Digitalisierungswelle ist (noch) gar nicht da

Industrieroboter nicht mehr wegzudenken: Auto-Zulieferer Gestamp in Abrera bei Barcelona
Einkommen in Österreich sind ungleich verteilt – der Technologiewandel ist wohl nicht verantwortlich.

Die Maschinen rücken uns näher: Algorithmen, Roboter und Künstliche Intelligenz können menschliche Fähigkeiten zusehends ersetzen. Das nährt verständlicherweise Befürchtungen, dass die teure Arbeitskraft ausgetauscht wird – und die Schere zwischen denen, die vom technologischen Wandel profitieren und jenen, die abgehängt werden, aufgeht. Schreckensszenarien von Massenarbeitslosigkeit und Heerscharen an neuen Billiglohnsklaven sorgen für knallige Schlagzeilen.

"Wo bleibt diese Welle der Digitalisierung?", fragt sich allerdings Wolfgang Polt von Joanneum Research. Er hat mit Kollegen der WU Wien im Auftrag von Verkehrsministerium (BMVIT), Stadt Wien und Arbeiterkammer untersucht, ob und wie sich der technologische Wandel von 2002 bis 2014 (die jüngsten verfügbaren Zahlen) in Österreich ausgewirkt hat.

Das Fazit der am Montag präsentierten Studie: "Wir haben Zweifel, dass die digitale Revolution schon im Gang ist – in den Daten ist sie jedenfalls nicht sichtbar", sagte Polt.

Produktivität

Die Annahme wäre: Die Unternehmen stecken viel Geld in die Forschung und in die Telekom-, Computer- und Roboter-Infrastruktur, weil sie so auf lange Sicht Kosten sparen und effizienter produzieren können. Dank innovativer Technologien müsste also mehr Wertschöpfung aus jeder einzelnen Arbeitsstunde herausgeholt werden können – die Produktivität sollte steigen.

Ja, in der Sachgüterproduktion gibt es solche Zusammenhänge tatsächlich, bestätigt die Studie. Die Produktivität sei von 2002 bis 2014 in allen Branchen gewachsen. Das Ausmaß sei aber eher moderat: "Wir sehen keine Beschleunigung mit revolutionären Ausmaßen", sagte Polt. Eher sei eine Abschwächung des Produktivitätszuwachses feststellbar.

Dafür genießen Forschungsausgaben heute einen höheren Stellenwert als in früheren Zeiten und haben sich von der Konjunktur entkoppelt. Sie sind sogar während der Krisenjahre 2008 und 2009 stabil geblieben – da hätten die Ökonomen Rückgänge erwartet.

Beschäftigung

Wenn Arbeitskräfte ersetzbar würden, müsste sich das auf den Arbeitsmarkt niederschlagen. Im Zeitraum 2002 bis 2014 ließ sich das aber nicht feststellen: "Wir sehen keinen Beschäftigungsrückgang auf breiter Front", sagte Stella Zilian von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Wie sich das künftig entwickle, lasse sich daraus freilich nicht ableiten.

Gerade in Wien nimmt in High-Tech-Branchen der Wettbewerb um qualifizierte Facharbeiter stark zu. Diese können höhere Löhne fordern – wohingegen mangelhafte Qualifikationen und soziale Kompetenzen bei vielen Lehrlingen die Jobchancen mindern, unabhängig von der Digitalisierung.

Löhne

Die Schere geht auf: Die Ungleichverteilung der Einkommen ist laut Studie zwischen 2005 und 2014 gestiegen. Zwar seien die Lohnunterschiede in Österreich international noch auf relativ niedrigem Niveau, sie nehmen aber zu.

Die Löhne sind dabei im (sehr heterogenen) Dienstleistungsbereich noch ungleicher verteilt als in der Sachgütererzeugung. Auffällig ist eine in allen Sektoren gestiegene Teilzeit-Quote.

Welchen Einfluss der technologische Wandel darauf hat, sei "nicht leicht zu interpretieren", räumte Zilian ein. Sie sieht "eher positive, die Ungleichheit verringernde Tendenzen". Für die steigende Arbeitslosigkeit und Ungleichheit seien offenbar andere Faktoren verantwortlich.

Wettbewerb

Sinken die Löhne, während die Gewinne der Unternehmen steigen? Das habe man mangels verfügbarer Daten nicht analysieren können, sagte Wilfried Altzinger von der WU Wien. Kurzfristig ist seit der Krise die Lohnquote (der Anteil der Einkommen) zwar gestiegen. Tendenziell sinke sie allerdings seit den 1980ern in allen OECD-Ländern.

US-Studien hätten ergeben, dass womöglich gar nicht die Technologie an sich schuld sei, sondern eine hohe Marktkonzentration. In Unternehmen, die weniger stark dem Konkurrenzkampf und Wettbewerb ausgesetzt sind, steigt die Rendite – und die Lohnquote fällt. Das trifft auf die Digitalwirtschaft besonders zu, wo die Größe und ein hoher Marktanteil den Branchenleadern noch stärker in die Hände spielt als in der traditionellen Industrie.

Ein Staat könne durchaus eingreifen, um Monopole und Marktmissbrauch, prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder unfaire Steuermodelle zu verhindern; er müsse sich nicht mit der angeblichen "Macht" von Facebook, Uber, Google & Co. abfinden, sagte Agnes Streissler-Führer (Gewerkschaft GPA-djp) kürzlich bei einer Diskussion über die Studie: "Deren Größe bemisst sich rein am Marktwert, also an Börsenfantasien." Schaue man hingegen die Umsatz- oder gar Mitarbeiterzahlen an, seien die "Superstar-Firmen" gar nicht mehr so imposant.

Die zunehmende Digitalisierung wird „die Welt besser machen und mehr Wohlstand schaffen“, ist zumindest Siemens Konzernchef Joe Kaeser überzeugt. Werde diese vierte industrielle Revolution, warnt Kaeser im Nachrichtenmagazin Spiegel, aber nicht sorgfältig erklärt und begleitet, drohe er die Gesellschaft weiter zu spalten.

Um das zu verhindern, bräuchten die Unternehmen mehr Freiheit, um erfolgreich zu sein, dafür solle ein Teil der Wertschöpfung dann an die umverteilt werden, die von der Digitalisierung nicht profitieren. Etwa durch „eine Art Grundversorgung für das Alter“. Dadurch soll nicht nur das Ansteigen von Altersarmut verhindert werden, sondern auch der Zustrom zu nationalistischen Parteien wie die AfD gebremst werden. Die Mittel dafür könnten unter anderem aus einer höheren Besteuerung von Gewinnen aus Finanzgeschäften kommen.

Als Schicksalsfrage für die deutsche Industrie sieht Kaeser, ob sie sich schnell genug an das enorm rasch ändernde Umfeld anpassen kann. Und die Firmen müssten dem Wandel gegenüber aufgeschlossener werden. Als Negativ-Beispiel nennt Kaeser die Siemens-Entscheidung, Internet-Telefonie als „Blödsinn“ abzulehnen: „Der Rest ist bekannt: Siemens hat kein Kommunikationsgeschäft mehr.“

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