"Der Irre sagt dem Irren, dass er irre ist"

"Der Irre sagt dem Irren, dass er irre ist"
Korruptionsbekämpfer Wolfgang Hetzer: Finanzbranche ist nicht Teil der Mafia, dieser aber weit überlegen.

Wolfgang Hetzer hat ein Faible für kräftige Formulierungen – in seinen Büchern wie "Finanzkrieg" und "Finanzmafia" beschäftigte sich der frühere Korruptionsbekämpfer mit den systematischen Ursachen der Krise. Sein jüngster Titel ist der Deutschen Bank gewidmet: Deutschlands größtes Geldinstitut ist mit Vorwürfen wie Zinsmanipulation oder Geldwäsche konfrontiert.

KURIER: Erst die Deutsche Bank, jetzt auch noch VW: Was ist da nur los in Deutschland?

Wolfgang Hetzer: Diese Flaggschiffe stehen für deutsche Tugenden wie Qualität, Konkurrenzfähigkeit, Zuverlässigkeit. Jetzt erfährt man, dass dort Subkulturen entstanden sind, die sich fast verschwörerisch auf Lug und Trug spezialisiert hatten – etwa mit der Manipulation von Liborzinsen oder von Abgaswerten. Besonders lustig wird es, wenn die Deutsche Bank VW nun ermahnt, zu einem ordentlichen Geschäftsmodell zurückzukehren. Ist das eine Therapiegemeinschaft, wo ein Irrer dem anderen sagt, dass er irre ist? Dann sollten Ärzte beteiligt werden.

"Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?" Das formulieren Sie immer nur als Frage. Aus Angst vor Klagen?

Die Deutsche Bank hat eine gewaltige Beschwerdemacht. Natürlich war das eine juristische Delikatesse bei vielen Formulierungen, um nicht kosten- und risikoträchtige Rechtsstreitigkeiten auszulösen. Zynisch könnte man sagen, das würde das Interesse am Buch noch steigern. Mein Ehrgeiz ist aber, dass jeder lesen kann, was ich geschrieben habe.

Ihr Fazit lautet: Die Deutsche Bank ist weder eine kriminelle Vereinigung, noch Teil der Organisierten Kriminalität. Braucht es dafür 220 Seiten?

Ja, weil der Befund auf einer juristischen Prüfung beruht. Die Deutsche Bank hat 10 Milliarden Euro für Strafen und Vergleiche angehäuft und zusätzlich fast 5 Milliarden zurückgestellt. Was ist das für eine Organisation? Stellt man die abstrakten Kriterien für die Organisierte Kriminalität und das Geschäftsgebaren der Deutschen Bank nebeneinander, zeigt sich: Sie decken sich teilweise.

Wo sind die Unterschiede?

Die gibt es natürlich. Einer davon: Die Mafia wäre im direkten Vergleich unterlegen. Sie hat nicht so intelligente Mitarbeiter und es war noch kein Mafiaboss zur Geburtstagsparty ins deutsche Bundeskanzleramt geladen. Als ich die Mafia als bedrohte Spezies bezeichnet habe, empfanden das Polizisten als schlechten Scherz. Sie haben aber Figuren mit tätowiertem Oberkörper vor Augen, die in Justizanstalten sitzen. Entschuldigung? Der Deutschen Bank wird – noch nicht rechtskräftig festgestellt – eine Beteiligung an Geldwäsche in Moskau und London in der Größenordnung von sechs Milliarden Dollar vorgeworfen.

Was ist da bei der Deutschen Bank anders als bei Großbanken wie Barclays, HSBC oder Credit Suisse, die sich auch wegen Zinsmanipulation, Geldwäsche oder Steuerhinterziehung verantworten mussten?

"Die anderen doch auch!" Das ist eine infantile Argumentation und ändert nichts am Unrecht. Die Deutsche Bank war Teil eines globalen Systems, in dem politische Fehlurteile und die Erosion jeder Moral einigen Banken fragwürdige Geschäftsmodelle ermöglichten. Investmentbanking galt als schick und lockte mit großen Boni. Jetzt zeigt sich: Das ist weg, verpufft. Von der Bonanza zur hedonistischen Selbstbedienung ist nichts geblieben außer den Villen und Jachten der Händler.

Wohin steuert der neue Chef John Cryan die Deutsche Bank?

Es sieht so aus, als bliebe die Bank in ihrer früheren Form erhalten, nur ein bisschen kleiner. Gedreht wird an vielen Stellschrauben, um die Margen zu verbessern, ein großer Wurf ist noch nicht erkennbar.

Was muss sich ändern, um ähnliche Fehler zu verhindern?

Deutschland hat anders als Österreich noch kein Strafrecht für Unternehmen. Damit fehlt dem Staat die Möglichkeit, gegen Unrecht mit dem schärfsten Schwert vorzugehen. Bis hin zur – Stichwort "Todesstrafe" für Unternehmen – Untersagung der Gewerbeausübung.

Was aber doch praktisch nur eine leere Drohung sein kann ...

Hypothetisch gesprochen: Müssten VW und Deutsche Bank zusperren, hätten 700.000 Menschen keinen Job mehr. Da stößt das Strafrecht an Grenzen. Aber es gäbe viele Zwischenstufen – Gewinnabschöpfung, verschärfte Aufsicht, Einsetzung eines Staatskommissars. Eines muss klar sein: Es geht hier nicht um Parksünden.

Wolfgang Hetzer (63) ist Jurist, er war von 2002 bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), wo er den Generaldirektor beriet. Davor war er in der deutschen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder zuständig für die Aufsicht über den Geheimdienst BND in Bereichen wie Organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Telekom-Überwachung. Er ist im Ruhestand.

„Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung? Leistung, die Leiden schafft“ ist soeben im Verlag Westend erschienen, 220 Seiten, 18,50 €.

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