„Dann schlagen wir uns die Köpfe ein“

Banker Alois Steinbichler: "Gier war sicher ein Krisentreiber."
Bankensanierer Alois Steinbichler über die Krise, Gier, das bäuerliche Leben und Europas Zukunft.

KURIER: Wo waren Sie, als im September 2008 die US-Bank Lehman Brothers kollabiert ist?

Alois Steinbichler: Ich bin schlafen gegangen mit der Erwartung, dass die Bank nicht untergeht. Und war am nächsten Morgen sehr überrascht, dass sie nicht überlebt hat. Lehman war ein Kulminationspunkt und Brandbeschleuniger, Krisensymptome gab es aber viel früher. Es wurden schon im Jänner 2007 Stresstests durchgerechnet. Die waren dann aber etwas zu moderat.

Nur ein paar Monate später und der Verkauf der Bawag hätte wohl nicht mehr geklappt.

Das war Glück im Unglück. Die Bawag hatte eine Garantie der Republik über 1,2 Milliarden Euro mit der Auflage erhalten, die Bank bis Ende 2006 zu verkaufen. Das Signing war im Jänner 2007. Auch der Verkauf der Osteuropatöchter Ende 2007 ging noch sehr gut über die Bühne.

Creditanstalt-Filiale in London, Bawag, Kommunalkredit: Sie wurden mehrfach zu Aufräumarbeiten geschickt. Warum Sie?

Ich hatte durch frühere Stationen breite banktechnische Erfahrung: operativ, im Risiko und Treasury, mit Kundenkrediten. Sieben Jahre war ich für die US-Banken Continental Illinois und State Street Boston in der Schweiz. Erstere war die Hausbank der Chicagoer Warenbörse CBOT, an der Rohstoffkontrakte wie Sojabohnen, Orangensaft und Schweinebäuche gehandelt werden. Die großen internationalen Transithändler waren meine Kunden. Dadurch kannte ich mich bei den Futures-Märkten aus, bevor sie Anfang der 1980er als Financial Futures ins Bankwesen gewandert sind. Heute würde man von Derivaten sprechen.

Warum geht jemand aus dem Steuerparadies Schweiz freiwillig zurück nach Österreich?

Viele haben mich tatsächlich für verrückt erklärt. Damals war es schwierig, in die Schweiz zu kommen. Ich war anfangs bereits Prokurist, galt aber offiziell immer noch als Trainee. Auf eine permanente Aufenthaltsbewilligung hätten am Ende nur zwei Jahre gefehlt.

Warum dann die Rückkehr?

Das klingt eine Spur pathetisch, aber aus Patriotismus. Wir waren frisch verheiratet, unsere ältere Tochter wurde in Zürich geboren, und die Frage war: Wollen wir im Alter Österreicher geblieben sein oder zu Schweizern oder Amerikanern werden? Identität ist wichtig. Ich hatte in Chicago zu viele Menschen erlebt, denen es materiell sehr gut ging, die aber innerlich desorientiert waren.

Desorientiert im Sinne unsicherer kultureller Zugehörigkeit oder dessen, was wichtig ist?

Im Sinne dessen, was im Leben wichtig ist. Erfolg ist gut, aber man darf nicht die Bodenhaftung verlieren.

Bankmanager pflegen oft ein Aristokraten-Gehabe, sie wirken hemdsärmelig. Hilft es da, aus Vöcklabruck zu kommen?

Da, wo ich herkomme, ist Vöcklabruck eine Großstadt. Tiefe Wurzeln helfen dabei, den Überblick nicht zu verlieren und dankbar zu sein für das Glück, das man hatte.

Was heißt das, tiefe Wurzeln?

Zehn Kilometer in die Schule radeln, das war normal. Oder dass der Nachbar in der Nacht anläutet: „Hilf mir, die Kuh kalbt.“ So etwas erdet.

 

„Dann schlagen wir uns die Köpfe ein“

 

Wie kommt ein Bauernsohn 1970 an eine Schule in den USA?

Da reden wir über Bildungsdurchlässigkeit: durch einen engagierten Lehrer an der Mittelschule, der mich auf ein Austauschprogramm hingewiesen hat, und eine aufgeschlossene Familie. Das brachte mich nach Nebraska, zur Zeit des Vietnamkriegs und der Friedensbewegung – eine prägende Zeit und für mich „life-changing“. Später habe ich mit einem Fulbright-Stipendium in den USA studiert.

Haben Sie die sprichwörtliche Gier kennengelernt?

Gier im persönlichen Umfeld war nicht so ausgeprägt, ich war bei recht soliden Kommerzbanken tätig. Aber Gier war sicher ein Krisentreiber. Da gab es einen Kulturbruch, der zu wenig reflektiert wird: Ein Investmentbanker, der sich früher eine Million Salär oder Bonus ausgezahlt hatte, war in der Regel als Partner an dem Unternehmen beteiligt, mit persönlicher Haftung. Diese Vergütungsart wurde dann mit der Deregulierung in die allgemeine Finanzwelt übernommen. Bei einem angestellten Bankmanager geht der Bonus aber nicht auf sein Risiko, sondern zulasten der Aktionäre.

Kann man von 560 Euro im Monat in Österreich leben?

Das ist, glaube ich, sehr schwierig. Aber ich maße mir kein Urteil an. Es kommt auch drauf an, wo man lebt, wie viele Personen im Haushalt sind, ob man nebenbei was verdient. Nach dem Krieg gab es am Land auch Flüchtlinge, die wurden versorgt und haben mit uns mitgelebt. Ich würde also eher zu mehr Sachleistungen tendieren.

Sie haben für die Creditanstalt in New York über Entschädigungen für Enteignungen aus der NS-Zeit verhandelt. Wie wägt man da ab zwischen der Moral und dem Schaden für die Bank?

Das war anders. Es gab eine Klage des World Jewish Council gegen die Bank Austria, welche die CA gekauft hatte. Dieses historische Thema wurde vom damaligen Vorstand unter Gerhard Randa aufgearbeitet; junge CA-Kollegen haben in einer Historikerkommission intensiv mitgearbeitet. Das war sehr belastend und verantwortungsvoll, da war ich aber nicht involviert. Ich war bei zwei Hearings am Rande des Prozesses in den USA zu einem gesellschaftspolitischen Informationsaustausch in der New York City Hall. Ich habe als Staatsbürger versucht, z.B. zu erklären, dass die KZ heute Gedenkstätten sind, die von Schülern besucht werden, dieses Thema also nicht bagatellisiert, sondern bewusst wahrgenommen wird. Ob das Einfluss auf das Verfahren hatte, kann ich nicht sagen.

Was war Ihr größter Erfolg und Misserfolg?

Die Erfolge waren immer eine Teamleistung. Die CA London umgedreht zu haben, war schön. Die Bawag in einem kritischen Moment mitstabilisiert zu haben ebenfalls und auch die Akquisitionen in Osteuropa waren sehr erfolgreich. Dass die Restrukturierung der Kommunalkredit noch einen Verkaufserlös für die Republik brachte und ein funktionierender Körper übrig blieb, der Steuern zahlt, und über 200 qualifizierte Arbeitsplätze sichert, ist auch befriedigend.

Was würden Sie im Rückblick anders machen?

Ich bin jetzt seit Februar 1978, über 40 Jahre durchgehend in Leitungspositionen. Im Detail kann man da immer etwas anders machen.

Heute ist zum Beispiel schwer nachvollziehbar, dass die Wiener Banken im „Lombardclub“ ungeniert die Zinsen absprachen. Und das jahrzehntelang.

Das war ein österreichischer Kulturclash mit dem EU-Wettbewerbsrecht. Der Lombardclub war ursprünglich nichts Böses und völlig legal, ein Treffen honoriger Institutionen vertreten durch honorige Vorstände, die diskutierten, wie das Geschäft läuft. Zinsabsprachen gab es, aber die wurden nie eingehalten, weil der Wettbewerb so intensiv war. Mit dem EU-Beitritt in 1995 verstießen diese Absprachen aber gegen EU-Recht. Als ich Ende 1996 aus London zurückkam, habe ich gewarnt, das auf die leichte Schulter zu nehmen. Das hat ungläubige Blicke geerntet.

Klingt zwar sehr österreichisch, aber so harmlos ist es nicht. Warum wurde das nicht mit dem EU-Beitritt 1995 beendet?

Der Rückblick erzeugt Verwunderung. Aber wir dürfen nicht vergessen: Bis 1991 war in Österreichs Finanzwesen zwar vieles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt war – von Devisentransaktionen bis zur Kreditgarantie für die Firmentochter im Ausland. Ein Wettbewerbsdenken, dass man nicht über Preise reden sollte, lag aber außerhalb dieser Vorstellungswelt.

Waren Sie selbst je bei diesen Lombardclub-Treffen dabei?

Nein, damit kann ich nicht dienen. Da hatte ich die Gnade der späteren Geburt.

Seit der Krise gibt es Regeln zur Abwicklung von Banken. Wie realistisch ist es, dass eine französische oder italienische Großbank zerschlagen würde?

Das halte ich für unwahrscheinlich.

Was hat sich dann geändert?

Schon einiges. In den 1990er hatte eine Deregulierungsmanie eingesetzt. „Wir ersticken die Wirtschaft mit zu strengen Kapitalvorschriften“, hieß es. Das wurde z.B. in London mit einem Produkt „risk matrix“ berechnet, um nachzuweisen, dass das regulatorische Kapitalerfordernis zu hoch war; daraus wurden später übrigens die Basel II-Regeln, die man jetzt wieder entsorgt. Zur Erinnerung: Damals waren vier Prozent Kernkapitalquote Pflicht. Heute hat eine anständige Bank 12 bis 15 Prozent. Die Stoßdämpfer wurden also massiv verstärkt. Für die Absicherung der Liquidität (kurzfristig verfügbares Geld) gibt es zudem einen erleichterten EZB-Zugang und sinnvolle vorbeugende Vorschriften. Damit wird, wie in jedem kleinen Milchgeschäft vorgesorgt: Kann ich die nächsten 30 Tage meine Rechnungen zahlen? Und die fokussierte Auseinandersetzung mit Plänen zur Abwicklung ist schon sinnvoll.

Niedrige Zinsen, hohe Schulden, überhitzte Aktien- und Immobilienpreise. Das hatten wir vor der Krise und jetzt wieder.

Wir haben viele Einsichten gewonnen, manche Kausalitäten müssen wir noch beseitigen.

Welche?

Wir hängen nach wie vor am Drogentopf der billigen Zinsen. Ich finde es gut, wenn die EZB mit Jahresende zumindest die Neukäufe von Wertpapieren beendet. Es wurden ja bisher 3200 Milliarden Euro an Liquiditätsunterstützung in den Markt gepumpt, wovon aber 1800 wieder bei der EZB geparkt sind. Trotz Strafzinsen. Dieses Geld sollte eigentlich in die Wirtschaft fließen und die Konjunktur und Inflation etwas anheizen.

Warum tut es das nicht?

Weil die Banken lieber eine Art Versicherungsprämie für die risikolose Liquiditäts-Aufbewahrung zahlen. Der normale Geldkreislauf ist damit nach wie vor verzerrt.

Das heißt, die Krise ist noch immer nicht beendet?

Das ist auch nicht wie ein bei einem Lichtschalter, der binär auf „Ein“ oder „Aus“ steht, sondern ein Prozess. Ich bin überzeugt, dass man die Situation weiterhin gut kontrollieren kann. Aber die bisher gelebte Unterstützung muss langsam zurückgenommen werden.

Wie sieht Ihre Zukunft nach Ende August aus?

Ich wurde gebeten, in den Aufsichtsrat der Kommunalkredit zu gehen – im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen als einfaches Mitglied. Das tue ich gerne, weil es ein Zeichen der Verbundenheit zur Bank und der Kontinuität sein soll. Sonst hoffe ich auf mehr Zeit, um am Berg zu sein, zum Skifahren, Lesen, politische Diskussionen, Galerien, Musik. Den Lehrauftrag an der Wirtschaftsuniversität Wien erfülle ich ebenfalls gerne weiter.

Stichwort Europa: Viel Gusto auf ein engeres Zusammenarbeiten scheint es nicht zu geben.

Europa muss ganz oben auf der Agenda stehen, wenn wir über die Zukunft reden. Es wäre ein fataler Zirkelschluss der Geschichte, wenn die Idee von Europa am Ende nichts anderes gewesen wäre als ein Geldverteilungsklub. Dann hauen wir uns in 50 Jahren wieder die Schädel ein.

Was stimmt Sie dann zuversichtlich?

Weil alles andere ein Desaster wäre. Meine Generation durfte viele Onkel nicht kennenlernen, weil sie aus dem Krieg nicht zurückkehrten. Oder hatte Väter, die der Jugend beraubt wurden. Unser Wohlstand ist eine Folge von Jahrzehnten des Friedens. Das darf nicht vergessen werden. Demokratie darf niemals belanglos werden.

 

Gut  40 Jahre Banker

Der gebürtiger Oberösterreicher (aus Aurach am Hongar) Alois Steinbichler studierte an der WU Wien und Purdue University (USA). Nach Stationen in der Schweiz kam er zur Creditanstalt nach Wien, war Vorstand der BA-CA, wechselte 2001 zur UniCredit nach  Mailand, leitete Zagrebacka Banca und Ostexpansion. 2006 kam er in der kritischen Phase zur Bawag. Ab 2009 sanierte er die trudelnde Kommu-
nalkredit. Ende August geht er in Pension. Er wechselt in den Aufsichtsrat. Den Hof in Aurach hatte der jüngere Bruder geerbt, Ex-NR-Abg.  Leo Steinbichler.

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