Erwache, Drache! Chinesisches Neujahr löst historische Reisewelle aus
Mit Konsumrausch und Rekord an Einzelreisen will das Reich der Mitte dem konjunkturellen Winterschlaf entfliehen. Europa profitiert noch kaum davon
10.02.24, 08:00
"Gong Xi Fa Cai“. Der traditionelle Neujahrswunsch, gerne übersetzt mit „viel Glück beim Reichwerden“, hat heuer einen schalen Beigeschmack. Die Wirtschaft schwächelt, der Konsum ist rückläufig. Geld ausgeben statt Geld ansammeln lautet daher die Devise für einen der wichtigsten Feiertage der Welt – das Fest zum Mondneujahr, weltweit bekannt als chinesisches Neujahrsfest.
Jahr des Drachen beginnt
Mehr als eine Milliarde Menschen feiern heute, Samstag, den Beginn des Jahres des Drachens. Und das gleich eine ganze Woche lang. Behörden und Schulen bleiben geschlossen. Ganz China leuchtet im Schein Hunderttausender roter Laternen, Familien kommen zusammen, es wird ausgelassen gefeiert und traditionell werden kleine rote Kuverts mit Bargeld sowie Geschenke überreicht.
„Die Erwartungen sind heuer besonders groß, denn es ist das erste chinesische Neujahr wieder ohne Covid-Einschränkungen“, weiß Franz Rößler, Regionalmanager Asien in der Außenwirtschaftsabteilung der Wirtschaftskammer und früherer Wirtschaftsdelegierter in Hongkong.
Die Bargeld-Geschenke in roten Kuverts wurden inzwischen vielfach abgelöst von elektronischen Guthaben am Smartphone, mit denen im Internet eingekauft wird. „Um Kaufanreize zu schaffen, werben die eCommerce-Plattformen mit speziellen Neujahrs-Rabatten“, berichtet Rößler. Ein Konsumboost sei auch dringend nötig, um die lahmende Konjunktur anzukurbeln.
Multiple Krisen
Chinas Wirtschaft wuchs im Vorjahr zwar um 5,2 Prozent und erreichte damit das offizielle Ziel von rund 5 Prozent. Doch die Erholung verlief holprig, die Regierung in Peking musste mit Konjunkturspritzen nachhelfen. Seit Ende der Corona-Eindämmungsmaßnahmen Ende 2022 hat die Volksrepublik Schwierigkeiten, an die wachstumsstarke Zeit von vor der Pandemie anzuknüpfen.
Neben der weiter schwelenden Immobilienkrise rund um die Milliardenpleite Evergrande stottert auch der so wichtige Exportmotor. An den Börsen kam es zuletzt zu einem gefährlichen Ausverkauf, sodass die Führung in Peking eingreifen musste. Staatlich unterstützte Investoren weiteten ihre Aktienkäufe aus, und zugleich grenzten die Behörden Nettoverkäufe und Leerverkäufe etwa von Fonds ein.
Unsicherheit und Misstrauen in die Wirtschaftsleistung, aber auch steigende Arbeitslosigkeit dämpfen die Einkaufslust. Die Preise sind zu Jahresbeginn so stark gefallen wie seit über 14 Jahren nicht mehr und schüren damit Ängste vor einer konjunkturschädlichen Deflationsspirale. Die Inflationsrate lag im Vorjahr bei nur 0,2 Prozent. In Erwartung weiter sinkender Preise halten sich die Chinesen mit Ausgaben zurück.
In der Ferienwoche stehen viele Fabriken still, manche sogar länger. „Da hebt dann oft gar niemand am Telefon ab“, erzählt Rößler. Der Stillstand wirkt sich auf die Exporte und zum Teil auf globale Lieferketten aus.
Statt in die Arbeit, gehen die Chinesen wieder auf Reisen. Egal ob Familienbesuch, Sightseeing oder ein lang ersehnter Urlaub: Die Reisewelle rollt nach den Corona-bedingten Einschränkungen der letzten Jahre wie nie zuvor. Ein ganzes Volk nutzt die neue Reisefreiheit. Die „Chunyun“ genannte Hauptreisezeit begann am 26. Jänner und dauert noch bis 5. März. Das chinesische Verkehrsministerium prognostiziert für diesen Zeitraum etwa neun Milliarden (!) Einzelreisen.
Die Zahl ergibt sich, weil viele der Reisenden gleich mehrere Reiseabschnitte benötigen, um ihr Ziel zu erreichen oder gleich mehrere Reisen hintereinander unternehmen. Chinesische Medien sprechen vollmundig von der „größten Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit“.
Die Reiseplattform Ctrip berichtet, es gebe mehr als dreimal so viele Reisebuchungen um das Neujahrsfest 2024 wie im Vorjahr und fünfmal so viele Hotelreservierungen. Air China stockte die Inlandsflüge um 30 Prozent auf.
Die Reisewelle rollt vor allem innerchinesisch. Einer der beliebtesten Destinationen ist Harbin, wo das Eis- und Schneefestival Millionen Menschen anlockt. Zum Skifahren fliegen die Chinesen nach Japan oder Südkorea. Skifahren sei aber noch eine Randsportart, so Rößler.
„Wer es sich leisten kann, den zieht es eher nach Japan, weil dort die Schneeverhältnisse ähnlich wie in China sind“. Hoch im Kurs ist Thailand, das die Visa-Pflicht aufgehoben hat. Die Gruppenreisen nach Europa und damit auch nach Österreich müssten erst wieder anlaufen, so der Wirtschaftsexperte. Die Flüge seien sehr teuer und es brauche eine gewisse Vorlaufzeit bei den Veranstaltern. Air China wird die Flüge von Wien nach Peking aber schon bald aufstocken.
Kommentare