Börse-Wien-Chef: „Kapitalmarkt hilft bei Krisenbewältigung“
KURIER: Es ist ein interessantes, turbulentes Börsenjahr gewesen. Der „Dow Jones“ schaffte es im Google-Ranking der Österreicher auf den achten Platz. Ist das Interesse der Österreicher für Aktien vielleicht doch größer als vielfach vermutet?
Christoph Boschan: Wir haben ja schon immer gesagt, dass die öffentlich kolportierten Zahlen zu den Aktionärsraten in Österreich eigentlich nach oben korrigiert werden müssen. Wenn man alle Fonds und Zertifikate-Konstruktionen hinzuzählt, dann sieht die österreichische Aktionärsquote gar nicht so schlecht aus. Sie schließt jedenfalls an das an, was wir in Deutschland gewöhnt sind. Aber ganz sicher wird 2020 in die Geschichte eingehen als eines derjenigen Jahre, die das Aktieninteresse wegen Corona doch deutlich befeuert haben.
Warum landete aber nicht der Wiener ATX auf dem 8. Platz im Google Ranking?
Es ist natürlich so, dass die Österreicher sich neben den Investitionsmöglichkeiten im Heimatmarkt, was sie immer tun sollten, zu Recht auch international umschauen. Das ist ja das, was wir mantraartig immer vor uns hertragen. Wer sich für Investitionen anstatt für Spekulationen interessiert, der betreibt die Aktienanlage vor allem langfristig und breit gestreut. Das heißt natürlich auch, außerhalb Österreichs zu schauen und zu einer gesunden Diversifikation des Portfolios dadurch beizutragen.
Was kann die Börse tun, um Aktien noch populärer zu machen?
Unsere Hauptaufgabe besteht im Bereitstellen einer Infrastruktur erstens für den Handel. Zweitens für die Verbreitung der daraus entstehenden Information. Und das hat wunderbar funktioniert in diesem Jahr. Die Börse selbst ist in allen ihren wesentlichen Ertragsquellen gewachsen. Über 80 Prozent der Aufträge, die die Wiener Börse heute erreichen, kommen bereits aus dem Ausland mit weiter steigender Tendenz. Und wir konnten unseren Marktanteil im Handel österreichischer Aktien auf bis zu 80 Prozent ausbauen. Wir stellen sicher, dass die österreichischen Unternehmen international die maximale Sichtbarkeit erfahren.
Mit der Performance schaut es heuer nicht so rosig aus. Der Dow Jones kommt auf plus 5,8 Prozent, im ATX sind es rund minus 13 Prozent.
Österreich ist da nicht schlechter und nicht besser als das gesamteuropäische Bild.
Woran liegt das?
Wir haben 2020 eine sehr zweigeteilte Börsenwelt erlebt. Wir haben einerseits einen starken Anstieg bei digitalen Geschäftsmodellen. Auch der von Ihnen zitierte amerikanische Markt ist hier sehr zweigeteilt. Das Plus im Dow Jones ergibt sich ja auch nur aus der überbordenden, dramatisch guten Performance der digitalen Geschäftsmodelle und der unterdurchschnittlichen Entwicklung dessen, was man als klassische Industrie bezeichnen würde. Also Öl, Stahl, Versorger oder Banken.
Bleibt das so?
Das wird sich wieder ändern. Wir sehen bereits einen dramatischen Wechsel der Werte, in die investiert wird. Der November war von einem dramatischen Aufholprozess auch für Österreich geprägt. Allein im November gab es ein Plus im ATX von 25 Prozent.
Gibt es also unterm Strich gesagt zu wenig digitale Schwergewichte in Europa? Ja, absolut. Das ist offensichtlich geworden, dass in Europa und insbesondere Österreich natürlich etwas fehlt. Es wäre wünschenswert, wenn es hier weitere Börsengänge in diesem Bereich gäbe. An eine Technologieführerschaft, glaube ich, ist bei weitem nicht zu denken, aber wenigstens an ein Aufschließen.
Europa will auch mit Greentech punkten.
Ja, es ist in aller Munde und ich glaube auch zu Recht. Der Kapitalmarkt kann hier ein gigantischer Hebel sein. Man darf nicht vergessen, dass für die technische Transformation gewaltige Investitionssummen aktiviert werden müssen. Wir werden sehen, dass die Industriestaaten mit entwickelten Kapitalmärkten die bei Weitem schnellere, nachhaltigere, erfolgreichere und renditeträchtigere Transformation hinbekommen werden. Das haben wir auch in der Finanzkrise gesehen und sie werden auch beim Bewältigen und Aufarbeiten der Corona-Krise helfen. Denn gefragt sind Innovationen. Und Innovation heißt immer Notwendigkeit von Risikokapital. Innovationen mit Krediten zu finanzieren funktioniert in der Regel nicht.
Welche wirtschaftspolitischen Erwartungen haben Sie nach der Krise, was den Finanzmarkt betrifft?
Die Wiedereinführung einer Behaltefrist, also die Befreiung von der Kapitalertragssteuer nach ein oder zwei Jahren. Das ist ein mächtiges Instrument, weil es sehr breitenwirksam ist, über alle Finanzierungsformen von der Anleihe über Mezzaninkapital bis hin zu Aktien. Das wäre eine deutliche Privilegierung der ruhigen Hände am Markt und eine Sanktionierung der kurzfristigen. Also wir wollen ja in Richtung Investitionen und weniger Spekulation. Und für die Privatanleger, die ganz überwiegend aus bereits versteuerten Arbeitseinkommen investieren, ist das auch das richtige Signal.
Was raten Sie Anlegern?
Ich würde raten, zu investieren und nicht zu spekulieren. Das heißt breit gestreut und langfristig anzulegen. Alles andere macht dauerhaft wenig Sinn.
Europa hat einen immensen Schuldenberg aufgebaut. Wie kann man den wieder reduzieren?
Das ist genauso wie im Privaten. Indem man sie abbezahlt. Wie bezahlt man sie ab? Indem man Geld generiert. Und das heißt, man muss wachsen und wachsen kann man als Volkswirtschaft und als Privatmann nur auf zwei Wegen. Man kann erstens mehr arbeiten, das findet schnell physische Grenzen. Und der zweite Weg ist mehr zu verdienen, indem man Dinge anders macht, die Innovationskraft stärkt, neue Erfindungen macht und die Effizienz steigert. Für beides spielt der Kapitalmarkt natürlich die entscheidende Rolle. Und jetzt schließt sich der Kreis. Deswegen Stärkung des Kapitalmarkts heißt immer Stärkung der Innovationskraft. Das geht aber nur in der Breite durch privates Geld und durch das Aktivieren des nationalen Sparvermögen.
Sind aus Ihrer Sicht die wirtschaftlich Kollateralschäden schon zu hoch?
Der Staat musste ohne vorherige Blaupause agieren. Ich habe daher wenig Sympathie für Besserwisser, die da unterwegs sind und der Bundesregierung ständig Ratschläge geben, wie und in welcher Alternative sich die Dinge besser entwickelt hätten. Aber natürlich, klar wird das alles dann in einer Gesamtrechnung zu betrachten sein. Die unmittelbare Krisenreaktion wird man zusammen mit der Aufarbeitung der Krise betrachten und dann wird abgerechnet werden. Und deswegen würde ich allen Regierungen in Europa da noch eine gewisse Zeit geben.
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