent gesteigert werden. Die Regierungen der 28 Mitgliedsstaaten müssten mehr unternehmen, um die Industrie zu stärken, fordert der zuständige Kommissar Antonio Tajani (siehe auch Interview rechts): „Nur mit einer möglichst raschen Reindustrialisierung und Modernisierung unserer Wirtschaft können wir neue Arbeitsplätze schaffen.“

Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende März müsse sich mit der Lage der Industrie befassen, verlangt Tajani. Bei eben diesem Treffen dürften auch die neuen EU-Klimaziele Thema sein, die Energiekommissar Günther Oettinger und Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard gestern präsentierten.

Gemeinsames Ziel

Der EU-weite CO2-Ausstoß soll bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um 40 Prozent gesenkt werden (das 2020-Ziel der Union sieht ein Minus von 20 Prozent vor). Gleichzeitig soll der Anteil der Erneuerbaren Energie EU-weit auf 27 Prozent steigen (2020-Ziel: 20 Prozent). Für die Energieeffizienz, die bis 2020 um 20 Prozent gesteigert werden soll, gibt es vorerst kein neues Ziel.

Wieso es jetzt, sechs Jahre vor dem Stichtag der alten 2020-Ziele, schon wieder neue Messlatten gibt? „Für die Investoren im Energiesektor, der Infrastruktur und der Energie ist 2020 gestern Abend gewesen und 2030 liegt direkt vor der Tür“, sagte Oettinger.

Ein Umdenken gibt es bei den Zielen für den Ausbau von Ökoenergie: Gab es bisher für jedes Land ein nationales Ziel, wird jetzt nur noch ein gemeinsamer EU-Durchschnitt angestrebt. Das soll den Mitgliedsstaaten mehr Flexibilität bei der Förderung der Erneuerbaren geben; wer will, könne freilich weiter nationale Ziele beschließen.

Schiefergas-Förderung

Was beide Pakete verbindet, sind die Energiepreise, die in Europa deutlich über jenen in Konkurrenz-Märkten wie Amerika liegen. Zur Stärkung der Industrie müssten die Energiepreise deutlich gesenkt werden. Doch geht das angesichts der investitionsintensiven Erneuerbaren Energien nicht immer mit dem Klimaschutz einher. Die Kommission glaubt, dass mit einer Öffnung der nationalen Energiemärkte in Richtung eines gemeinsamen Marktes die Preise sinken würden – wenn die Mitgliedsstaaten einen einheitlichen Energiemarkt wollen.

Die Kommission stellt es den Staaten frei, ob sie auf die umstrittene Förderung von Schiefergas setzen. Falls ja, solle ein „angemessener Umwelt- und Klimaschutz gewährleistet“ werden. Das „Fracking“, das Aufbrechen von Gestein durch Einpressen von Flüssigkeiten, mit dem Schiefergas gefördert wird, sei sorgfältig zu prüfen.

KURIER: Der Industrieanteil sollte eigentlich steigen, ist zuletzt aber gesunken. Warum?

Antonio Tajani: Weil die EU viele Jahre lang keine Strategie für die Industrie hatte. Der Finanzsektor ist gewachsen, der produzierende Bereich geschrumpft. Seit 2010 arbeiten wir alle daran, Wachstum und Jobs in der Industrie zu schaffen. Darauf bin ich am allermeisten stolz.

Der Stahlriese ArcelorMittal klagt, dass er in Europa eine Milliarde Dollar pro Jahr mehr für Energie zahlt als in den USA. Unsere Regeln gelten für alle gleich, auch für multinationale Konzerne. Ich habe (Firmenchef) Lakshmi Mittal vor Kurzem getroffen und er respektiert unseren Aktionsplan für die Stahlindustrie.

Wie können Sie verhindern, dass Unternehmen abwandern? Ich habe nur politischen Einfluss, kämpfe aber stark gegen die Abwanderung der Industrie. Da geht es nicht allein um Geld, sondern um Sozialpolitik. Wenn Konzerne, die Gewinne machen, Fabriken schließen, um anderswo noch mehr Gewinn zu machen, habe ich dafür kein Verständnis.

Warum setzt sich die EU strengere Klimaziele, wenn der Rest der Welt nicht mitmacht?

Österreich hat acht wichtige Stahl-Unternehmen. Es ist schwierig, mit den USA und China mitzuhalten. Mit noch ambitionierteren Vorgaben wäre es unmöglich. Deshalb bleiben die Ausnahmen für die energieintensive Industrie bis 2021 aufrecht.

Die EU will den CO2-Ausstoß bis 2030 aber um 40 Prozent senken. Wofür haben Sie gestimmt?

Ich war für 35 Prozent, akzeptiere aber, dass sich die Mehrheit der EU-Kommissare anders entschieden hat.

Das Gespräch fand im Rahmen einer Journalisten-Konferenz auf Einladung der Kommission statt.

Die große Hoffnung der europäischen Großindustrie auf sinkende Energiepreise durch Schiefergas-Förderung könnte sich als Illusion herausstellen. „In den USA wird immer klarer, dass sich die Schieferöl- und -gasförderung nicht rechnet“, sagt der renommierte deutsche Energieexperte Werner Zittel, Vorstand der Ludwig-Bölkow-Stiftung.

Er geht davon aus, dass der Boom bald zur Blase wird. Laut Zittel sind die Investitionen in die Schiefergasförderung in den USA im Vorjahr auf 3,4 Milliarden Dollar gesunken. 2011 flossen noch elf Milliarden Dollar in die Erschließung von Schiefergasvorkommen. „Es spricht sich herum, dass die Förderfelder nicht mehr leicht zu verkaufen sind“, erklärte Zittel, der auf Einladung des Klima- und Energiefonds in Wien war. Eine erfolgreiche Bohrung produziere durchschnittlich 30 bis 40 Millionen Kubikmeter Gas, die zu acht Dollar-Cent je Kubikmeter verkauft werden könnten. „Das ergibt 2,4 Millionen Dollar Einnahmen. Eine Bohrung kostet aber schon drei Millionen Dollar. Da verliert man Geld“, führte der Experte aus.

Er wertet die Propaganda der USA für Schieferöl- und Schiefergas als „verzweifelten Versuch das Ölzeitalter zu verlängern“. Tatsächlich aber sei dieser Weg eine Sackgasse. Denn das Schieferöl könne nur kurzfristig den deutlichen Rückgang der konventionellen Ölförderung vertuschen.

Öl wird knapper

Seit dem Jahr 2000 schon gehe die Ölförderung in der Nordsee zurück. Und die großen an der Börse notierten Ölfirmen wie Shell, Exxon, Total und andere hätten in den vergangenen zehn Jahren eine Verringerung ihrer Ölproduktion um 50 Prozent hinnehmen müssen. Zugleich gingen die Kosten für die Ölförderung steil nach oben. Auch der Hoffnungsträger Tiefseeöl habe bisher nicht das geliefert, was erwartet wurde. Brasilien habe mangels Rentabilität mit der Tiefseeförderung nur zögerlich begonnen.

Zittel ist überzeugt, dass die USA weiterhin von Gas- und Ölimporten abhängig bleiben. „Auch die USA müssen zur Kenntnis nehmen, dass es keinen anderen Weg gibt, als Energie einzusparen“, betonte er. Nur damit könne die Importabhängigkeit verringert werden. Sparen und der Ausbau Erneuerbarer sei auch der Weg für Europa.

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