Die Mittelschicht hat es immer schwerer

Symbolbild
Sinkende Einkommen, hohe Steuern auf Arbeit, teures Wohnen – die Mittelschicht in Industriestaaten schrumpft.

Alles für die Kinder: Sie sollen es mal besser haben als wir, sich mehr leisten, eine bessere Ausbildung genießen können. Die Vorstellung vom besseren Leben für den Nachwuchs, die in den Köpfen so vieler Eltern und Großeltern im Laufe ihres Lebens reift, ist Wunschdenken. Zumindest einer neuen OECD-Studie zufolge. Denn: Weltweit gehören die sogenannten Millennials, die zwischen 1983 und 2002 geboren wurden, seltener zur Mittelschicht als ihre Eltern.

Während deren Eltern, als Generation Babyboomer bekannt, also zwischen 1942 und 1964 geboren, im Alter zwischen 20 und 29 noch zu 68 Prozent ein mittleres Einkommen erzielen konnten, bringen es die Millennials auf nur 60 Prozent.

"Die Generation der Millennials findet sich deutlich seltener in der Mittelschicht wieder als vorherige Generationen", fasst eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zusammen. Die zentrale Aussage der Analyse, für die die OECD in 36 Mitgliedsstaaten Daten zusammengetragen hat, lautet: Die Mittelschicht in den Industriestaaten schrumpft. Ihr Anteil ist von 64 Prozent in den 1980er-Jahren auf aktuell 61 Prozent gesunken.

Die OECD macht dafür die Einkommensentwicklung verantwortlich. So ist das Durchschnittseinkommen der Mittelschicht in den vergangenen drei Jahrzehnten um ein Drittel langsamer gestiegen als das der reichsten zehn Prozent.

Zudem sind die Wohnkosten kräftig gestiegen: Etwa ein Drittel ihres Einkommens muss die Mittelschicht dafür aufwenden, 1995 war es lediglich ein Viertel.

Auch die Kosten für Bildung und Gesundheitsfürsorge legten in den Industriestaaten deutlich zu. 47 Prozent der befragten Mittelschichts-Haushalte haben laut OECD Probleme damit, mit dem eigenen Einkommen über die Runden zu kommen. Österreich steht hier mit nur 28 Prozent weit besser da.

"Die Regierungen müssen auf die Sorgen der Menschen hören und den Lebensstandard der Mittelschicht schützen und fördern", forderte OECD-Generalsekretär Angel Gurria. So sollten Arbeitseinkommen weniger, Einkünfte aus Kapital, Eigentum und Erbschaften dagegen stärker besteuert werden. Die OECD hält ein Gegensteuern auch deshalb für geboten, da die Automatisierung etwa jeden sechsten Mittelschichts-Arbeitsplatz bedrohe. Auch in Österreich.

Als Mittelklasse definiert die OECD Haushalte mit einem Einkommen, das zwischen 75 und 200 Prozent des jeweiligen nationalen Medians liegt. In Österreich ist ihr Anteil laut der Studie mit 67 Prozent überdurchschnittlich groß. Das entspricht 36.554 Euro jährlich (Haushalts-Medianeinkommen 2017 laut Statistik Austria).

Hochsteuerland Österreich

Vorerst schlägt Österreich, was die Besteuerung von Einkommen anbelangt, einen gegenteiligen Weg ein. Die Abgabenbelastung heimischer Arbeitnehmer ist im Vorjahr leicht gestiegen, wie die jährliche OECD-Steuerstudie "Taxing Wages" zeigt. Demnach wurden im Jahr 2018 nur in Belgien, Deutschland, Italien und Frankreich höhere Steuern und Abgaben fällig.

Ist die Steuerbelastung durch die rot-schwarze Steuerreform 2016 noch gesunken, steigt sie seither wieder leicht an. Im Vorjahr musste ein durchschnittlicher Arbeitnehmer 47,6 Prozent an Steuern und Abgaben abführen. (Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung miteingerechnet). Spitzenreiter sowohl unter den 36 OECD-Staaten als auch in Europa ist Belgien mit 52,7 Prozent vor Deutschland (49,5), Italien (47,9) und - ex aequo mit Österreich - Frankreich (47,6).

Etwas besser steigen heimische Familien aus, die von staatlichen Transferzahlungen profitieren: Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer mit zwei Kindern und einer nicht erwerbstätigen Frau bezahlt abzüglich Familienbeihilfe 37,4 Prozent, was im OECD-Vergleich den 6. Platz bedeutet (nach dem 8. Platz 2017). Der 2019 in Kraft getretene Familienbonus sollte diese Position im kommenden Jahr noch etwas verbessern. Wie die Studie ebenfalls zeigt, entfällt allerdings nur ein geringer Teil der Abgabenbelastung auf die Lohnsteuer - den größeren Teil machen die Sozialabgaben aus, mit denen die Versicherten ihre Pensions-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung finanzieren.

Im OECD-Schnitt zahlt ein Durchschnittsverdiener 36,1 Prozent seines Einkommens für Steuern und Abgaben. Unter den EU-Staaten liegt das Gerade-Noch-Mitglied Großbritannien mit 30,9 Prozent an letzter Stelle, in Irland werden 32,6 Prozent und in Dänemark 35,7 Prozent fällig. Besonders niedrig sind die Steuern und Abgaben in der Schweiz (22,2 Prozent), wobei dieser Wert mit Österreich nicht direkt vergleichbar ist, weil die in der Schweiz traditionell hohen Pflichtbeiträge für private Sozialversicherungen hier noch nicht eingerechnet wurden.

Kalte Progression abschaffen

Als ein Problem insbesondere in Deutschland und Österreich nennt die OECD dabei die "kalte Progression". Deren Abschaffung könnte nach Ansicht der Organisation durch höhere Steuern auf Kapitaleinkommen und Erbschaften sowie auf besonders hohe Einkommen finanziert werden. Hier verweist die OECD darauf, dass der durchschnittliche Spitzensteuersatz in den Industriestaaten seit den 1980er Jahren von 65 auf 43 Prozent gefallen ist. In Österreich liegt der Spitzensteuersatz mit 55 Prozent freilich deutlich über dem Durchschnitt.  

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