"Koste es, was es wolle": Europa und sein Schuldenproblem
Die vergangenen Krisen und die Kosten ihrer Bewältigung haben in den Haushalten vieler EU-Länder tiefrote Spuren hinterlassen.
Bei 70 Prozent lag der Schuldendurchschnitt in der Eurozone bei Ausbruch der globalen Finanzkrise im Herbst 2008. Im Jahr 2019, vor Ausbruch der Corona-Pandemie, lag der Wert schon bei 86 Prozent – mittlerweile reden wir von 90 Prozent.
„Europa hat ein veritables Schuldenproblem. Rund ein Viertel aller Schulden hält die EZB noch aus der Niedrigzinsphase. Wenn der Abverkauf dieser Anleihen startet, müssen die Staaten neue Schulden zu wesentlich schlechteren Konditionen aufnehmen. Das verschärft die Schuldenproblematik“, sagt Hanno Lorenz, Ökonom bei der Agenda Austria.
Österreich nur im Mittelfeld
Auch Österreich hat ein Problem, auch wenn der Schuldenstand mit 78 Prozent im Mittelfeld liegt. Die Alterung der Gesellschaft treibt die Kosten für Pensionen, Pflege und das Gesundheitssystem in die Höhe. Ohne Gegensteuern wird auch hierzulande ein Schuldenstand von mehr als 100 Prozent in den nächsten Jahren erwartet. „Ohne Reformen bekommen wir italienische Verhältnisse“, so Lorenz.
Auch WIFO-Expertin Margit Schratzenstaller vermisst strukturelle Reformen, um budgetären Spielraum für künftige Herausforderungen zu schaffen – sowohl in Europa, als auch in Österreich.
„Das reicht vom Klimawandel, über die Demografie und Digitalisierung bis hin zur Verteidigung“, nennt sie die wichtigsten Bereiche. „Ein neuer Ansatz, der lange tabuisiert wurde, wäre ein höheres EU-Budget für grenzüberschreitende Projekte etwa für Schienen- und Energienetze. Denn der EU-Aufbauplan läuft 2026 aus und momentan kommt da noch nichts nach“, sagt Schratzenstaller.
Etliche Länder haben in vergangenen Jahren strengere Schulden- oder Ausgabenbremsen beschlossen. Die vorbildlichen Länder in Europa machen deshalb in guten Jahren Überschüsse, das hat Österreich lediglich 2018 und 2019 geschafft. Etliche Euroländer sind aber weit von den Maastricht-Kriterien – nur drei Prozent Defizit, maximal 60 Prozent Staatsschulden – entfernt. Schratzenstaller sagt: „Regeln sind immer nur so gut, wie sie auch gelebt werden. Letztlich geht es immer um politische Entscheidungen, schüttet man zum Beispiel teure Wahlzuckerl aus oder nicht.“
Im Folgenden drei Beispiele für "Schuldensünder" und drei Beispiele für Länder, die ihre Haushaltspolitik mehr oder weniger im Griff haben:
Griechenland
Der Schuldenstand in Griechenland stieg in Laufe der globalen Finanzkrise und einer mehrjährigen Rezession auf 180 Prozent vom BIP. Es kam zur Euro-Krise, die Währungsunion wurde in Frage gestellt und Athen musste unter strengster internationaler Beobachtung unter den Rettungsschirm. Strenge Spar- und Sanierungsprogramme wurden dem Land verordnet, heute ist der Schuldenstand auf 150 Prozent gesunken, auch weil die Wirtschaft wieder kräftig wächst (heuer 2,9 %) und die Arbeitslosenquote zum ersten Mal seit 14 Jahren auf
10 % gesunken ist. Griechenland bleibt vorerst der höchst verschuldete EU-Staat, aber Brüssel betrachtet die Schulden als tragfähig, hauptsächlich aufgrund langer Laufzeiten und niedriger Zinssätze.
Italien
Mit 139 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt Italien auf dem unrühmlichen zweiten Platz hinter Griechenland unter den EU-Schuldenländern. Der Hauptunterschied besteht darin, dass Italien die drittgrößte Volkswirtschaft hinter Deutschland und Frankreich ist, Griechenland aber erst auf Platz 16 kommt (Österreich: Platz 10). Wirtschaftliche Schwierigkeiten von Österreichs zweitgrößtem Handelspartner schlagen deshalb viel heftiger auf die Eurozone durch. Dazu gehört beispielsweise, dass das Wirtschaftswachstum schwach ist (2024: +0,5 Prozent), Italiens Schuldenstand auch daher weiter steigt und mittlerweile bei rund 3.000 Milliarden Euro liegt. Eine der größten Sorgen der Regierung ist die Alterung der Gesellschaft.
Frankreich
Mit 112 Prozent vom BIP hat Frankreich BIP mittlerweile die dritthöchste Schuldenquote in der EU und hat das frühere Sorgenkind Spanien im negativen Sinne überholt, sprich auf Platz 4 verdrängt. Mangelnder Reformeifer der Regierung in Paris und teure Ausgabenprogramme in den Jahren von Corona, Energiepreisschock, Inflationskrise tragen dazu bei – wie auch der aufgeblähte, also kostspielige Staatsapparat. Frankreich und Italien, die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft Europas, halten gemeinsam 42 Prozent aller Schulden in der Eurozone (inkl. Deutschland sind es 60%). Eine umstrittene Pensionsreform ist im September in Kraft getreten. Positives Highlight werden wohl die Olympischen Sommerspiele in Paris ab dem 26. Juli.
Irland
Mit einer aggressiven Steuer- und Ansiedlungspolitik hat Irland Hightech-Konzerne wie Google, Amazon oder Microsoft angelockt und sich über die Jahre den Titel „keltischer Tiger“ erarbeitet. 2013 lag die Verschuldung noch bei 120 Prozent. Irland geriet wie Griechenland oder Spanien in arge wirtschaftliche Turbulenzen, konnte aber den Euro-Rettungsschirm recht schnell wieder verlassen. Mittlerweile ist der Schuldenstand auf 40 Prozent gesunken (Österreich: 78 Prozent), doch Umsätze, Exporte und Steuereinnahmen sind stark von den Multis abhängig. Andererseits herrscht de facto Vollbeschäftigung und die Regierung kann aus dem Vollen schöpfen, nicht zuletzt aufgrund der schnell wachsenden Bevölkerung (+40 % seit 2000).
Dänemark
Dänemark steht hier stellvertretend für die stets hochgelobten skandinavischen Länder. Nicht zu unrecht: Knapp hinter Estland und Bulgarien ist Dänemark bei der Staatsverschuldung das beste westeuropäische EU-Land. Betrug der Schuldenstand vor der Corona-Pandemie 2019 noch fast 40 Prozent, so sind es heuer laut EU-Kommission nur noch 26,5 Prozent. Möglich wird das durch beträchtliche Budgetüberschüsse (3,1 Prozent im Jahr 2023) getragen von einer geringen Inflation (2 %), einem relativ hohen Wirtschaftswachstum (2,6 %) und parallel dazu, strengeren Regeln für die Kontrolle der öffentlichen Ausgaben. So werden Defizite vermieden und der Schuldenberg kann sukzessive abgetragen werden.
Estland
Die Folgen des Ukrainekrieges drücken in Estland auf Wachstum, Produktion und Investitionen. Im Jahr 2022 hatte das Land mit 19,4 Prozent die EU-weit höchste Inflation, aber mit 21 Prozent die nach wie vor geringste Staatsverschuldung aller EU-Länder. IT und Digitalisierung bleiben die Zugpferde von „e-Estonia“. Vor der Corona-Krise lag die estnische Staatsverschuldung noch unter zehn Prozent des BIP. Nach der Wende im Osten war das früher kommunistisch regierte Land gänzlich ohne Schulden in die freie EU-Marktwirtschaft gestartet und hatte lange eine rigorose Fiskalpolitik betrieben. Die Pandemie zwang hier zu einer zeitweisen Abkehr vom Kurs, dadurch verdoppelte sich die Verschuldung.
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