Der neue VW-Chef und seine Baustellen
Mit 1. September übernimmt Porsche-Chef Oliver Blume zusätzlich das Steuer der gesamten VW-Gruppe. Der bisherige Chef Herbert Diess hat zwar seinem Nachfolger nur wenig große Problemfelder hinterlassen. Dennoch wartet auf Blume einiges an Arbeit. Der KURIER skizziert die größten Baustellen:
Softwaretochter Cariad: Verzögerungen und Unstimmigkeiten bei der Entwicklung eigener Auto-Software und beim Ausbau der IT-Sparte Cariad sorgten für das Aus von Diess. In diesem Bereich besteht für Blume der größte Handlungsbedarf. Schließlich verursachen veraltete bzw. parallele Strukturen bei den Marken hohe Kosten. Cariad sollte dem begegnen, doch der Tochter fehlt es noch an Substanz. Konkurrenten können mit großen IT-Partnern zur Gefahr werden. „Der Plan, alles eigenständig und zentral zu machen, dürfte überdacht werden“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer zum KURIER.
Elektromobilität: Diess stand für eine klare Ausrichtung von Volkswagen auf Elektroautos, und zwar ausschließlich batterieelektrische. Große Stückzahlen bei einheitlicher Technologie sah er als Schlüssel, die Kosten in den Griff zu bekommen und die Profitabilität zu halten. Blume dagegen hielt sich bisher auch die Option eFuels offen. Dudenhöffer glaubt, dass Blume für den Gesamtkonzern auf Diess’ Pfad einschwenken wird. Ulrich Hocker, Präsident des Kleinaktionärsverbands DSW, hingegen erwartet, dass auch bei VW eFuels und Brennstoffzelle/Wasserstoff noch eine Chance haben. Bei der ID-Reihe jedenfalls gibt es zudem technisch und absatzmäßig noch Luft nach oben.
China- und US-Geschäft: Vor allem in China geraten die ID-Modelle zunehmend ins Hintertreffen, auch preislich. In den vergangenen beiden Jahren hat der Konzern dort klar Marktanteile verloren. Und junge chinesische Hersteller wie BYD oder Nio werden eher früher als später auch in Europa zur Bedrohung.
„Und dann kommt das ewige Problem USA“, wie Dudenhöffer es formuliert. „Seit den Zeiten des Beetle hat VW in den USA nichts Vernünftiges geschafft. Der große Passat mit Diesel ging kräftig in die Hose.“ VW brauche eine starke Stellung in USA. Blume werde daher Diess’ Strategie mit der neuen Marke Scout fortsetzen und versuchen, mit elektrischen SUVs und Pick-ups den Markt zu gewinnen. Bis zum Ende des Jahrzehnts will VW so in den USA mehr als 25 rein elektrisch angetriebene Modelle anbieten und den Marktanteil verdoppeln.
Porsche-Börsegang: Blume bereitet aktuell den Börsegang der Tochter Porsche im Herbst vor. Damit wäre er alleine schon gut ausgelastet. Jetzt muss er zusätzlich das Gesamtgeschäft übernehmen. „Letzte Woche noch wurde für den Börsegang damit geworben, dass Porsche dadurch eigenständig wird. Das steht mit der Doppelrolle infrage und ist Gift für den Börsegang“, so Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef der Fondsgesellschaft Deka. Hocker plädiert für ein Verschieben, bis ein neuer Porsche-Chef ins Amt kommt. „Bei einem Börsengang braucht man eine Leitfigur.“ Dudenhöffer glaubt ohnehin nur an eine Doppelaufgabe bis zum Börsegang. Ein anderer Experte sieht in der Doppelrolle sogar einen Vorteil: „Gelingt der Börsegang, ist Blume unangefochtener Chef.“
Die Marken
Zu Volkswagen gehören die Marken VW-Pkw, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Audi, Porsche, Skoda, Seat sowie die Seat-Tochter Cupra, Lamborghini, Bentley, Ducati und Scout
8,6 Mio. Fahrzeuge
setzte die Volkswagen-Gruppe im Vorjahr weltweit ab. Damit sind die Deutschen hinter Toyota (10,5 Mio.) auf Rang zwei. In Europa sind sie die Nummer eins
So tickt der neue VW-Chef
Als Porsche-Chef wagte Oliver Blume den Sprung in die E-MobilitätPorträt. Oliver Blume kennt den VW-Konzern wie seine Westentasche. Er studierte in seiner Heimatstadt Braunschweig Maschinenbau, promovierte in Schanghai und ging dann gleich zum VW-Konzern. Dort war er zunächst bei den Töchtern Audi und Seat beschäftigt. 2009 übernahm er die Produktionsplanung in der VW-Zentrale. Deshalb kennt er alle 120 Konzernwerke. 2015 wurde Blume Chef bei der VW-Tochter Porsche. Mit dem Taycan wagte er als erster Manager im Konzern den Sprung in die Elektromobilität.
In puncto Batterieentwicklung und eigener Wasserstoffproduktion gilt er ebenfalls als Innovator. So erarbeitete er sich auch das Vertrauen der Eigentümerfamilien Porsche und Piech, deren Rückendeckung bei wichtigen Entscheidungen er sich bald sicher sein konnte. Denn selbst in der Corona- und der Chipkrise lieferte er dank strenger Kostendisziplin zweistellige Renditen. Im Unterschied zu den bei VW sonst üblichen testosterongesteuerten Managern setzt Blume auf Teamgeist und Transparenz. Sein Umfeld attestiert ihm die Fähigkeit, ein guter Zuhörer zu sein. Der 54-jährige Blume ist übrigens ein leidenschaftlicher Fußballer. Lange Zeit spielte er eine Position, die es heute nicht mehr gibt: den Libero. Das ist der „freie Mann“ in der Abwehr, der keinen direkten Gegenspieler auf dem Platz hat und das Spiel von hinten heraus steuert. Die Fußball-Legende Franz Beckenbauer war auch Libero. Beckenbauer wurde bekanntlich als Spieler und Trainer Weltmeister. Die Latte für Blume liegt also hoch.
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