Brexit-Beifall von der falschen Seite

Brexit-Beifall von der falschen Seite
Warum die Hedgefonds-Manager als einzige Wirtschaftslobby über EU-Austritt und Pfund-Verfall jubeln.

George Soros hat dieses Mal nichts verdient: Der US-Starinvestor, der 1992 gegen das Pfund spekuliert und eine Milliarde Dollar eingefahren hatte, war überzeugt, dass die Briten Ende Juni gegen den Brexit stimmen würden. Falsch gewettet.

Dafür haben andere ordentlich Kasse gemacht: Wie Crispin Odey, Gründer des Hedgefonds Odey Asset Management. Oder Michael Hintze, der auf 1,8 Milliarden Dollar Vermögen taxierte Gründer des Fonds CQS, der 2005 in den Adelsstand erhoben wurde. So wie viele Londoner Kollegen hatten beide vehement für den Brexit lobbyiert oder die "Leave"-Kampagne sogar finanziell unterstützt.

Offshore in der City

Warum sind Hedgefonds so erfreut über den EU-Austritt, der Industrie und Banken in Agonie verfallen lässt? Die Antwort ist einfach: Weil sie auf der Gewinnerseite stehen. Kurzfristig konnten sie Gewinne einfahren, indem sie auf das fallende Pfund wetteten. Langfristig profitieren sie sogar noch mehr. Je weiter sich Großbritannien von der EU entfernt, umso radikaler muss es sich neu orientieren.

Das bedeutet für die Geldjongleure: Weg mit überflüssigen Regeln und Steuern, hin zu einem ultraliberalen Finanzplatz. Einige träumen von einer locker regulierten Offshore-Oase – nicht mehr auf Kanalinseln wie Jersey, Guernsey oder der Isle of Man, sondern in der Londoner City selbst. Verhasste EU-Regeln für Schattenbanken und Hedgefonds, Deckelungen der Manager-Boni oder die leidige Finanztransaktionssteuer wären dann endgültig vom Tisch.

Anders als traditionelle Banken sind Spekulanten zudem nicht auf den EU-Markt angewiesen: Ihre Kunden und Geschäfte waren immer schon global.

Gute Daten – na, also?

Unterdessen sieht sich das Brexit-Lager durch aktuelle Daten bestätigt. Der Konsum entwickelt sich erstaunlich gut. Der Börsenindex FTSE 100 ("Footsie") hat jüngst sogar neue Rekorde erreicht. Ist alles halb so wild?

Eher eine trügerische Momentaufnahme. Das Pfund schwächelt gewaltig, hat binnen eines Jahres fast 24 Prozent Wert zum Euro eingebüßt. Kurzfristig fördert das die Exporte, weil britische Produkte billiger werden. Auf Dauer wird es zum Problem.

Brexit-Beifall von der falschen Seite
Ein Papier aus dem Finanzministerium zeichnet ein Horrorszenario, falls Regierungschefin Theresa May einen "harten Brexit" – also eine Scheidung ohne Zugang zum EU-Binnenmarkt – anpeilt. Nach 15 Jahren wäre die britische Wirtschaftsleistung (BIP) um bis zu 9,5 Prozent geringer als bei einem Verbleib in der EU. Der Staatskasse würden dann bis zu 66 Mrd. Pfund (73 Mrd. Euro) pro Jahr fehlen.

"Das größte Gift ist die Unsicherheit", sagt Christian Kesberg, der Wirtschaftsdelegierte in London. "Die Unternehmer machen etwas an sich Vernünftiges: Sie sitzen auf den Händen." Neue Investitionen und Aufträge sind verschoben oder abgeblasen – das spüren auch Wienerberger, Zumtobel oder Knapp Logistik. Wird nichts investiert, so schlägt sich das einige Monate später in den Wirtschafts- und Arbeitsmarktzahlen nieder.

Die Hoffnungen, einen "harten Brexit" zu vermeiden, liegen nun beim Parlament. May will die Abgeordneten zwar nicht abstimmen lassen, wann sie die Reißleine zieht – das wird spätestens im März 2017 geschehen. Allerdings könnte ihnen eine Mitsprache bei den Verhandlungen eingeräumt werden.

Wirtschaftlich macht ein radikaler Bruch mit der EU keinen Sinn, politisch vielleicht doch. May hat schlechte Karten in den Verhandlungen, weil sie das Okay aller EU-Staaten für einen Deal braucht. Womöglich könnte sie ihr Gesicht eher wahren, indem sie einfach vom Verhandlungstisch aufsteht.

Nach dem Brexit-Votum wollen etliche Länder den Briten EU-Institutionen, Banken und Unternehmen abluchsen. Dabei ist Diplomatie angebracht, sagt ein Insider: „Offensive Abwerbeversuche wären kontraproduktiv.“ Österreich bringt sich elegant mit Expertenkonferenzen und Osteuropa-Expertise ins Spiel.

Womöglich mit Erfolg: „Wir hatten größere Pläne für unser London-Büro, aber nach dem Brexit fahren wir sie zurück“, sagte Herbert Moos, Vizechef der VTB Bank, jüngst zur Financial Times. Als Standorte für die Europazentrale der Investmentsparte VTB Capital mit einigen hundert Mitarbeitern brachte er Frankfurt, Paris und Wien ins Spiel. Die russische Staatsbank managt schon jetzt ihre Europa-Aktivitäten über die Wiener VTB Bank (Austria).

Sicher absiedeln muss die Europäische Banken Aufsicht (EBA). Nationalbank-Chef Nowotny hofft, dass sie nach Österreich kommt. Chancen hätte Wien wohl nur als lachender Dritter, wenn kein Kuhhandel zwischen Paris und Frankfurt gelingt. Geworben wird um die Europäische Medikamente Agentur (EMA). Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) steht nicht zur Debatte, sie ist keine EU-Institution.

Konkrete Anfragen britischer Firmen zum Standort Österreich sind bei der ABA, der Betriebsansiedlungsagentur, noch nicht eingegangen. Man lässt aber prüfen, wie groß das Potenzial ist. „Wir haben ein Extraprogramm gestartet“, sagt eine Sprecherin. Eine britische Beratungsfirma soll den Markt erkunden.

Der in England lebende Finanzinvestor Michael Treichl im KURIER–Gespräch über Brexit, Österreichs Vor- und Nachteile, über Reichtum und Elite.

KURIER: Warum sind Sie als Finanzmensch für den Brexit?

Michael Treichl: Weil ich glaube, dass die langfristigen Auswirkungen auf meinen Teil der Finanzbranche auch von einem harten Brexit – also einem kontroversiell verhandelten – sehr bescheiden sein werden. Ich glaube, dass Großbritannien außerhalb der EU besser gedeihen wird. Davon bin ich, wie andere Kollegen meiner Branche, überzeugt.

Könnte das eine Vorbildwirkung auf andere Länder haben, die auch austreten wollen, weil die Briten damit vielleicht gar nicht so schlecht fahren? Der Finanzmarkt hat sich vom ersten Schock schnell erholt.

Die nächsten zwei Jahre – also bis zum Austritt – werden sicher steinig. Da muss man durchaus mit Turbulenzen rechnen. Trotzdem meinen viele auch in der Finanzwelt, dass die EU für England ein Hemmschuh ist und das Wachstum der Briten einschränkt. Etwas Sorge bereitet uns Premierministerin Theresa May, die für die Finanzbranche wenig Verständnis zu haben scheint.

Hat die Flüchtlingskrise beim Brexit eine große Rolle gespielt?

Natürlich, das wurde auch enorm aufgebauscht. Wobei die Briten seit dem frühen 19. Jahrhundert an Zuwanderung gewöhnt sind.

Kann der Flüchtlingsstrom die EU überfordern?

Es ist auf jeden Fall ein Problem für die regierenden Politiker, weil weite Teile der Bevölkerung – zu Unrecht, meine ich – glauben, dass ihnen Arbeitsplätze weggenommen werden. Es bietet eine willkommene Entschuldigung, die Schuld für Arbeitslosigkeit auf jemand anderen zu schieben, eben nicht auf sich selbst. Das ist in England sicher auch nicht anders.

England steht für Wirtschaftsliberalität. Das wird in der EU künftig wohl fehlen, oder?

Aus diesem Grund tut es mir als Kontinental-Europäer natürlich leid, dass Großbritannien geht. Dadurch wird Deutschland beim Versuch, Reformen durchzuziehen, stärker unter Druck kommen. Man kann es aber auch optimistisch sehen: Die Angst vor möglichen Brexit-Folgen wird so groß sein, dass die Institutionen in Brüssel schon von sich aus zu Konzessionen bereit sind: bei der Migrationsfrage, aber auch bei Entscheidungsprozessen innerhalb der EU. Es gibt zum Beispiel keinen Grund, warum das Parlament so groß ist oder warum es monatlich nach Straßburg zieht.

Auch als Nettozahler kommen die Briten abhanden.

Das wird die EU wahrscheinlich verschmerzen können. Aber: Der Glaube an das politische Projekt EU ist aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden.

Wirtschaftsliberalität ist in Österreich ein Fremdwort, oder?

Ich weiß zu wenig darüber, wie Österreich funktioniert. Aber nach meinem Kenntnisstand haben Sie recht. Ja, es fehlt ein wirklich funktionierender Aktienmarkt. Das gehört zum funktionierenden Kapitalismus dazu. Aber Österreich hat bewiesen, dass man dennoch einen gewissen Wohlstand erreichen kann.

Jetzt schaut es aber nach leisem Niedergang aus.

Es ist bedauerlich, dass es in Österreich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht gelungen ist, wie in der Schweiz erfolgreiche Unternehmen von Weltrang zu schaffen. Das Land hat gute Ingenieure, Talent und auch gute Manager. Es gibt keinen Grund, warum es hier nicht auch Firmen wie Nestlé oder Ciba Geigy gibt.

Woran liegt’s?

Zum Teil an einer gewissen Skepsis den Kapitalmärkten gegenüber. Da sind keineswegs nur die Sozialisten dafür verantwortlich, da spielt auch die alte Einstellung des Cartellverbands – "Geld ist böse" – eine Rolle.

Noch sind wir aber relativ gut als Exportland aufgestellt.

Das österreichische System funktioniert ja. Es schafft vielleicht nicht so viel Wohlstand, wie möglich wäre, wenn es marktwirtschaftlicher und liberaler orientiert wäre. Aber dann müsste man auch die Nachteile in Kauf nehmen. Dann gäbe es sicherlich mehr vom System Zurückgelassene wie in Amerika.

Sie schauen offenbar milde auf Österreich.

Ich habe hier zwar keine geschäftlichen Interessen, fühle mich dem Land aber sehr verbunden und bin oft hier.

Entwickelt sich das Land positiv oder negativ?

Meinem Gefühl nach eher negativ, aber man sollte sich da nicht auf sein Gefühl verlassen, sondern auf Daten.

Leider sagen das auch Daten aus internationalen Vergleichsstudien.

Ich glaube, Österreich hat ein Erziehungsproblem. Es gibt keine bewusste Eliten-Ausbildung, und das ist für ein relativ kleines Land wesentlich. Abgesehen von Großbritannien ist die Schweiz das einzige europäische Land, das wirkliche Elite-Ausbildungsstätten hat. Da geht’s nicht nur um die 19.000 Studenten, die an der ETH Zürich inskribiert sind, sondern auch um den Multiplikatoreffekt. Im Umfeld führender Universitäten entwickeln sich alle möglichen Forschungszentren.

Österreich hat wohl ein gebrochenes Verhältnis zur Elite – die darf es nicht geben.

Das mag eine Rolle spielen. Ich habe ja hier studiert. An amerikanischen Unis, wo ich auch war, herrscht ein anderer Ehrgeiz, eine ganz andere Einstellung zur Arbeit, zur Konkurrenz der Studenten untereinander.

Erst recht bei den Asiaten.

Bei den Asiaten ist die Erziehung vielleicht etwas zu mechanistisch und zu wenig auf Kreativität angelegt. Zum Teil ist es allerdings auch haarsträubend, was sich an amerikanischen Universitäten abspielt: Die politische Korrektheit ist völlig übertrieben. Das sind Begleiterscheinungen einer geistig sehr beweglichen und hoch intelligenten Schicht, die nicht nur über Quantenmechanik, sondern auch darüber nachdenkt, ob sich mexikanische Studenten diskriminiert fühlen, wenn auf Partys Sombrero-Hüte getragen werden.

Solche Auswüchse gibt’s bei uns natürlich nicht. Der Vorteil des Mittelmaßes?Es plätschert halt alles gemütlich dahin, in jeder Hinsicht. Das ist nicht immer von Vorteil. Die Studenten, die dort auf die Barrikaden steigen, sind gleichzeitig die nächsten Bill Gates.

Im Ausbrüten neuer Ideen und Start-ups scheint der ganze Kontinent Europa hinter die USA zurückzufallen.

Ja. Obwohl es in Deutschland und Großbritannien schon Anzeichen für unternehmerische Innovation und Venture Capital gibt. Letzteres ist in Österreich nicht wirklich existent. Wäre ich Biochemiker, würde ich wahrscheinlich auch nach Cambridge oder Austin in Texas ziehen.

In Wien gibt es einen Biotech-Cluster. Wir sind in der Forschung gut, aber offenbar nicht in der Umsetzung auf Firmen-Ebene.

Das ist traditionell so: Wir haben die Dieseleinspritzpumpe erfunden, aber andere haben das Geschäft gemacht.

Was muss sich daher ändern?

Es haftet dem Geldverdienen noch immer ein gewisses Stigma an. Möglicherweise hat das etwas mit den Überresten des Pfründesystems – und vielleicht auch mit der katholischen Soziallehre – zu tun. Die Protestanten sind da anders.

Zur Person

Der 68-jährige Finanzinvestor und Hedgefonds-Manager lebt seit 20 Jahren in England und ist Teil des britischen Geldadels. Sein Vater Heinrich Treichl war Generaldirektor der Creditanstalt, sein Bruder Andreas ist Chef der Erste Group. Treichl hielt vergangene Woche einen Vortrag für die Sparte Finanzdienstleister in der WKO.

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