„Bis Anfang der 90er-Jahre sind bis zu 90 Prozent der Leute mit Universitätsabschluss ausgewandert. Es gab einfach keine Arbeit im Land. Dann passierte der Celtic Tiger, die irische Erfolgsgeschichte“, erzählt Josef Treml, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Irland, im Gespräch mit dem KURIER. Damals begannen vorrangig amerikanische, multinationale Unternehmen, sich im Land anzusiedeln – in erster Linie aus den Bereichen Pharma, Medtec und IT wie Facebook oder Google. So wurden Tausende Arbeitsplätze geschaffen und zehntausende Menschen ins Land gelockt (siehe Fakten unten).
EU-Nettozahler
Dass es gelang, mehr Leute ins Land zu holen, ist damit zum einen – wirtschaftlich – sehr erfreulich. Immerhin hat Irland bis 2018 EU-Förderungen erhalten. „Seither ist Irland EU-Nettozahler“, sagt Treml.
Zum anderen hat die steigende Bevölkerungszahl auch Nebenwirkungen. Problem Nummer eins: die Wohnungsknappheit. „Was mit dem Erfolg einhergeht: Die irische Bürokratie, das Planungssystem und die irische Wohnungsgesetzgebung waren darauf ausgelegt, dass es ohnehin immer ausreichend Wohnraum gibt“, skizziert Treml. Dadurch wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten wenig in Wohnimmobilien oder sozialen Wohnbau investiert. Deswegen gibt es aktuell einen eklatanten Mangel an leistbarem Wohnraum. Und zwar nicht nur im Großraum Dublin, sondern de facto in ganz Irland. Treml: „Aktuell sind etwa 1.000 Wohnungen am irischen Willhaben-Pendant inseriert – in ganz Irland.“
Die Kosten für diese Wohnungen explodieren. Wer einen Abschluss hat, findet zwar einen Job – aber keine (leistbare) Wohnung. Noch dazu ist die bevorzugte und verbreitetste Wohnform das Reihenhaus. „Das braucht viel Fläche und kostet entsprechend. Nun wird versucht, die Stadt mehr und mehr zu verdichten.“ Bisher waren große Wohnblöcke kein Thema, erst in der jüngsten Vergangenheit wurde damit begonnen, mit Wohnhäusern in die Höhe zu gehen. „Sogar der Großraum Dublin besteht vor allem aus Reihenhaussiedlungen.“
Gesundheitssystem
Baustelle Nummer 2: das Gesundheitssystem. Wer dringend zu einem Arzt oder einer Ärztin will, muss sich in Geduld üben. Es sei fast unmöglich, kurzfristig einen Termin zu bekommen, sagen Insider. Und: In ganz Irland gibt es so viele Intensivbetten wie in der Steiermark. Deswegen fliegen viele ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in ihre Heimatländer, um dort Arztbesuche zu absolvieren. Denn es gibt wenige Ärztinnen und Ärzte, und die, die da sind, haben extrem ungünstige Arbeitsbedingungen. Das Gesundheitspersonal dockt also in anderen Staaten mit Amtssprache Englisch an.
Das alles ist ebenfalls ein Resultat aus der irischen Geschichte. Irland war bis Mitte der 90er-Jahre eines der Armenhäuser Europas. Damals wurde kaum in Infrastruktur und Gesundheitssystem investiert. Jetzt wird das nachgeholt – aber natürlich lässt sich nicht ein ganzes System in wenigen Jahrzehnten komplett sanieren.
Und noch eine Berufsgruppe ist heiß begehrt: Lehrerinnen und Lehrer. „Diese werden gern als ,Native Speaker‘ in den Nahen Osten abgeworben. Da verdienen sie einige Jahre lang steuerfrei und kommen im Anschluss zurück, um sich dann eine Wohnung in Irland leisten zu können. Den dafür nötigen Eigenkapitalanteil haben sie sich in der Zeit gespart“, gibt Wirtschaftsdelegierter Treml einen Einblick.
Wie sich das alles auf Zu- und Abwanderung auswirkt? Gesundheitspersonal wandert ab. Bevorzugt in Länder, in denen Englisch Amtssprache ist und es eine irische Community gibt. Also beispielsweise Australien oder Nordamerika.
Im Gegenzug wandern andere Hochqualifizierte ins Land zu. „Laut offizieller Daten hält sich das in Irland die Waage. Es kommen viele IT-Fachkräfte, immerhin sind ja Google und Co. hier. Das sind attraktive Arbeitgeber“, erklärt Treml. Daten dazu, wer mit welcher Qualifikation zu- und mit welcher abwandert, liegen allerdings nicht auf.
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