Dem „Wunder“ auf der Spur

Schulterklopfen gehört zum Geschäft – Betriebsbesuche von Bruno Kreisky (li.) Anfang der 1970er ...
1980 totgesagt, heute ein Vorbild – warum sich Österreichs Industrie doch behaupten konnte.

Auf Österreichs Exportstärke ist Verlass: „Wir haben unseren Wachstumsbonus in den letzten Jahren durch eine sehr leistungsfähige Industrie ausgebaut“, sagt Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo).

Wie schaffen es die heimischen Unternehmen eigentlich, sich gegen die weltweite Konkurrenz zu behaupten? Unter dem Motto: „Was wir produzieren“ wirft der KURIER in einer neuen Serie einen genaueren Blick auf die Werkbank führender Industriebetriebe.

Noch vor einer Generation sah es für diese gar nicht gut aus. Rund ums Jahr 1980 schien das Ende der heimischen Industrie so gut wie besiegelt: Die hoch verschuldete Verstaatlichte steckte tief in der Krise. Der zweite Ölschock von 1979 stürzte die Wirtschaft in die Rezession und signalisierte eine Zeitenwende in Sachen Energie. Obendrein vernetzte und beschleunigte sich der Welthandel in einem ungeahnten Ausmaß – was wir heute Globalisierung nennen. Wie sollten sich Österreichs produzierende Unternehmen da behaupten?

Dem „Wunder“ auf der Spur

Österreichs „Wunder“

Dann geschah „das österreichische Wunder“, wie es der Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber im Gespräch mit dem KURIER nennt. Der taumelnde Stahlriese VÖEST und die Österreichische Mineralölverwaltung zum Beispiel wandelten sich zu den internationalen Aushängeschildern voestalpine und OMV. Daneben behaupteten sich private, vor allem mittelständische, Unternehmen trotz (oder gerade wegen) der stärkeren Konkurrenz .Wie Phönix aus der Asche: Ein historischer Glücksfall – mehrere günstige Umstände kamen zusammen. Die Privatisierung küsste das in der Verstaatlichten schlummernde Potenzial wach. Der Fall des Eisernen Vorhangs und die deutsche Wiedervereinigung rückten Österreich schlagartig in die Mitte des neuen Europas. Und der EU-Beitritt 1995 motivierte die Wirtschaft zusätzlich, Chancen im Export zu ergreifen.

Und was bringt die Zukunft? „Ob sich eine ähnliche Konstellation erneut ergibt, wage ich zu bezweifeln“, ist Sandgruber, der an der Johannes-Kepler-Universität in Linz unterrichtet, skeptisch.

Einfacher wird es nicht. Alle Länder Europas unterliegen einem immer schärferen globalen Konkurrenzkampf. Nicht einmal Deutschland, das scheinbar so gut dastehe, gelinge es noch, seine spektakulären Exporterfolge in Einkommenszuwächse umzumünzen.

Dem „Wunder“ auf der Spur
o.Univ. Prof. Dr. Roman Sandgruber Institutsvorstand Insitut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Johannes Kepler Universität Linz

Anders formuliert: Um gegenüber der Billigkonkurrenz nicht den Anschluss zu verlieren, müssen hochentwickelte Industriestaaten auf ihre Produktionskosten achten. Was dazu führt, dass die Löhne – zieht man die Inflation ab – seit Jahren nicht wachsen. Österreichs Industrie habe auf ihre preisliche Konkurrenzfähigkeit geachtet. „Aber wir haben nicht so wie Deutschland seit zehn Jahren eine bewusste Niedriglohnstrategie gefahren“, betont Wifo-Chef Aiginger.

Weniger Industriejobs

Seit Anfang der 1980er Jahre ist die Produktion dramatisch effizienter geworden. Innovative neue Methoden, Maschinen und Computer ersetzen menschliche Arbeit.Die Produktionsleistung steigt dadurch konstant – obwohl die Beschäftigung sinkt.

Ihren Höhepunkt hatte die Industriebeschäftigung in Österreich 1973. „Die seligen Kreisky-Zeiten“, kommentiert Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien. Damals sollte die Verstaatlichte möglichst vielen Menschen Arbeit geben. Durch die Krise, Sanierung und Privatisierung war es damit vorbei.

Auch sonst wandern Jobs: Von der Landwirtschaft zur Industrie nach dem Krieg, jetzt weiter zu den Dienstleistungen. Allerdings übertreibt die Statistik diesen Niedergang der Industriearbeit: Viele Tätigkeiten wurden ausgelagert – statt Putzfrau und Betriebskantine kommen Reinigungsfirmen und Caterer zum Einsatz. Der Boom der Leiharbeitskräfte verzerrt das Bild ebenfalls: Sie werden in der Industrie eingesetzt, aber den Dienstleistern zugerechnet.

Natürlich sind Jobs auch ins billiger produzierende Ausland abgewandert. Die segensreiche Globalisierung, ein Etikettenschwindelt? „Nein, eine Realität“, kontert der Historiker. „Es würde uns ohne Globalisierung nicht besser gehen.“

Jeder macht, was er gut kann. Davon profitieren alle – das ist das Credo der Arbeitsteilung. Nur: Was kann Österreich? Andere sind billiger, haben Rohstoffe, niedrigere Steuern, mehr Investoren oder werfen Gründern weniger Knüppel in den Weg.

Schöpferisch zerstören

So negativ sieht Sandgruber die Lage aber nicht. Die Ausbildung sei gut, von den Fachkräften bis zum Führungspersonal. Das Potenzial unserer Jugendlichen sei sträflich unterschätzt – und überhaupt brauche nicht jeder eine universitäre Spitzenausbildung.

Allerdings sei Österreich zu wenig offen für Neues. So finde er es absurd, über den Stellenabbau bei der Lenzing AG zu schimpfen, sagt Sandgruber: „Ein Unternehmer muss ständig zerstören, um Neues zu schaffen.“ Nur so könnten neue Jobs entstehen: „Ich finde es aufregend, was in den letzten Jahren entstanden ist. Viele neue Unternehmen kennt man noch gar nicht, sie haben aber schon 100 bis 200 Mitarbeiter.“

Dem „Wunder“ auf der Spur

Österreichs Industriezentren sind Oberösterreich und Vorarlberg: Hier wird eine Wertschöpfung erzielt, die deutlich über dem Durchschnitt ist (siehe Grafik).

Österreich hatte schon vor den Weltkriegen eine starke Industriebasis, die aber eher auf Wien und Niederösterreich konzentriert war. Später hat sich das in Richtung Westen verlagert.

Dass die Schwerindustrie in Oberösterreich ein Übergewicht hat, hänge nicht nur mit der Rüstungsmaschinerie der Nationalsozialisten zusammen, sagt Wirtschaftshistoriker Sandgruber. Eine große Rolle spielte auch, dass Oberösterreich südlich der Donau und Salzburg nach dem Krieg zur US-Besatzungszone gehörten, wodurch sie von der Hilfe aus dem Marshall-Plan profitierten. Ein immenser Startvorteil. Wien und Niederösterreich waren russisches Einflussgebiet – hier wurden die beschlagnahmten USIA-Betriebe geschröpft.

Textiler Niedergang

Wie sehr sich die Industrie gewandelt hat, ist in Vorarlberg zu sehen: Früher dominierte hier die Textilwirtschaft. 1956 gab diese österreichweit 80.000 Menschen Arbeit – ein halbes Jahrhundert später nur noch einem Fünftel. Heute ist Vorarlbergs Industrie breiter aufgestellt – mit Metall- und Elektronikindustrie, Papier, Kunststofftechnik und Nahrungsmitteln.

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