Die letzte Bastion der Großkoalitionäre

Rudolf Kaske (li) und Walter Ruck beim Gespräch in der Kurier-Redaktion
Was Rudi Kaske (AK) und Walter Ruck (WKO Wien) von der Regierungspolitik unterscheidet.

Arbeiterkammerchef Kaske und Wiens Wirtschaftskammerchef Ruck demonstrieren einträchtig Handlungsfähigkeit.

KURIER: Sind die Sozialpartner lebendiger als die Regierung?

Walter Ruck: Schauen Sie uns an, wir sind lebendig! (lacht)

Rudi Kaske: Die Sozialpartnerschaft funktioniert auf Betriebsebene 365 Tage im Jahr. Es gibt über 800 Kollektivverträge, 450 werden pro Jahr verhandelt.

Ruck: Was uns von der Politik unterscheidet: Wir reden miteinander und nicht übereinander.

Das Video der OÖ-Arbeiterkammer mit einem Unternehmer als Feindbild erzählt diese harmonische Story aber nicht.

Kaske: Betrachten wir die Arbeit der Sozialpartnerschaft in allen neun Ländern, Oberösterreich ist nur ein kleiner Ausschnitt. Dass wir uns nicht verstehen, ist herbeigeredet.

Die Sozialpartnerschaft steht dennoch am Prüfstand. Die Koalition hat Ihnen den Auftrag erteilt, bis Ende Juni einen Vorschlag zur Flexibilisierung der Arbeitszeit zu erarbeiten. Man hatte den Eindruck, es ging nicht so recht voran.

Ruck: Das sehe ich nicht so. Ich denke, man sollte es spezifisch für die Branchen machen. Denn nur die kennen ihre eigenen Bedürfnisse.

Kaske: Über allem steht das Arbeitszeitgesetz. Darüber hinaus haben wir branchenspezifische Lösungen in den Kollektivverträgen sowie welche auf Basis von Betriebsvereinbarungen. Das funktioniert. Jetzt geht es darum, für manches wie die Gleitzeit auch auf dieser Ebene eine Lösung zu finden.

Wie weit ist man noch voneinander entfernt?

Kaske: Sozialpartnerschaft heißt, dass man sich am Ende trifft. Der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Kapsch sieht das etwas anders – seine Ansage ist: "Wir haben nichts zu verteilen." Ich sage: "Wir haben nichts zu verschenken."

Die Arbeiterkammer fürchtet sich vor "Überstundenklau".

Kaske: Ja, unter anderem. Tun wir doch nicht so, als gäbe es nicht schon einen 12-Stunden-Tag. Aber das wollen wir nicht generell, und Überstunden müssen Überstunden bleiben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch ein Thema sowie Arbeitszeitverkürzungen und ein Mehr an Erholungszeiten.

Ruck: Auch wir wollen natürlich keinen generellen 12-Stunden-Tag, aber die Arbeitskraft flexibler einsetzen.

Kaske: Bei den Gesprächen auf Branchen-Ebene ist zum Beispiel der Bau schon nahe dran an einer Lösung. Es geht ja auch darum, Zeiten der Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Warum kann man es nicht den Branchen überlassen und nur die Richtlinie zur EU-Arbeitszeit einhalten, die einen relativ großzügigen Rahmen vorgibt?

Kaske: Das würde bis zu 13 Stunden Arbeitszeit bedeuten. Das ist nicht unser Ziel.

Sinkt nicht der Einfluss der Sozialpartnerschaft? Vielleicht verliert sogar irgendwann die Gewerkschaft den Posten des Sozialministers als Erbpacht?

Kaske: Das ist keine Erbpacht, sondern eine gute Tradition. Dieses Land besteht aus tüchtigen Arbeitgebern und -nehmern, und Anton Benya sagte einst: "Gegen den Wind kann man nicht Klavier spielen."

In der ÖVP werden die Bünde nicht mehr Wahllisten bestimmen dürfen, was sagt der Wirtschaftsbündler Ruck dazu?Ruck: Wenn es diese Logik gegeben haben sollte, die ich in Wien so aber nicht erlebt habe, dann ist es Zeit, das zurückzudrängen.

Gelegentlich wurden die Sozialpartner aber auch als – zu starke – Nebenregierung bezeichnet.

Kaske: Wir sind Ratgeber und Ideenspender. 2013 haben wir "Bildungsfundamente" erstellt und im Vorjahr ein Konzept für die Flüchtlingsbeschäftigung vorgelegt.

Was können die Sozialpartner für den Standort Wien machen? Nirgendwo in Österreich ist die Arbeitslosigkeit so hoch.

Ruck: Wir haben zum Beispiel eine gemeinsame Aktion gestartet, damit Wien Standort der EU-Arzneimittelzulassungsagentur EMA wird.

Kaske: Wir brauchen gute Arbeitsplätze für die wachsende Stadt. Da ist die EMA ein Thema, aber auch der Flughafen – Stichwort dritte Piste – und der Lobau-Tunnel.

Umweltschützer sehen Sie schon als Betonierer-Koalition.

Kaske: Wir sagen Ja zur sechsten Donauquerung, wir sagen aber auch Ja zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Mit dem Lastenradtaxi wird man in Betrieben nicht alles erledigen können.

Nervt Sie die Politik der Frau Vizebürgermeisterin?

Kaske: Ich denke, sie bedient ihr politisches Klientel. Ob es die besten Ideen sind, müssen die Wähler entscheiden.

Ruck: Wer behauptet, dass die Kapazitäten des Flughafens ausreichen, muss überlegen, wie das in zehn Jahren ausschaut. Wir werden die dritte Piste brauchen.

Mittelständische Firmen beklagen Druck durch Firmen aus Osteuropa, deren hier arbeitende Mitarbeiter nicht nach unseren KVs bezahlt werden.

Kaske: Firmen aus der Slowakei, Ungarn oder Tschechien können wegen der EU-Entsenderichtlinie wesentlich billiger als österreichische Betriebe anbieten. Die Leute arbeiten hier, zahlen aber die Sozialversicherung des Heimatlandes. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung. Da haben wir noch einen Marathon in Brüssel vor uns. Die generelle Freizügigkeit stellen wir aber nicht in Frage.

Ruck: Stimmt. Es braucht gleiche Rahmenbedingungen – die Firmen sollen dasselbe an Steuern und Abgaben zahlen wie österreichische Unternehmer. Wir haben das bei einer Handwerksfirma durchgerechnet und kamen auf einen einen Kostenvorteil von 25 Prozent.

Kaske: 2014 hatten wir ungefähr 100.000 entsendete Arbeitnehmer, im letzten Jahr schon über 190.000.

Es gibt zum Beispiel kaum Wiener Tischler mehr.

Ruck: Was aber auch an den extrem verschärften Wiener Bestimmungen für Betriebsanlagen liegt – etwa, was einzubauende Filter betrifft.

Arbeitgeber beklagen, dass sie trotz hoher Arbeitslosigkeit kein Personal finden. Am Bau sieht man doch kaum mehr Österreicher arbeiten.

Ruck: An meiner eigenen Baufirma beobachte ich, dass wie-der mehr Österreicher kommen.

Muss die Lehre attraktiver werden?

Kaske: Manche Eltern wollen nicht, dass ihr Kind Maurer wird, obwohl Ausbildung und Verdienstmöglichkeiten sehr gut sind.

Ruck: Stimmt. In der Baubranche verdienen Maurer 2000 Euro netto und mehr.

Unternehmen kritisieren Überregulierung und hohe Strafen bei kleinsten Verfehlungen.

Ruck: Unternehmer müssen viel zu viel dokumentieren und leiden unter sehr komplexen Entlohnungsvorschriften. Das könnte man sicher straffen. Oder nehmen Sie das Lohn- und Sozialdumpinggesetz, das für den Niedriglohnbereich geschaffen wurde, aber für alle Mitarbeiter gilt. Gehen wir in vielen Bereichen nicht zu weit? Auch bei den Strafen, sie sind manchmal existenzgefährdend. Die Ermessensspielräume sollten mehr genutzt werden. Es ist ein Unterschied, ob es eine Fehlleistung oder Vorsatz ist.

D’accord, Herr Kaske?

Kaske: Keine Gegenrede, nur ein Faktencheck. Der Arbeitnehmerschutz ist eine Erfolgsgeschichte: Die Zahl tödlicher Arbeitsunfälle ist seit 1995 von 309 auf 106 im Vorjahr gesunken. Beraten vor Strafen findet statt: Nur jede 58. Übertretung führt zu einer Anzeige. Bei der Entbürokratisierung gibt es schon eine Sozialpartnereinigung. Das könnte die Regierung noch beschließen – auch, was den Ermessensspielraum betrifft. Ein Problem ist auch, dass es immer weniger Beamte bei der Finanzpolizei für Kontrollen gibt.

Was halten Sie von einem gesetzlichen Mindestlohn?

Kaske: Nichts, weil wir eine Kollektivvertragsdurchdringung von 98 Prozent haben. Die Sozialpartner wissen schon, was in einer Branche geht.

Ruck: Ich sehe das genauso.

Auf Ihrer Ebene funktioniert Rot-Schwarz also?

Ruck: Wir funktionieren deshalb, weil wir nicht Rot und Schwarz vor uns hertragen.

Kaske: Wir haben beide Interessen zu vertreten, wissen aber auch, was dem anderen zumutbar ist.

Zu den Personen.

Rudi Kaske. Der gelernte Koch (61) ist seit 2013 Chef der Wiener Arbeiterkammer und der Bundes-
arbeitskammer. Seine politische Karriere begann er in der Hotel- und Gastgewerbegewerkschaft. Bis Ende 2012 stand Kaske an der Spitze der fusionierten Verkehrs- und Dienstleistungs-
gewerkschaft vida. In de AK zählt „leistbares Wohnen“ zu seinen politischen Zielen. Aggressive Töne sind seine Sache nicht, Kaske tritt stets freundlich auf.

Walter Ruck. Der Bauunternehmer (53) hat Bauingenieurswesen an der Technischen Uni studiert und stieg 1991 in die Geschäftsführung der von seinem Vater gegründete Firma ein. 2014 wurde er in einer Kampfabstimmung zum Chef des Wiener Wirtschaftsbundes und danach auch vom Boss der Wiener Wirtschaftskammer gewählt. Ruck hat auch Chancen, Christoph Leitl in der Bundeswirtschaftskammer nachzufolgen (der allerdings noch keine Rückzugsambition zeigt). Ruck wirkt konziliant und ruhig.

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