Bahnhöfe: 250 Sicherheitsleute mehr

Interview mit Christian Kern am 23.02.2016 in seinem Büro am Wiener Hauptbahnhof.
Die Bahn starte im Sommer ins heftig umkämpfte Fernbus-Geschäft und will Nachtzüge aufstocken.

KURIER: Auf dem Fernbus-Markt herrscht ein beinharter Preiswettbewerb, trotzdem steigen die ÖBB im Sommer in diesen Markt ein. Warum?

Christian Kern: Wir haben eine andere Ausgangssituation als ein Private-Equity-Unternehmen, das mit 20 oder auch 200 Bussen versucht, am Markt zu reüssieren. Unsere Strategie ist, ein gesamthafter Mobilitätsanbieter zu sein. Wir wollen nicht nur Tickets von A nach B verkaufen, sondern das Mobilitätsbedürfnis des Kunden abdecken. Dazu gehört auch der Fernbus, der vor allem für jüngere Kunden mit wenig Geld interessant ist. Diese wollen wir über den Fernbus zu den ÖBB holen und ihnen später auch Bahntickets verkaufen. Der Zugang zum Kunden ist unsere wichtigste Ressource, das ist der Grund, warum wir in diesen Markt einsteigen.

Kannibalisieren Sie damit nicht die eigenen Fernzüge?

Natürlich kannibalisiert der Bus die Bahn ein wenig. Wenn man sich Deutschland anschaut, kommt von den 300 Millionen Euro Umsatz der Fernbus-Branche fast die Hälfte direkt von ehemaligen Bahnkunden. Wir können entweder zuschauen und sagen, wir spielen da nicht mit, oder wir machen ein Angebot und versuchen, die Kunden damit in unsere ÖBB-Welt zu holen.

Ein Teil der niedrigen Preise kommt laut Gewerkschaften aus Lohndumping und Verstößen gegen Lenker-Ruhezeiten. Die ÖBB werden sich wohl an die Gesetze halten. Wie kommen Sie dann kostenmäßig mit?

Die ÖBB halten sich an alle Gesetze. Aber auf reiner Kostenbasis ist dieser Wettbewerb ohnehin nicht zu gewinnen. Gewinnen können wir aber mit dem komfortableren und besser vernetzten Angebot. Über das Netz der Bahnhöfe haben wir einen viel besseren Zugang und können daher ein ganz anderes Angebot machen als jeder andere.

Den Vorwurf, dass Sie den Fernbus aus den Zuschüssen für den Schienenverkehr subventionieren, fürchten Sie nicht?

Ich wüsste nicht, wo der Vorwurf herkommen sollte. Der Fernbus ist eine eigene Gesellschaft und hat eine ganz klar abgegrenzte Gewinn- und Verlustrechnung. Da sind keine Subventionen von woher auch immer drin.

Rund um das Flüchtlingsthema ist auch die Sicherheit im Zug wieder ins Gespräch gekommen. Gibt es künftig wieder öfter Zugbegleiter?

Wir bemerken ein steigendes Sicherheitsbedürfnis unserer Kunden. Da geht es um soziale Randgruppen, auch um Asylwerber und Flüchtlinge, die in Österreich gestrandet sind. Wir sind dabei, zusätzlich 250 Leute aufzunehmen, die sich um die Security auf den Bahnhöfen kümmern. Das kostet zwar Geld, aber neben der Pünktlichkeit ist für unsere Kunden Sicherheit enorm wichtig. In den Zügen gibt es keine Häufung von Übergriffen, auch nicht im Null-zu-Null-Betrieb (Züge ohne Zugbegleiter, Anm.). Wir haben da kein Sicherheitsmanko.

Was haben die Flüchtlingstransporte die ÖBB gekostet und hat der Staat das schon gezahlt?

Wir hatten für Sonderzüge und Busse, für Notbetten auf den Bahnhöfen oder Reinigung Zusatzkosten von fünf Millionen Euro. Diese Rechnung liegt noch im Innenministerium. Dort gibt es Diskussionen mit dem Finanzministerium und man wird sehen, ob es zu einer Zahlung kommt.

Wenn der Staat nicht zahlt, werden Sie das stillschweigend schlucken? Oder klagen Sie den ÖBB-Eigentümer?

Natürlich werden wir nicht klagen. Für den Steuerzahler wäre es ohnehin nur eine Umschichtung von der linken in die rechte Tasche. Wir verzichten auch auf Mehrkosten über diese fünf Millionen hinaus, das halte ich für unsere gesellschaftliche Verpflichtung. Aber wenn ein Polizeikommandant von der Grenze anruft und sagt, er braucht einen Sonderzug oder zusätzliche Busse, und wir fahren , halte ich es für angebracht, dass wir bezahlt werden.

Die Flüchtlingsströme haben den Zugverkehr eine Zeit lang behindert. Wie stark war der Rückgang im Fernverkehr?

Es hat einen gewissen Rückgang, insbesondere auf der Weststrecke, gegeben. Aber wir haben das wieder kompensiert, im Gesamtjahr hat es im Fernverkehr einen Zuwachs über dem langjährigen Durchschnitt gegeben.

Müssen Sie also vielleicht doch eine neue Zugflotte für den Fernverkehr kaufen ...

Wir sind da intensiv am Nachdenken, aber das müssen wir noch nicht gleich entscheiden. Aber wir interessieren uns für das Nachtzug-Geschäft. Im Gegensatz zu vielen anderen Bahnen halten wir das für ein interessantes Geschäft. Die Deutschen wollen die Nachtzüge massiv reduzieren. Wir verhandeln, ob wir Teile davon übernehmen.

Wo wollen Sie in der Nacht hinfahren?

Derzeit gehen die Verbindungen nach Italien und auch in die Schweiz recht gut. Viel Potenzial sehen wir Richtung Berlin, Hamburg oder Düsseldorf. Aber wir wissen noch nicht, ob es sich wirklich rechnet. Die Verbindungen sind nur attraktiv, wenn die Qualität der Züge besser wird. Wir verhandeln daher auch die Übernahme eines Teils des deutschen Wagenmaterials. Bis zum Sommer werden wir das wissen.

Das Modell der Direktbestellung von Leistungen bei den ÖBB und Zuschüsse für nicht kostendeckende Verkehre soll es auch nach Auslaufen des Vertrags 2019 geben. Sehen Sie dafür eine Chance bei der EU?

Ganz sicher. Die Option für dieses System wird in der EU bis weit in die 2030er-Jahre hinein möglich sein. Wenn es nicht überhaupt dauerhaft prolongiert wird. Ich glaube, dass das ein richtiger Weg ist, denn in Österreich haben wir innerhalb Europas mit diesem System die meisten Eisenbahnkilometer pro Einwohner erreicht.

Die Ausschreibung der Verkehre wäre aber in Summe billiger ...

Nehmen Sie Bayern. Dort wurden die Verkehre ausgeschrieben, die öffentliche Hand spart sich zehn bis elf Prozent der Zuzahlungen. Auf der anderen Seite sind aber die Tickets doppelt so teuer wie bei uns. Für die Kunden bedeutet das also eine Verschlechterung. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die ÖBB-Mitarbeiter, wenn die ÖBB diese Verkehre verlieren, entweder arbeitslos werden oder in die Pensionssysteme gedrängt werden. Dadurch steigen die Kosten für den Staat wieder an. Der Steuerzahler zahlt doppelt: Einmal für Arbeitslosigkeit und Frühpensionen, auf der anderen Seite deutlich mehr fürs Ticket.

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