Das Drei-Euro-Wunder-Ticket: Was es bringt, was es braucht
Für eine Regierungsbeteiligung braucht Werner Kogler beim heutigen Bundeskongress der Grünen den Segen der Parteibasis. Doch von einigen der 276 Delegierten war zuletzt bereits ein leises Murren zu hören.
Umso wichtiger für Kogler, dass er mit einem grünen Prestige-Projekt für eine türkis-grüne Regierung werben kann: Das ausverhandelte österreichweite Jahresticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel um nur 1.095 Euro. 1-2-3-Klimaticket soll es heißen.
Zum Vergleich: Aktuell gibt es in Österreich sieben Verkehrsverbünde und die Bundesbahnen, alle mit unterschiedlichen Tarifen. Zählt man im Vollpreis alle verfügbaren Jahrestickets (es gibt keine in NÖ, Burgenland und OÖ) zusammen, kommt man derzeit auf einen Preis von 8.761,40 Euro.
Es ist eine alte Grünen-Forderung, die in dieser Form erstmals 2013 aufkam: Ein Jahresticket für ein Bundesland nach dem „Wiener Modell“ um 365 Euro, für zwei Bundesländer um 730 Euro und für ganz Österreich um 1.095 Euro pro Jahr.
Die Idee dient nicht nur als Verkehrs-, sondern auch als Umweltschutzmaßnahme. Mit dem deutlich günstigeren und zugänglicheren Ticket – es soll auch eine zentrale Anlaufstelle für alle Verkehrsbünde geschaffen werden – will man vor allem Autopendler entlasten. Und damit den -Ausstoß deutlich eindämmen.
Herkulesaufgabe
Mit der Umsetzung wartet auf die künftige Umweltministerin Leonore Gewessler aber eine Herkulesaufgabe. Sobald die 43-jährige Grazerin angelobt ist, wird sie sich dem 1-2-3-Klimajahresticket widmen – und dabei gleich einmal mit Österreichs Realpolitik samt Föderalismus konfrontiert werden.
Sie erwartet ein regelrechter Verhandlungsmarathon: Zunächst mit Finanzminister Gernot Blümel wegen der Finanzierung. Dann mit den neun Verkehrslandesräten. Dann mit den Chefs der sieben Verkehrsverbünde (nur Wien, Niederösterreich und Burgenland haben einen gemeinsamen). Zudem noch mit einigen Bürgermeistern und deren Verkehrsstadträten. Und natürlich mit ÖBB-Chef Andreas Matthä.
Mit all diesen Gesprächspartnern muss sich Gewessler über das radikal neue Angebot des Klimatickets einig werden. Vorweg: Niemand ist grundsätzlich gegen dieses Ticket. Aber Zustimmung gibt es nur, wenn die Regierung auch wirklich ganz tief in die Tasche greift, um das zu finanzieren, so der Tenor bei einem ersten Rundruf.
Bringt das Ticket auch mehr Fahrgäste?
Im aktuellen Regierungsprogramm findet sich folgender Finanzierungsplan: Der Bund stellt zwei sogenannte Verkehrsmilliarden in Aussicht: Eine Milliarde für den Nahverkehr, eine Milliarde für den Regionalverkehr. Diese sollen aber aus dem Budget der Bundesländer mitfinanziert werden, zu welchem Anteil, ist noch unklar. Der Rest soll aus dem Ticketverkauf finanziert werden, durch den billigen Preis hofft man auf eine steigende Nachfrage.
Doch genau das ist der kritische Punkt: Ein vergünstigtes Ticket alleine muss noch keinen massiven Fahrgast-Ansturm bedeuten. Vonseiten der Verkehrsverbünde heißt es: Um vor allem am Land signifikant mehr Menschen zum Öffi-Fahren zu bewegen, brauche es einen Ausbau des bestehenden Netzes sowie höhere Abfahrt-Frequenzen – und somit wohl noch deutlich mehr Budget.
Verkehrsexperten orten hier dem KURIER gegenüber einen Widerspruch: Einerseits sagt man, der Preis alleine bringe nicht mehr Fahrgäste, andererseits fordert man mehr Geld für schneller getaktete Abfahrten. Die Wahrheit dürfte wohl in der Mitte liegen.
Wie kompliziert ein bundesweites Jahresticket ist, zeigt ein Blick zurück: Auch andere Parteien haben die Idee verfolgt, doch stets ergebnislos.
2006 schlug die ÖVP erstmals ein österreichweit gültiges Ticket für alle Verkehrsbetriebe vor. 2008 wiederholte sie die Forderung und konkretisierte diese: Erwachsene und Familien sollten dafür 1.490 Euro zahlen, inflationsbereinigt wären das 2019 umgerechnet 1.727 Euro. Das Projekt kam nie in Schwung, die Politik konzentrierte sich die längste Zeit auf eine Verbesserung des Angebots.
Unter Türkis-Blau II wurde nicht das Österreich-Ticket angegangen, dafür ein nicht minder interessantes Projekt: Inzwischen brütet seit zwei Jahren eine Arbeitsgruppe an der Möglichkeit, Tickets für alle Verkehrsverbünde zentral kaufen zu können.
Auch die Roten wollten im Sommer mit einem SPÖ-1-2-3-Klimaticket im Wahlkampf punkten. Vergebens. Jetzt will Türkis-Grün das Projekt umsetzen.
Wer hat's erfunden? Die Schweizer (und Luxemburg)
In der Schweiz gibt es für die Bahn schon seit dem 19. Jahrhundert ein "Generalabonnement". Das Netz wuchs stetig, aber erst als 1990 die Nahverkehrsunternehmen der 24 größten Städte dazu genommen werden konnten, stieg die Akzeptanz schlagartig.
Heute ist das "General-Abo" auf fast 25.000 Kilometern gültig und kostet 2.860 Franken (Vollpreis, umgerechnet 3.540 Euro), 2.430 Euro für Jugendliche und 2.640 Euro für Senioren (ab 64 Jahren bei Frauen und 65 Jahren bei Männern). In den vergangenen Jahren haben die Schweizer jeweils 10.000 Neukunden für das "General-Abo" begeistern können, aktuell gibt es knapp eine halbe Million Jahreskartenbesitzer (bei rund 8,5 Millionen Einwohnern).
Die Schweiz steht damit noch alleine da, echte Ganzjahrestickets für alle Öffis gibt es sonst (noch) in keinem anderen großen Staat. Doch Diskussionen darüber tauchen immer wieder auf.
Im kleinen Luxemburg laufen derzeit die Vorbereitungen für ein anderes verkehrspolitisches Großprojekt: Ab März soll der öffentliche Verkehr kostenlos werden. Der Grund: Luxemburg erstickt wegen Zehntausender Pendler geradezu täglich im Stau. Umsetzen will das die Ampelkoalition aus Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten.
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